Kulturhauptstadt Temeswar 2023: „Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod“

Sechs Abende Märchenwelt am Freiheitsplatz

25. – 30. Juli, die Märchenwoche in Temeswar: An sechs Abenden wurde der Freiheitsplatz zum Schauplatz einer großangelegten animierten Theaterproduktion.

Zuschauer aus dem In- und Ausland verfolgten Prinz Wunderhold (Mitte) auf seiner Suche nach der Jugend ohne Alter und dem Leben ohne Tod. | Fotos: Andreea Eva Herczegh / Prin Banat

Es war einmal, wie nie zuvor... Eine großangelegte Temeswarer Theatervorstellung mit 55 Schauspielern, Musikern und Freiwilligen, 14 Ton- und Lichttechnikern, sechs ausverkauften Aufführungstagen, 1500 verkauften Eintrittskarten und Hunderte von Menschen, die sich die Vorstellung auf dem Freiheitsplatz von Temeswar/Timișoara angesehen haben. Etwa so klingt die Bilanz der faszinierenden Show mit Magneteffekt auf das Publikum. Das rumänische Märchen aus dem 19. Jahrhundert „Tinerețe fără bătrânețe și viață fără de moarte“ (Deutsch: „Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod“) wurde zwischen dem 25. und dem 30. Juli durch Live-Musik, gigantischen Puppen und Figuren, Lichter und Rauch unter freiem Himmel wieder zum Leben gebracht. Die Show in der Regie von Ovidiu Mihăiță, eine Produktion des „Prin Banat“-Vereins in Zusammenarbeit mit dem „Auăleu“-Theater, war eines der Hightlights des Kulturprogramms „Temeswar 2023 - Kulturhauptstadt Europas“ bisher.

„Es war einmal, was einmal war, / als Weidenbäume Veilchen trieben, / als Stubenfliegen Märchen schrieben, / als auf der Pappel Birnen reiften, / als Lamm und Wolf den Wald durchstreiften / und brüderlich im Grünen grasten, / als Bären durch die Wälder rasten, / einander mit den Schwänzen schlugen, / als Flöhe Eisenhufe trugen / und Sprünge bis zum Himmel machten / und uns von oben Märchen brachten.“

Für eine kurze Zeit, etwas länger als eine volle Stunde, konnten Erwachsene wieder in ihre Kindheit zurückkehren. Wie eine Zeitmaschine wirkte das Märchen auf dem Temeswarer Freiheitsplatz. Die Inszenierung basiert auf dem gleichnamigen Märchen von Petre Ispirescu aus dem Jahr 1862 und lässt das Übernatürliche, die mythologische Philosophie, Unsterblichkeit, Glück, Leben und Tod als auch das Thema der Migration in den Vordergrund rücken. 

Nach Dutzenden von Probestunden war es nach zwei Jahren Pause, denn die Inszenierung feierte Premiere im Sommer 2021, wieder soweit: Das klassische Märchen erhielt einen modernen Touch und ließ den öffentlichen Platz in eine faszinierenden Stimmung eintauchen. Völlig ausverkauft waren die sechs Shows der animierten Theateraufführung, und das bereits vor dem Beginn der Aufführungsserie. 1500 Zuschauer setzten sich auf ihren Plätzen im spiralförmig eingerichteten Aufführungsraum, weitere Hunderte konnten sich die Show von der Seite aus dem großzügigen Raum in der Innenstadt von Temeswar ansehen, und das völlig kostenlos.

Eine Jugend ohne Alter, ein Leben ohne Tod – mit diesem Segensspruch des Vaters wächst der Kaisersohn, Prinz Wunderhold (Făt-Frumos), heran, der sich eines Tages auf den Weg macht, um das Reich der ewigen Jugend und Unsterblichkeit zu suchen. Auf seiner abenteuerlichen Reise stößt er auf zahlreiche phantastische Figuren – „Gheonoaia“, „Scorpia“ und die guten Feen – als auch auf viele Herausforderungen und gelangt letztendlich am Ort der Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod, wo er er glücklich lebt. 

Doch als eines Tages Prinz Wunderhold ohne zu wollen ins Tal der Tränen gerät, überkam ihn plötzlich die Sehnsucht nach seinem Vater und nach seiner Mutter. „So will ich denn nur fortreiten, um meine Eltern noch einmal zu sehen, und dann kehre ich zurück und bleibe für immer bei euch“, sagte Prinz Wunderhold den guten Feen. „Verlass uns nicht, Geliebter! Deine Eltern sind schon seit vielen hundert Jahren tot, und wir fürchten, dass auch du, wenn du fortgehst, nicht mehr zurückkehrst. Bleib bei uns! Das Herz sagt uns, dass du zugrunde gehen wirst.“ Doch weder die Bitten der drei Feen noch die seines Pferdes vermochten ihn von seinem Vorhaben abzubringen, da ihn die Sehnsucht nach seinen Eltern verzehrte. So kehrte er zurück. (...) Als er schließlich in das Reich seines Vaters gelang, fand er dort andere Menschen und andere Städte, und die alten hatten sich so verändert, dass er sie nicht mehr erkannte.

