Kapellmeister Heinrich Weidt im Banat (VI)

Sein Wirken in Kubin und Weißkirchen / Das Sängerdebüt seiner Tochter Lucie Weidt

Lucie Weidt als Schülerin ihres Vaters und bereits gefeierte Pianistin und Sängerin in Weißkirchen

Carl Sprung, ehemaliger Kameralbeamter in Denta (Banat) veröffentlichte im Jahre 1892 seine Sammlung „Gedichte“, in der eines davon Weißkirchen gewidmet ist. So mag wohl auch Weidt seine neue Wirkungsstätte empfunden haben – als einen Ort, der von Weinbergen und Gesang geprägt war, wie ihn der Dichter beschrieb: „Auf allen Hügeln, allen Stegen, des Winzers frisches Lied erklang“.

Die Musikkultur des Banats erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen nie mehr wiederkehrenden Aufschwung. Die Gesangvereine schossen wie Pilze aus dem Boden, man gründete städtische und private Musikschulen, es ließen sich Musiker, Instrumentenbauer, Pädagogen und Kirchenmusiker aus Böhmen nieder und viele namhafte Künstler wie Brahms, Joachim, Sarasate oder Kienzl gaben hier mehrere Konzerte. In diesem multiethnischen Raum stellte die Musik jene Sprache dar, die von allen Einwohnern verstanden und geschätzt wurde.

Emanuel Pichert (1862-1902) wird auch als Pianist, Organist oder Dirigent in vielen Konzerten erwähnt. Er war Absolvent der Prager Orgelschule und ließ sich in Werschetz und Weißkirchen nieder. Einige Jahre wirkte Pichert auch als Organist der israelitischen Kultusgemeinde in Werschetz, die ihm dafür ein wohlwollendes Zeugnis ausgestellt hat. Mit Heinrich Weidt stand er in freundschaftlicher Verbindung.

Chorkonzerte, Liedertafeln, Operettenvorstellungen, Kammermusikabende, Schülerkonzerte, sonntägliche Kirchenmusik und Orchesterkonzerte – so vielfältig war damals die Palette der musikalischen Veranstaltungen in dem kleinen Winzerstädtchen Weißkirchen. Dazu gehörten aber auch die regelmäßigen Konzerte der Musikkapelle des Infanterieregiments, die von Kapellmeister Pospischill geleitet wurde.

Dass Weißkirchen auch eine bedeutende Garnisonstadt war, beweist die Tatsache, dass sämtliche bedeutende Staatsakte, die in Wien stattfanden, auch hier durch Militärkonzerte oder Paraden unterstrichen wurden. So auch anlässlich der Enthüllung des Radetzkydenkmals in Wien.

Josef Weikert (1837-1907) gehörte zu den bedeutendsten Musikern dieser Stadt im 19. Jahrhundert und setzte sich unermüdlich für die musikalische Erziehung der Jugend ein. Regelmäßig gab er in seinem eigenen Salon oder in einem anderen Saal Kammermusik- oder Schülerkonzerte, bei denen auch eigene Kompositionen aufgeführt wurden. Er wird später auch gemeinsam mit Heinrich Weidt einige Konzerte veranstalten.

Was Heinrich Weidt dazu veranlasst hat, sich wieder im südungarischen Raum ansässig zu machen, wissen wir nicht. Es ist jedenfalls bekannt, dass die musikalischen Verhältnisse in diesem Teil der österreich-ungarischen Monarchie regelmäßig in den deutschen und mitteleuropäischen Musikzeitungen und Zeitschriften jener Zeit besprochen wurden. Man konnte darin nicht nur die neuesten musikalischen Nachrichten aus dem Banat und aus Siebenbürgen, sondern auch Ausschreibungen bezüglich freigewordener Stellen als Chormeister oder Musikdirektor, Kapellmeister oder Domorganisten erfahren. Temeswar oder Hermannstadt, Werschetz oder Pantschowa, Sathmar oder Kronstadt waren Kulturzentren mitteleuropäischen Charakters, die sich nur dadurch von jenen in Böhmen und Süddeutschland unterschieden, dass hier seit Jahrhunderten viele Nationalitäten nebeneinander wohnten.

