Purpurhimmel für die Karwoche

Mittelalterliche Meisterwerke aus Rumänien im Bukarester Kunstmuseum

Am Mittwoch vor Ostern wurde im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens in Bukarest eine Ausstellung eröffnet, die noch bis zum 30. Juli dieses Jahres besichtigt werden kann und den schönen Titel trägt: „Ceruri de purpură. Văluri liturgice cu tema Plângerii“ (Purpurhimmel. Liturgische Tücher mit dem Thema der Beweinung). Nicht von ungefähr haben die Kuratoren der Ausstellung als deren Eröffnungsdatum die Karwoche bestimmt, weil einerseits die im Zentrum der Ausstellung stehenden Themen der Kreuzabnahme und der Beweinung zentrale Motive der Karwochenliturgie darstellen, und weil andererseits die hier ausgestellten liturgischen Tücher von Priestern in der Karwoche als Symbol des Himmels und damit des göttlichen Schutzes auf dem Kopf getragen oder über ihm gehalten wurden.

Die Ausstellung im ersten Stock des Kunstmuseums (Eingang von der Calea Victoriei aus) in den Räumen der Galerie Alter Rumänischer Kunst umfasst diverse Exponate aus fünf Jahrhunderten: Ikonen, Stickereien, liturgische Gefäße und andere Kultobjekte, silberverzierte Buchdeckel und Tischkreuze, um nur die wichtigsten Exponatgruppen zu nennen. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie mit Szenen der Leidensgeschichte Christi geschmückt sind, wobei die Darstellungen der Kreuzabnahme, der Beweinung und der Auferstehung Jesu thematisch am häufigsten vertreten sind.

Außerdem haben die Besucher die Gelegenheit, im Rahmen dieser Ausstellung auch den Film „Soarele negru“ (Die schwarze Sonne) aus dem Jahre 1968 von Slavomir Popovici (1930-1983) zu betrachten, einem Dokumentarfilmregisseur, der sich in zahlreichen Werken seines Filmschaffens mit mittelalterlicher rumänischer Kunst auseinandergesetzt hat und dabei unter der Zensur des kommunistischen Regimes in Rumänien zu leiden hatte. So wurde just besagter Film, der sich mit mittelalterlichen Stickereien zum Thema der Beweinung Jesu befasst, von der staatlichen Zensur verboten, weil er den Bildern einen Begräbnishymnus (Cântarea Prohodului) unterlegt hatte, der im Rahmen der Karfreitagsliturgie in den Kirchen der rumänischen Orthodoxie gesungen wurde. Erst nachdem der gesungene Hymnus durch einen anderen gesprochenen Kommentartext ersetzt worden war, durfte der Film im Rumänien jener Jahre gezeigt werden.

Auf der Empore des Saales 4 der Galerie Alter Rumänischer Kunst, wo dieser Dokumentarfilm von Slavomir Popovici zu sehen ist, befindet sich auch das vielleicht schönste Exponat der Ausstellung. Es handelt sich um einen Epitaphios aus dem Jahre 1628 aus der Barnovschi-Kirche in Jassy. Ein als Epitaphios (rum. epitaf) bezeichneter liturgischer Gegenstand ist ein rechteckiges Stofftuch, auf dem ein Bild mit dem Thema der Beweinung Christi eingenäht ist. Er symbolisiert gewissermaßen das Grabtuch des Erlösers. Um das Bild herum ist in der Regel ein Vers oder eine kurze Strophe aus einem Troparion, einem Ausschnitt aus einer liturgischen Dichtung, eingestickt. Der das Bild rahmende Text wird seinerseits durch einen in der Regel blauen oder purpurroten Hintergrund umrahmt, der die Kuratoren der Bukares-ter Ausstellung zu deren Titelbegriff „Purpurhimmel“ inspirierte. Der wunderbar bestickte, mit Silber- und Goldfäden durchwirkte und exzellent beleuchtete Epitaphios aus Jassy zeigt den ausgestreckt daliegenden Jesus, umstanden von den Erzengeln Michael und Gabriel, die dem Sohn Gottes mit Kultgegenständen huldigen: einem Weihrauchgefäß (rum. cădelniţă) und einem mit einem Seraph geschmückten Zeremonialstab (rum. ripidă). Über Christus thront in der Mitte ein sechsflügeliger Seraph, der ebenfalls zwei Zeremonialstäbe mit Seraphim in Händen hält. Die in das Bild eingestickten Sterne, die wie Blüten wirken, sowie das das Bild in Majuskeln umlaufende Textband bereichern die ästhetische Qualität dieses einzigartigen Epitaphios.

