Sammeln, Bewahren und Ordnen: das katalogisierte Gedächtnis

Archive in Rumänien – Das Hauptthema der neuesten Ausgaben der „Spiegelungen“ (II)

Wie bereits angeführt, liegt der Schwerpunkt des zweiten Bandes auf der Hauptgruppe der Banater Schwaben, aber auch eine Reihe kleinerer Gruppierungen deutscher Minderheiten sowie einige Spezialthemen werden behandelt.
So stehen am Anfang hier Berichte zu der Kreisdienststelle Temeswar des Rumänischen Nationalarchivs von Marlen Negrescu und den Beständen in Karasch-Severin/Caraș-Severin von Laurențiu Ovidiu Roșu. Anders als in Hermannstadt oder Kronstadt erfolgte im Banat und Banater Bergland eine Besiedlung durch Deutsche erst wesentlich später als in Siebenbürgen, d. h. nach dem Fall des osmanischen Reiches. Viele ältere Akten wurden von der abrückenden osmanischen Armee mitgenommen. Dennoch gibt es im Bestand z. B. des Museums Temeswar einige ältere Urkunden. Das Gros der Unterlagen mit deutschem Bezug stammt aus der österreichischen Regierungszeit in den Beständen des Rumänischen Nationalarchivs und die Findbücher können größtenteils online abgerufen werden.

Neben den Akten der k.u.k.- Zeit gibt es aus der bewegten jüngeren Geschichte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg auch eine Fülle von Material zu kulturellen Einrichtungen, z. B. dem deutschsprachigen Theater in Temeswar oder den Schulen und Gymnasien. In der Kreisdienststelle Karasch-Severin liegt der Focus hingegen mehr auf der militärischen Grenzsicherung – z. B. gibt es hier Akten zu dem walachischen Grenzregiment Nr. 13 Karansebesch – und auf der wirtschaftlichen Entwicklung, an der deutsche und österreichische Siedler und Facharbeiter maßgeblich beteiligt waren – z.B. die Bestände zum Eisenwerk und zu den Hochöfen von Reschitza. Auch hier gibt es Unterlagen zu schulischen und kulturellen Entwicklungen, wie den Musikvereinen und vieles mehr. Zu den verstreut und spärlich vorhandenen schriftlichen Hinterlassenschaften der relativ jungen Gemeinde der Zipserdeutschen in Oberwischau gibt der Vizevorsitzende des dortigen Demokratischen Forums, Alfred Ludovic Fellner, einige Informationen. Auch das erst 2004 eröffnete Jugend-, Dokumentations- und Kulturzentrum „Alexander Tietz“ in Reschitza verfügt mittlerweile über eine Bibliothek, in der rumäniendeutsche Bücher gesammelt werden, wie der Gründer des Zentrums, Erwin Josef }igla, der einen kurzen Abriss über Entstehung und Aufgabenstellung gibt, zu berichten weiß. Bernadette Baumgartner hat sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit ausführlich mit den Deutschen im Verwaltungskreis Sathmar beschäftigt und daher zahlreiche Archive in Berlin, Budapest, aber auch in Rumänien konsultiert, hier schreibt sie ausführlich über die relevanten Bestände im Sathmarer Diözesanarchiv und verschiedenen Pfarrämtern. Im Wesentlichen geht es dabei um Matrikeln, d. h. Tauf-, Trauungs- und Sterberegister der Kirche, die über demografische Entwicklungen Auskunft geben, aber auch Unterlagen über die schulischen Einrichtungen oder die „Deutsche Bewegung“ der Zwischenkriegszeit können aufgespürt werden.

Aus dem Altreich, d. h. Oltenien und Bukarest, gibt es ebenfalls einige Materialien, so in der Kreisdienststelle Dolj in Craiova, die Peter Mario Kreuter besucht hat, da im Zuge der Industrialisierung hier österrei-chisch-ungarische Fabriken angesiedelt waren und sich das Gebiet zeitweilig auch unter deutscher Besatzung befand. Schließlich berichtet auch Hannelore Baier über ihre Rechercheerfahrungen im historischen Zentralarchiv in Bukarest. Gerade zu den jüngeren Dokumenten der Nachkriegszeit, der Zeit der Verschleppung der Deutschen in den Donbass oder anderen politisch sensiblen Themen sind die entsprechenden Materialien kaum aufzufinden, wenn sie überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich sind. Ohne ihre Empfehlungen und Hinweise dürfte sich eine Recherche äußerst schwierig gestalten.

