Sinfonischer Tango

Analia Selis, Mariano Castro und das Kammerorchester des Rumänischen Rundfunks

Nach dem Erfolg der unter dem Motto „Vă place…Tango?“ (Gefällt Ihnen…Tango?) stehenden Tournee, die im Herbst letzten und im Juni dieses Jahres landesweit in Rumänien veranstaltet wurde, konnte das Bukarester Publikum am 7. Oktober im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks eine konzertante Fortsetzung dieses Tango-Projekts erleben, das die aus Argentinien gebürtige Sängerin Analia Selis gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem rumänischen Violoncellisten Răzvan Suma, initiiert hatte.

War zuvor Analia Selis gemeinsam mit Răzvan Suma und dem argentinischen Gitarristen Julio Santillan aufgetreten, so waren nun der argentinische Pianist und Komponist Mariano Castro sowie das Rumänische Radiokammerorchester unter der Leitung des Chefdirigenten der Banater Philharmonie, Radu Popa, die musikalischen Partner der beeindruckenden argentinischen Sängerin bei diesem Abend sinfonischer Tangomusik.

Die Arrangements für Stimme, Klavier und Kammerorchester stammten allesamt von Mariano Castro, der auch schon beim „Violinduell“ zwischen Liviu Prunaru und Gabriel Croitoru als Arrangeur sekundiert hatte. Gemeinsam mit seinem Ensemble „Narcotango“ wurde Mariano Castro bereits zweimal, 2009 und 2010, im Rahmen der Latin Grammy Awards in der Kategorie „Bestes Tangoalbum“ nominiert.

Der Bukarester Konzertabend begann mit einem Instrumentalstück des „Tango Nuevo“, mit Astor Piazzollas langsamem Tango „Oblivion“ (Vergessen), bei dem man den Klang des Bandoneons doch ein wenig vermisste, auch wenn die Streicher die wundervolle Melodie hingebungsvoll auf ihren Saiten erklingen ließen. Das Stück ging dann in Mariano Castros Arrangement unmerklich in einen Schlager über, der nicht nur 1929 in Argentinien in der Version des in Buenos Aires geborenen Benjamin Tagle Lara Furore machte, sondern auch zwei Jahre später in Rumänien zu Versen von Ion Pribeagu erklang und zu einem der populärsten Musikstücke der Zwischenkriegszeit im rumänischen urbanen Milieu wurde: der berühmte Tango „Zaraza“.

So wie die Sängerin Analia Selis bei den ersten Takten dieses Tangos fast unbemerkt die Bühne betreten hatte, so wurde ihr den ganzen Abend über das Parkett vor dem Orgelprospekt des „Mihail Jora“-Saales zum Spaziergefilde und Tanzplatz, indem sie sich singend zwischen den Instrumentalisten hindurchschlängelte, sich gelegentlich an den Flügel herantanzte oder auch solistisch an die Rampe der Konzertbühne trat. Der Dirigent Radu Popa wurde dabei abwechselnd zum Kavalier, zum Tanzpartner oder zum musikalischen wie mimischen Begleiter.

Gelungen war auch die Idee, die einzelnen Tangos nicht nur als spanisches Original darzubieten, sondern das Publikum durch Moderationen in rumänischer Sprache auf den jeweiligen argentinischen Tango einzustimmen, sei es durch eine gesprochene Inhaltsangabe, sei es durch eine gesungene Überleitung, sei es durch eine Einführung im Sprechgesang. So konnte man sich, ohne sich durch schriftliche Texte vor sich oder durch eingeblendete Übertitel über sich ablenken zu lassen, ganz den Klängen der sinfonischen Tangomusik hingeben.

Durch ihr schauspielerisches Talent gelang es Analia Selis auch, den Inhalt der Tangotexte auf der Bühne greifbar werden zu lassen, zum Beispiel beim Walzer-Tango „Flor de lino“ (Flachs), bei dem die Sängerin den imaginären Leinstängel in der Hand drehte und die blaue Leinblüte vor dem inneren Auge der Zuhörer wachrief. Und bei der Milonga „Se dice de mi“ (Man sagt von mir) verkörperte sie lebhaft eine Gestalt, die sich keinen Deut darum schert, was man über sie sagt.

Nach den bereits genannten und weiteren Tangos wie „Nostalgias“, „Los mareados“ und „Como dos extraños“ erklang dann der erste rein rumänische Tango, dessen Musik von Nel Martini und dessen Text von Dem Dubal stammt: „Mână, birjar!“ (Fahr los, Kutscher!). Hier reagierte das Publikum mit größter Begeisterung und die Atmosphäre der mondänen Bukarester  dr dreißiger Jahre wurde für kurze Zeit im Konzertsaal spürbar.

Ein zweites und zugleich letztes rein instrumentales Stück, wiederum von Astor Piazzolla, markierte den Übergang vom ersten zum zweiten Teil des Konzertabends, der ohne Pause dargeboten wurde: „Verano porteño“ (Sommer in Buenos Aires). Darauf folgten die Tangos „Palomita blanca“, „Milonga sentimental“ sowie ein erster Tango des berühmten Carlos Gardel zum Text von Alfredo Le Pera „El día que me quieras“ (Der Tag, an dem du mich liebst). Danach war wieder ein rein rumänischer Tango zu hören, der Schlager „Vrei să ne-ntâlnim sâmbătă seară? (Wollen wir uns am Samstagabend treffen?), dessen Melodie von Ion Vasilescu und dessen Verse von Nicuşor Constantinescu und Nicolae Vlădoianu stammen. Auch hier nahm das Publikum wiederum starken Anteil, manche der Zuhörer schienen sogar heimlich leise mitzusingen.

Den Höhepunkt des Abends bildete dann jener berühmte Tango, wiederum vom Gespann Cardel/Le Pera, der nicht zuletzt durch den Film „Scent of a Woman“ (dt. Der Duft der Frauen) weltberühmt wurde, in dem Al Pacino und Gabrielle Anwar zur Musik Carlos Gardels einen formvollendeten Tango aufs Parkett legen. Sein Titel lautet „Por una cabeza“ (Um Kopfeslänge), und sein Text beschreibt die Spielsucht eines bei Pferderennen Wettenden, wobei der Gewinn der Wette mit der Eroberung einer schönen Frau ineinsgesetzt wird. Hier konnten sich Sängerin, Pianist, Dirigent und Orchester voll entfalten und die Tango-, Tanz- und Filmatmosphäre auf der Konzertbühne mitreißend aufleben lassen.

Nach drei weiteren Tangos, „Baldosa floja“, „Cambalache“ und „El choclo“, erscholl dann der enthusiastische Schlussbeifall, der optisch mit mehreren Blumensträußen für die Sängerin, einem Blumenstrauß für den Dirigenten und einer roten Rose für den Arrangeur und Pianisten garniert wurde, bevor dann als Zugabe nochmals „Por una cabeza“ erklang, als Inbegriff jener Musikrichtung, die von der UNESCO seit 2009 offiziell zum Bestandteil des immateriellen Kulturerbes der Menschheit gezählt wird.