Dazu gehörten auch die musikalischen Traditionen dieser Orte, in denen Musik als ein Bindeglied zwischen diesen Kulturen verstanden wurde. Wenn auch Sprache und Dialekt von Ort zu Ort verschieden waren, die Musik brachte sowohl Deutsche als auch Ungarn, Slawen und Rumänen zusammen: in den Gasthäusern wurden gemeinsam die ungarischen, deutschen, serbischen oder rumänischen Lieder gesungen, in den philharmonischen Vereinen musizierte man gemeinsam die Werke Schuberts, Brahms´ oder Wagners, bei Chorfesten traten oft gemeinsam die Gesangvereine sämtlicher Ethnien auf. In vielen Fällen war es so, dass der Chorleiter des deutschen Gesangvereins gleichzeitig auch der Chorleiter des serbischen oder rumänischen Chores war.

Eine solche Situation gab es auch in Kubin (serbisch: Kovin, Wojwodina), als Heinrich Weidt sich 1893 um die freigewordene Chorleiterstelle des dortigen Männergesangvereins bewarb. Kubin befindet sich in der Nähe von Weißkirchen (serbisch: Bela Crkva, rumänisch: Biserica Albă, ungarisch: Fehértemplom) und Werschetz, Banater Orte, die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zu Serbien gehören. Diese Orte bestanden damals alle aus deutschen, serbischen, ungarischen und rumänischen Bürgern, die deutschen Einwohner bildeten in jener Zeit fast den größten Teil der Bevölkerung.

Im Herbst des Jahres 1893 meldete die deutschsprachige Weißkirchner Zeitung „Die Nera“ die Ankunft des neuen Chorleiters Heinrich Weidt in Kubin.

Nur einige Tage später berichtete man in der gleichen Zeitung nicht nur über das in Temesch-Kubin stattgefundene Konzert vom 28. Oktober 1893, sondern auch über Louise Weidt, die „liebreizende Mädchenknospe“, die als Klavierspielerin zum ersten Mal aufgetreten ist. Dies ist die erste Konzertkritik über Lucie Weidt, wie sie später als Primadonna der Wiener Hofoper heißen wird.

Die Persönlichkeit Heinrich Weidts strahlte auch bis Weißkirchen aus. Man verfolgte mit Erstaunen die musikalischen Veranstaltungen in der Provinz Temesch-Kubin und lud die Tochter Weidts, Louise, als Pianistin zu einem gemeinsamen Konzert des Rumänischen Vocalchors und des Gewerbegesangvereins nach Weißkirchen ein. Dieses Weißkirchner Debut der „jungen Mädchenknospe“ Louise Weidt sowohl als Klavierspielerin als auch als Sängerin beschrieb die Zeitung so: „(…) wir erwähnen deshalb in Kürze nur, dass in diesem Concert Frl. Louise Weidt aus Kubin an erster Stelle zu nennen ist, welche nicht nur als Klavierspielerin, sondern auch als Sängerin Furore machte und sich für ihr prächtiges Spiel und den lieblichen Gesang stürmischen Beifall errang. Frl. Louise Weidt ist eine anmuthige Erscheinung und nahm Aller Herzen im Nu gefangen. Wir gratulieren zu diesem ersten Debut! (…)“
Ende Dezember 1894 kündigte Weidt seine Stelle als Chorleiter des Deutschen Männergesangvereins in Kubin, da er zum Chormeister des Werschetzer Männergesangvereins, als Nachfolger Fritz Rengers, ernannt wurde. Man bedauerte seinen Weggang, da er den Kubiner Chor auf eine „angesehene Höhe“ gebracht hat. Sein letztes Konzert in Kubin dirigierte er anlässlich der Silvesterliedertafel vom 31. Dezember 1894.

Obzwar Heinrich Weidt zum Beginn des Jahres 1895 die Leitung des Männergesangvereins in Werschetz übernehmen wird, will er drei Tage in der Woche in Weißkirchen Unterricht erteilen, wie er in einer Zeitungsannonce ankündigen ließ. Er unterschreibt sich hier zum ersten Mal als „Musikdirektor und Chormeister des Werschetzer Männergesangvereins“.