Dem Kulturerbe der heute fast gänzlich verschwundenen Dobrudschadeutschen widmen sich die Beiträge von Tobias Wegner und der Sondergruppe, die katholischen Glaubens sind, Marius Oan]˛. Letzterer geht den verschlungenen Wegen nach, die der Bestand des ehemaligen Archivs des römisch-katholischen Erzbistums Bukarest ins heutige Stadtarchiv der Hauptstadt nahm. Nur knapp 100 Jahre währte die Siedlungstätigkeit der z. T. aus Russland vertriebenen Deutschen in der Dobrudscha, deren kulturelle Hinterlassenschaften heute weit verstreut in verschiedensten Archiven gelandet sind. In Deutschland finden sich in Archiven u. a. in Berlin, Heilbronn, Freiburg oder durch die Sammeltätigkeit des ehemaligen Bukarester Erzbischofs Netzhammer im Klosterarchiv von Einsiedeln in der Schweiz vielfältige Belege, in Rumänien außer in Bukarest u. a. in Archiven der Securitate, in Konstanza und Tulcea, im bulgarischen Regionalarchiv Varna und selbst im osmanischen Archiv des Premierministers in Istanbul, hier aber zumeist in arabischer Schrift.

Einen geografisch und thematisch weit gesteckten Rahmen verfolgt Mariana Hausleitner mit ihrer „Archivforschung über Deutsche und Juden in Rumänien, der Moldaurepublik und Ukraine“. Aus ihrer langjährigen Erfahrung bereits in kommunistischer Zeit, aber auch unmittelbar nach der Wende vor allem zu Themen, die den Zeithorizont zwischen 1918 und 1944 betreffen, berichtet sie hier. In Bukarest lassen sich im Nationalarchiv zur Minderheitenproblematik in den Beständen verschiedener Ministerien, wie der Justiz, des Inneren oder für Propaganda, Materialien auffinden. Vergleichend zu den rumänischen hat sie Akten aus dem staatlichen Archiv des Bezirkes Czernowitz (Ukraine), aber auch im Nationalarchiv der Republik Moldau, u. a. Berichte der dortigen Geheimpolizei, gesichtet.

Zu den Donauschwaben und ihrer Beurteilung durch rumänische Institutionen wurden die Kreisdienststellen u. a. von Temeswar und Karasch-Severin konsultiert, zu Umsiedlungen aus der Bukowina Akten aus dem Archiv des Außenministeriums und zur Repatriierung von Nichtrumänen, z. B. Ukrainern, das Bukarester Staatsarchiv. Weitere Anlaufstellen, insbesondere zu den Kriegsjahren, sind die Militärarchive von Pitești, die aber nur durch spezielle Genehmigungsverfahren ebenso wie die Securitate-Archive, zugänglich sind.

Weniger die Zugänglichkeit als vielmehr die „Aussagekraft jedes einzelnen Schriftstückes“ (S. 88) sollte laut der Autorin Laura G. Laza hinterfragt werden, die über die „Recherchen zu deutschsprachigen Autoren im Archiv des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes“ berichtet. Obwohl Akten in den verschiedensten Beständen auch unvollständig sein können, lassen sich Informationen zu den Schriftstellern selbst, z. B. aus Observierungs- oder Prozessakten, als auch unveröffentlichte Manuskripte, Briefe und ähnliches „authentisches“ Material gewinnen, die für die „rumänische Literaturgeschichte von unbestreitbarem Wert“ (S. 89) sind.

Neben dem geschichtlich und literarisch relevanten Archivgut, gibt es jedoch auch Sammlungen, die sich mit ganz anderen Kulturgütern beschäftigen. Für die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ betreut Christian Binder den fotografischen Nachlass des langjährigen Mitarbeiters Edmund Höfer. Genauer war Edmund Höfer von den 1950er bis1980er Jahren der Pressefotograf des „Neuen Weges“, der Vorgängerzeitung der ADZ, und hat dieser ein umfangreiches Material hinterlassen, das der Autor des Artikels nun in mühevoller Kleinarbeit restauriert und digitalisiert. Wie lohnend diese Anstrengung ist, kann man auf dem entsprechenden Instagram-Account bereits verfolgen. Gerade weil nicht die politisch relevanten Großereignisse, sondern Kunst, Sport, Musiker, Industrie- und Landschaftsszenen auch abseits des Gewohnten in seinen Fokus gerieten, sind diese, wenn auch subjektiven Ausschnitte für den heutigen Betrachter so interessant, wie Binder in seinen Ausführungen betont.