Endlich gelangte er zum Schloss, wo er zur Welt gekommen war. Als der Prinz das verfallene und von Unkraut überwucherte Schloss sah, seufzte er schwer, und mit Tränen in den Augen suchte er sich in Erinnerung zu rufen, wie prächtig das Gebäude einst gewesen war. Er ging mehrmals durch das Schloss, durchsuchte jeden Raum, jedes Eckchen, das ihn an vergangene Zeiten erinnerte, auch den Stall, wo er sein Pferd gefunden hatte; schließlich stieg er in den Keller hinab, dessen Eingang von Mauertrümmern fast verschüttet war. Als er so suchte – sein weißer Bart hing ihm bis zu den Knien, die Augenlider wurden ihm schwer, und seine Füße trugen ihn kaum noch –, stieß er auf eine morsche Truhe. Er öffnete sie, aber sie war leer, da hob er den Deckel eines Innenfachs, und eine dünne, zittrige Stimme sagte: „Willkommen! Hättest du noch länger gesäumt, so wäre auch ich zugrunde gegangen.“Und sein Tod, der schon zusammengeschrumpft und krumm wie ein Haken im Kästchen lag, rührte ihn an, dass Prinz Wunderhold tot zu Boden fiel und zu Staub wurde.

Von den mythologischen Figuren, die für rumänische Märchen typisch sind, bis hin zur Anordnung des Publikums gelang es der Show in Temeswar, das bekannte rumänische Märchen mit all seinen Bedeutungen ins Rampenlicht zu stellen, aber auch die Bedeutung seiner Interpretation in der heutigen Zeit in den Vordergrund rücken zu lassen. Die Idee einer solchen Theatervorstellung entstand in der Pandemie, „in einer Zeit starker emotionaler Belastung“ – lässt die Initiatorin Alexandra Palconi-Sitov vom Verein „Prin Banat“wissen. 

Für die Regie der Vorstellung war Ovidiu Mihăiță zuständig, der die Idee mit Freude begrüßte. Vor einigen Jahren hatte er mit dem „Auăleu“-Theater die rumänische Volksballade „Miorița“ auf einer außergewöhnlichen Weise über die Bühne gebracht. Nun kam dieses klassische Märchen hinzu. Ein weiteres authentisches rumänisches Märchen soll diese Trilogie vervollständigen. „Es ist wichtig, dieses lebendige kulturelle Erbe zu bewahren und zu nutzen. Temeswar verfügt über die Fähigkeiten, eine solche Show zu produzieren und ich freue mich sehr und halte es für einen großen Sieg des Kulturhauptstadtjahres, dass es einer lokalen Theateraufführung gelungen ist, 1500 Tickets zu verkaufen“, sagt der Regisseur. Auch bei einfachen Passanten – Temeswarer, aber auch Touristen aus dem In- und Ausland – sorgten die Aufführungen für Begeisterung. Die Show wurde in rumänischer Sprache gespielt und gesungen, aber die englische Übersetzung konnte man von mehreren Leinwänden ablesen. 

Für eine volle Stunde, abgesehen von der bunten Lichtershow, riesigen Puppen und Figuren, erklang vor Ort auch Live-Musik. Ovidiu Mihăiță hat auch die Originalmusik dafür geschrieben und hat sich selber ans Schlagzeug gesetzt und zusammen mit zwei weiteren Temeswarer Musikern – Sol Faur und Norbert Lovasz – an den sechs Abenden für knapp über eine Stunden live gespielt. Christine Cizma{ war die Erzählerin, Armand Iftode Prinz Wunderhold, der Chor wurde von Beatrix Leila Imre und Mihai Prelipcian geleitet, zahlreiche weitere Künstler, Schauspieler und Freiwillige trugen dazu bei, dass das klassische rumänische Märchen lebendig wird. Die Puppen und Masken wurden von den Temeswarer Künstlerinnen Maria Gornic, die Kostüme, bis auf eines, wurden von Lia Pfeiffer angefertigt. „Das Kostüm von Prinz Wunderholdist ist das einzige authentische Kostüm von allen Kostümen der Bühnenfiguren. Das traditionelle rumänische Folklorekostüm ist über 100 Jahre alt, es gehörte meinem Großvater, der es wiederum von seinen Eltern erhielt. Er trug es genauso wie Prinz Wunderhold es am Freiheitsplatz tat: barfuß“, erzählt Alexandra Palconi-Sitov.