Kulturhauptstadt Temeswar 2023: Nach elf Jahren wieder eine Ausstellung in Temeswar

Ein Gespräch mit dem rumänischen Maler Cristian Sida

Ein Tag vor der Vernissage der „Romul Nuțiu“-Retrospektivausstellung wurde in der europäischen Kulturhauptstadt 2023 eine Vorschau auf die kommende Ausstellung des Malers Cristian Sida eröffnet. Die Besucher der Interart-Triade-Stiftung konnten für knapp zwei Wochen eine Welt entdecken, in der sich Linien und Farben einen inneren Kampf liefern. Acht Werke aus den Jahren 2016-2023 bildeten die kleine Vorschau auf die große Expo im kommenden Winter. Die Ausstellung „Sparring Partners“, die die Jecza-Galerie beherbergen wird, ist Teil des nationalen Kulturprogramms „Temeswar - Europäische Kulturhauptstadt 2023“. Cristian Sida ist Dozent an der Fakultät für Kunst und Design der West-Universität. Er gehört zu den rumänischen Künstlern, die sich auch international behauptet haben. Seine Werke werden weltweit in großen Galerien ausgestellt, andere sind großformatige Wandmalereien in Frankreich. Seit mehr als einem Jahrzehnt hat Cristian Sida keine Ausstellung mehr in Temeswar/Timi{oara gehabt. Zur Vorschau, aber auch zur bevorstehenden Ausstellung sowie zu seinem Schaffen allgemein äußerte sich der in Arad gebürtige Maler im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Andreea Oance.

Die Temeswarer konnten bis zum 18. Juli acht Ihrer Werke aus den Jahren 2016 bis 2023 als Vorschau auf eine deutlich größere Ausstellung bewundern. Trotzdem konnte man sagen, dies war eine Ausstellung an sich.

2016 bis 2023 ist eine Zeit, die, sagen wir, unter dem Sternzeichen der Linienzeichnung und mit Wiederholungen in meiner Bildsprache, mit der ich mich in den 90er Jahren in Temeswar etabliert habe, steht. Es gibt sieben kleine Zeichnungen auf alternativen Trägern, eine Art angepasstes Ready-made, die die Form von Collagen, Gedanken, zufälligen Texten und utopischen Zeichen annehmen. Zugleich stelle ich auch ein großes Werk aus, zwei mal drei Meter. Was passiert, was hinter diesem Werk steckt, sind eigentlich Erinnerungen, die während der Entstehung des Werks angepasst werden. Französische Memoiren, denn ich male im Sommer viel in Frankreich und auf Korsika. Hier sind Werke, die sich irgendwie auf meine Ferien beziehen, wo ich mich am wohlsten fühle.

Wieso eine Vorschau?

Dass wir diese Vorschau organisiert haben, ist Andrei Jecza zu verdanken. In der Silvesternacht hatten wir ein spontanes Gespräch in seiner Galerie und entschieden: Lass es uns machen! Anfangs stellten wir uns eine große Ausstellung im Sommer vor. Da es zu ungeplanten Nebenveranstaltungen kam, entschieden wir uns für eine Vorschau im Sommer im Raum der Triade-Stiftung und eine viel größere Ausstellung im Winter in der großen Jecza-Galerie. Es ist wie ein Avant-goût, wie die Franzosen sagen würden. Im Winter wird eine Auswahl all dessen gezeigt, was ich zwischen 2016 und 2023 geschaffen habe. Diese Werke sind auch Teil des Bildbandes „16 – 19“. Der Bildband umfasst Werke, die während der drei Jahre, auf die er sich bezieht, entstanden sind. In der Ausstellung kommen auch solche aus den darauffolgenden Jahren hinzu. Der Bildband wurde vom Verlag der West-Universität mit Unterstützung des deutschen Sammlers und Temeswar-Freundes Gheorghe Gleca veröffentlicht. Mehr aber will ich nicht verraten. Die Ausstellungim Winter soll eine Überraschung sein.

Die Ausstellung heißt „Sparring Partners“. Warum haben Sie diesen Namen gewählt?