Ein weiteres, vielleicht unerwartetes Sammlungsgebiet stellt die Musikgeschichte dar. Hierzu liefert Franz Metz den Beitrag „Zur Erforschung der Musikkultur der deutschen Minderheiten Rumäniens“, der, wie er gleich zu Anfang erläutert, erst in postkommunistischer Zeit überhaupt möglich wurde, denn insbesondere die Kirchen- und Orgelmusik waren dem damaligen Regime ein Dorn im Auge und die entsprechenden Archivalien wurden nur unzureichend inventarisiert. Dennoch können heute in den Kreisdienststellen von Hermannstadt, Großwardein, Temeswar oder Klausenburg Musikalien aller Art, von Aufführungsmaterialien bis zum Orgelbau, gefunden werden. In städtischen Museen von Lugosch, Reschitza oder Temeswar können in den Beständen Akten zu Musikvereinen, Nachlässe von Komponisten oder Plakate von Aufführungen gesichtet werden. Allerdings scheint ein Teil auch in Sammlungen außerhalb Rumäniens abgewandert zu sein, so nach Ungarn, Österreich oder Deutschland. Insgesamt scheint sich hier ein weites Feld für zukünftige Forscher aufzutun.

Über das jiddische Theater wurde bereits referiert, ergänzend hat sich Ursula Wittstock des Themas „Archivgut und Sammlungen zum deutschen Theater in Siebenbürgen und im Banat“ angenommen. Dabei ist die Überlieferung, obwohl die Anfänge hier für Hermannstadt bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, auf Grund der politischen Ereignisse recht lückenhaft. Dabei scheint die Situation in Temeswar etwas günstiger ausgefallen zu sein, da hier der Archivbestand gerettet werden konnte, während Hermannstadt große Verluste seines Archivgutes zu beklagen hatte. Dennoch gibt es in Privatsammlungen, z.B. von Wolfgang Wittstock (Hermannstadt), aber auch in den entsprechenden Theater-, und Kreisdienststellen noch etliche Dokumente wie Programmhefte, Typoskripte, Zeitungsausschnitte und vieles mehr.

Unter der Rubrik Quellen findet sich in diesem Band ein Bericht über die „Erschließung des Nachlasses der Familie Capesius im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes“ von Franziska Stutz, den sie für das IKGS vorgenommen hat. Tagebücher, wissenschaftliche Aufsätze und eine Korrespondenz, die viele zeitgenössische Künstler und Schriftsteller umfasste, bieten Einblicke in das Geistesleben von Joseph Franz Capesius, den Philosophen und Pädagogen, seinen Sohn, den Schriftsteller und Dialektforscher Bernhardt und dessen Tochter Roswith, die sich um die Erforschung von Brauchtum und Volkskunst der Siebenbürger Sachsen verdient gemacht hat.

Aus dem weiteren Inhalt sei schlaglichtartig nur noch auf die Berichte zum XI. Internationalen Kongress der Germanisten Rumäniens in Großwardein und die 33. Internationale Siebenbürgische Akademiewoche des Studium Transylvanicum: „Rumäniendeutsche Literatur und Archive“ verwiesen, an der u. a. auch die Schriftstellerin Iris Wolff teilnahm, die im Literaturteil das Prosastück „Ein Baum ist schöner als ein Wald“ beisteuert. Die Illustrationen stammen diesmal vom Siebenbürger Gert Fabritius und unter den Gedichten von Franz Hodjak gibt es auch eine Geburtstags-Hommage für Georg Aescht.

Im Feuilletonteil sei auf die Besprechung und das Interview von Robin Gullbrandsson mit dem Bildhauer und Fotografen Peter Jacobi zu seinem Bildband „Siebenbürgen – Bilder einer Reise II. Wehr- und Kirchenburgen – Stillleben nach dem Exodus“ verwiesen und den knappen Bericht zur Leipziger Buchmesse 2018 von Klaus Hübner.

Der Nachruf von Catherine Roth gilt „Paul Philippi – Historiker, Professor für praktische Theologie und Politiker“, dessen Persönlichkeit und Lebenswerk im Dienst der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft sie ausführlich zu würdigen weiß. Zu den Jubilaren zählt diesmal Eginald Schlattner, dem Edith Konradt nicht nur zum 85.Geburtstag, sondern auch zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Klausenburg gratuliert. „Der siebenbürgische Zeitungsmacher und Kulturpublizist Hannes Schuster wurde 80“ und wird für sein Schaffen von Peter Motzan gewürdigt, während Tobias Weger als Gratulant für den Historiker Konrad Gündisch zum Siebzigsten auftritt.
Dies nur ein kurzer Auszug aus den vielen weiteren Beiträgen aus dem südosteuropäischen Raum, die die Lektüre dieser Zeitschrift immer so lesenswert machen.