Nachdem man auf der Empore drei weitere Epitaphien aus dem 17. und 18. Jahrhundert, darunter einen Epitaphios aus dem Moldaukloster Agapia aus der Hand des nach Wiener Vorbildern arbeitenden makedonischen Kunststickers Christopher Zefarovic, betrachtet sowie eine Reihe von herrlich verzierten Kultgegenständen (Kelch, Teller, Kultlöffel, Asteriskus, Pyxis, Velum etc.) bewundert hat, steigt man wieder hinab in den Saal 4 der Galerie Alter Rumänischer Kunst, wo weitere Epitaphien ausgestellt sind, so ein Epitaphios aus der Jassyer Kirche „Trei Ierarhi“ (Drei Hierarchen), das im Jahre 1638 gefertigt wurde. An diesem Stofftuch lässt sich zeigen, dass etwa Mitte des 17. Jahrhunderts der traditionelle Seidenhintergrund der Epitaphien allmählich durch Samt ersetzt wurde.

Die Kuratoren der Bukarester Ausstellung haben insofern eine sehr schöne Idee verwirklicht, als die Exponate der Ausstellung „Purpurhimmel“ nicht nur im Saal 4, sondern verstreut (und markiert durch vor den entsprechenden Exponaten aufgestellte museographische Erläuterungsschilder) in allen Sälen der Galerie Alter Rumänischer Kunst zu finden sind. Als Besucher der Ausstellung muss man sich also auf Entdeckungsreise begeben und sich in anderen Sälen der Galerie auf die Suche nach den einzelnen Exponaten machen, wobei man gleichzeitig die ständige Sammlung des Kunstmuseums durchstreift und sie dadurch en passant näher kennenlernt. Eine exzellente museumspädagogische Idee!

So stößt man beispielsweise in Saal 1 auf die älteste Stickerei der Ausstellung, einen Epitaphios aus dem Jahre 1396, der aus dem wenige Jahre zuvor von dem walachischen Woiwoden Mircea dem Alten gegründeten Kloster Cozia im Alt-Tal stammt. Das reich verzierte Stofftuch wurde vermutlich in einer der namhaften Werkstätten des Byzantinischen Reiches gefertigt, was seine exzellente Qualität nahe legt. Auf diesem Epitaphios ist noch der blaue Hintergrund sichtbar, der in Epitaphien späterer Zeiten durch den purpurnen Hintergrund ersetzt wurde. Die blaue wie die purpurrote Farbe war ursprünglich der kaiserlichen Familie vorbehalten, wandelte sich dann aber im Lauf der Kunstgeschichte zum göttlichen Attribut. Auch auf diesem ältesten Epitaphios ist die Beweinung Jesu durch Maria abgebildet, in der Gegenwart von vier Engeln, die mit Fackeln und Zeremonialstäben ausgerüstet sind.

Zwei Epitaphien der Ausstellung „Purpurhimmel“ seien abschließend noch eigens erwähnt. Zum einen der Epitaphios des Abtes Siluan aus dem Männerkloster Neam] im Nordosten Rumäniens. Dieser älteste moldauische Epitaphios aus dem Jahre 1437 besticht durch die expressive Darstellung der Leidensmienen von Maria und Maria Magdalena bei der Beweinung Jesu sowie durch seine Bildkomposition, die neben fünf Engeln und den vier Evangelisten auch das sechzehn Mal auftretende Motiv des gleicharmigen Kreuzes im roten Kreis mit einbegreift. Zum anderen ein Epitaphios aus Dobrova], das kurz nach der Gründung des Klosters durch den moldauischen Woiwoden Stefan den Großen in dessen Auftrag im Jahre 1506 gefertigt wurde. Es zeigt den toten Jesus mit dem Kreuznimbus, beweint von der Mutter Maria in Gemeinschaft mit Nikodemus und Joseph von Arimathia, gerahmt von betenden Engeln und den vier Evangelisten, im himmlischen Licht der Sonne, des Mondes und der Sterne.