Ganz einfach. Wenn ich male, höre ich Musik. Wenn ich eine Rangliste aufstellen würde, stünde die Musik für mich ganz oben, was die Bedeutung angeht. Ohne Musik kann ich weder leben, noch malen. Und jedes Mal, wenn ich etwas höre und gleichzeitig zeichne oder male, wenn mir der Klang eines Textes, eines Stückes, einer Metapher gefällt, übertrage ich es direkt auf die Leinwand, ohne darüber nachzudenken, ob es in den imaginären Kontext dort passen kann oder nicht. Die utopische Beziehung zwischen dem Text und dem Inhalt des Werks ergibt sich automatisch. Sparringspartner sind externe Personen, die mit dem Klienten zielorientiert an Herausforderungen arbeiten, um einen Soll-Zustand zu erreichen, etwa einen besseren Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten. Bei mir können es, wie ich sage, die Figuren sein, die mich in meinem Unterbewusstsein begleiten, die ich nicht kenne. Natürlich gibt es auch hier Beweise und Realitäten, wenn ich mich auf die Landschaften auf Korsika beziehe, die die Natur als Prämisse haben, oder besser gesagt, ich installiere die Natur dort, ich tausche z.B. das Meer gegen den Himmel aus oder den Berg gegen einem Baum. Es handelt sich also nicht um eine vorbereitete, narrative, lineare, verständliche Landschaft, sondern um eine interpretierte Landschaft, eine utopische Lanschaft, die Raum für mehrere Interpretationen ermöglicht, die eine Definition des Standorts der Figuren in den Rahmen sein kann, die sie dort, vor Ort, konzipieren, und das Ergebnis erscheint auf den großen Werken im Atelier.

Es ist die erste persönliche Ausstellung nach elf Jahren in Temeswar. Wieso sollten Kunstbegeisterte diese Expo nicht verpassen?

Zunächst einmal ist diese Ausstellung für diejenigen, die mich nicht kennen, die mich aber online verfolgen. Sicherlich werden diejenigen kommen, die mir schon lange folgen, und wahrscheinlich sind auch aktuelle Studenten neugierig, denn ich habe bisher nur kontextuelle Ausstellungen gemacht. Es ist eine große Ausstellung, es werden dort drei-vier Werke sein, die gemessen zwei mal drei Meter ergeben. Ich werde etwa 20 bis 30 Zeichnungen ausstellen, die der Öffentlichkeit weniger bekannt sind, darunter jene mit Interventionen zu den Fotografien der österreichischen Künstlerin Vera Branner. Die Arbeit begann 2016 spontan und zufällig und dauerte etwa zwei Jahre. Diese Periode mit den Eingriffen in die Fotografie ist eher eine Nische, weil die Leute mich zunächst einmal nicht als jemanden identifizieren würden, der Eingriffe auf den Trägern anderer vornimmt, aber hier wird mit dem Zufall gespielt, das hat mich zum Nachdenken gebracht und mir Arbeit gegeben. Einige halten dies für das Wichtigste meiner Werke, und Kritiker und jene, die ihre Meinung sagen und mir nahe stehen, meinen, dass es die interessanteste meiner Schaffensperioden sei.

Temeswar präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr sehr gut im Bereich der visuellen Künste - Bildhauerei, zeitgenössische Kunst und Künstler, aber auch klassische rumänische Künstler. Wenn der Künstler Cristian Sida Kurator wäre, was würde er für dieses Jahr auswählen?

Ich freue mich über diese Frage! Ich möchte unbedingt an die Ausstellung meines Lehrers, meines Meisters erinnern, denn Romul Nuțiu, dem ich alles zu verdanken habe, er hätte bestimmt nicht in dem Programm gefehlt, wenn ich Kurator gewesen wäre. In Temeswar hatten wir auch die Victor-Brauner-Ausstellung, die ich mit meinen Studenten gleich vier Mal besucht habe. Des Weiteren war die Paul-Neagu-Ausstellung sehr wichtig, denn eine Retrospektive bietet stets eine viel klarere und objektivere Idee zum Künstler. Die Stadt Temeswar ist lebendig. Es gibt leider immer noch logistische Probleme, aber ich freue mich, dass immer wieder Lösungen gefunden werden. Es gibt auch ein Projekt in der Pygmalion-Galerie, das eine Art legitime Wiederherstellung des kollektiven Gedächtnisses derjenigen ist, die die jungen Leute von heute geformt haben, wie Simion Lucaciu oder Maxim Octavian. Es sollen aber auch andere - diejenigen, die in den 60er Jahren dafür gesorgt haben, dass Temeswar eine Kunstfakultät hat - in das Bewusstsein der jungen Leute gebracht werden.

Sie haben Ihre Studenten erwähnt: Was bedeutet es für die Kunststudenten in Temeswar, Werke von u.a. Brauner und Brâncuși hier bewundern zu können?

Es bedeutet ihnen alles! Ich sage ihnen oft im Unterricht, dass eine Woche im Museum sie mehr als ein ganzes Semester an der Uni beeinflussen kann. Das heißt nicht, dass ich die Rolle der Schule außer Acht lasse. Wir haben nicht den Louvre auf der anderen Seite der Bega, das Pompidou oder die Tate. Wir haben nur die Möglichkeit eines virtuellen Zugangs. Es ist wie das Durchblättern eines Buches, nicht wahr? Es ist ein Unterschied, ob man in einem Buch blättert oder online zugreift. Natürlich sind sie aufgeregt, die Dinge, über die wir in den Vorlesungen sprechen und auf die ich mich manchmal beziehe, hautnah zu sehen. Ich habe dann manchmal schon das Gefühl, diese Erlebnisse in ihrem Schaffen zu bemerken.

Sie werden als einer der größten Maler Mitteleuropas angesehen. Neben zahlreichen Ausstellungen und Auftritten in französischen Galerien haben Sie auch eine Reihe von monumentalen Wandildern, die Gebäude in Frankreich schmücken, geschaffen. Wo sind diese zu sehen?

Einige kann man noch sehen. Man hätte ein Werk in Paris sehen können, aber Sprayer haben es nach einem Monat zerstört, auch wenn es sich um den vierten Stock eines Gebäudes handelt. Es gibt noch drei monumentale Werke im Norden Frankreichs sowie in der Nähe der Region Pas-de-Calais Padeu Cale Normandie, ein Werk von 12 mal 1,5 Metern in einem Showroom. Weitere kann man noch im Zentrum Frankreichs sehen, wo ich ein Haus besitze und einen Auftrag von der Stadtverwaltung erhalten habe. Das 70 Quadratmeter große Werk „Aubusson vu par Cristian Sida“ - eine Collage subjektiver kultureller und geografischer Bezüge, die mit Acryl, Spray, Marker und Lack auf Leinwand übertragen wurden - wurde letztes Jahr während der Fête de la Musique in Aubusson gezeigt.

Sie waren Student von Romul Nuțiu. Eine Retrospektive des Künstlers wurde neulich in Temeswar eröffnet. Wie war es für den Studenten Cristian Sida, Romul Nuțiu als Lehrer zu haben?

Die Begegnung mit Romul Nuțiu war für mich eine Abhandlung über Malerei und Freiheit, denn die wichtigste Disziplin, die er uns lehrte, war, wir selbst zu sein, und dazu auch noch so rein wie möglich als Schöpfer. Das ist eine sehr harte Lektion. Neben dieser Freiheit, neben den sehr strukturierten Themen der Farbe und der Komposition, die für mich eine Art Bibel der Malerei waren und immer noch sind, hatte Romul Nuțiu eine außergewöhnliche Nonchalance und Großzügigkeit. Er ging an Problemen vorbei, ihn interessierte nur die Freude und die Energie zum Schaffen. Die Tatsache, dass ich seine Tradition als Lehrmethode fortführe ist, so hoffe ich, eine moralische Verpflichtung gegenüber der Kunstschule und den Studierenden, denn so wie er mich geformt hat, bin ich auch verpflichtet, meine Studenten zu formen. Was mich fasziniert hat und das ist keine Geschichte, nicht einmal eine Legende: Als ich meine Multiversum-Ausstellung in Bukarest, ein Jahr nach dem Tod von Romul Nuțiu, hatte, erzählte mir Joana Greves, die für das Werk von Nuțiu zuständig ist, dass Nuțiu ihr gesagt hätte, dass er in seinen letzten Werken von mir inspiriert gewesen wäre. Ich war schockiert, dass ich meinen Lehrer, meinen Mentor, inspiriert habe. Im letzten Raum der aktuellen Ausstellung im Temeswarer Kunstmuseum sind somit Figuren dieser Art - mit grafischen Umrandungen, mit Totenköpfen - zu sehen. Wenn Besucher mich in diesen Werken erkennen und denken, es war umgekehrt, dass ich mich davon inspiriert habe, ist es auch wunderbar.

Was folgt nun für Cristian Sida, abgesehen von der Ausstellung im Winter?

Ich fahre für einen Monat nach Frankreich und werde dort malen. Der August wird also ein Monat des Schaffens ohne Unterbrechung sein, von morgens bis abends. Danach werde ich natürlich nach Temeswar zurückkommen, hier im Atelier arbeiten und die Ausstellung vorbereiten. Ich werde aber auch als Projektleiter für einen Skulpturenpark in Nordfrankreich verantwortlich sein, zu dem unsere Studenten und Absolventen eingeladen sind. Es wird ein etwa 15 Hektar großer Park sein, in dem ausschließlich Skulpturen von jungen Europäern zu sehen sein werden. Dieser wird im nächsten Frühjahr in Mericur, im Norden Frankreichs, zu sehen sein.