Temeswar 2023: Die Geschichte wird weiter geschrieben

Gespräch mit dem Geschäftsführer des Kulturhauptstadtvereins, Ovidiu Megan

„Es hat sich gezeigt, dass es bis zu einem gewissen Grad möglich ist, etwas Wertvolles vor Ort zu organisieren“, so Ovidiu Megan. | Foto: Flavius Neamciuc

Ovidiu Megan ist im Sommer 2022 zum Geschäftsführer des Vereins „Temeswar Kulturhauptstadt Europas“ gewählt worden. | Foto: Kulturhauptstadtverein

Vor knapp zehn Tagen fand der symbolische Abschluss des Kulturhauptstadtjahres statt. Die Veranstaltung „Temeswar 2023 geht unendlich weiter“ brachte die gesamte Gemeinschaft in einer Feier der Stadt zusammen. Mehr als 115.800 Zuschauer besuchten die über hundert Veranstaltungen in der Kulturhauptstadt. Was war besonders an diesem Jahr? Welche sind die Pläne für die kommende Zeit? Wie wird die Stadt zu einem attraktiven Ziel für Besucher aus dem In- und Ausland? Zu diesen Themen hat sich ADZ-Redakteurin Andreea Oance mit Ovidiu Megan, dem Geschäftsführer des Vereins „Temeswar Kulturhauptstadt Europas“, unterhalten.

Der Verein hat sich im letzten Jahr um die Förderung und Vermittlung der Kulturhauptstadt, aber auch um Fundraising, Freiwilligenarbeit und die Monitorisierung der Fonds, die für die Umsetzung des Programms ausgegeben wurden, gekümmert. Wie war der Ablauf des Kulturhauptstadtprogramms aus Ihrer Sicht?

Es war eine schwierige Reise, was den Einstieg angeht. Ich bin erst spät zu diesem Projekt gestoßen. Das Programm wurde auch recht spät festgelegt, denn viele der Projekte, die wir dieses Jahr in Temeswar hatten, waren das Ergebnis von Projektwettbewerben, von Aufrufen zur Projekteinreichung, die jedoch erst im Laufe des Jahres organisiert wurden. Wir hatten also zunächst einmal kein fertiges Programm und auch nicht die finanziellen Mittel dafür. Wir haben aber die Unterstützung des privaten Sektors genossen, wo wir über vier Millionen Euro an Unterstützung von Privatunternehmen für das Kulturhauptstadtprogramm bekommen haben. Erst jetzt, gegen Ende des Jahres, konnten wir auch öffentliche Mittel erhalten – erst im Oktober 2023, im zehnten Monat der Kulturhauptstadt. Es blieben nur noch wenige Wochen für die Umsetzung, und das hat uns nicht sehr geholfen. Aber all diese Dinge haben uns dazu bewogen, uns anzupassen und mit wenigen Mitteln zu versuchen, das Programm zu organisieren.

Ich denke, das Wirkungsvollste, was wir gemacht haben, waren einige Vorbesichtigungen für die Presse aus dem In- und Ausland. Aus diesem Grund konnte man Temeswar auch in vielen Publikationen sehen – in „The New York Times“, „El Pais“, „Le Figaro“, „Le Monde“, „The Independent“ und viele andere. Diese renommierten Zeitschriften haben über das Ereignis in Temeswar berichtet und die breite Öffentlichkeit aufgefordert, Temeswar, eine der Kulturhauptstädte Europas im Jahr 2023, kennenzulernen und zu besuchen.

Die Abschlussveranstaltungen haben über 115.000 Menschen angezogen, das konnten bisher allein große Festivals schaffen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Menschen auch im nächsten Jahr, in der kommenden Zeit, aktiv an den Veranstaltungen, die hier stattfinden , teilnehmen werden.

2023 wurden in Temeswar über 2000 Events mit über zwei Millionen Teilnehmern ausgetragen. Welche waren die Stärken der Stadt?

Bei allen Projekten ist Vertrauen ein Schlüsselelement. Dieses Vertrauen ist während der Reise entstanden. Die Menschen haben gesehen, dass in Temeswar wichtige und schöne Dinge geschehen und natürlich ist der Titel der Kulturhauptstadt Europas ein attraktiver Titel, der viele Kulturschaffende ermutigt, an einem solchen Großereignis teilzunehmen. All das war eine Visitenkarte für die gesamte Stadt und Region. Jessie J ist eine der bekanntesten Künstlerinnen weltweit. Sie wird von dutzenden Millionen Fans in den sozialen Netzwerken verfolgt. Dass sie im Anschluss ihres Konzert in Temeswar sagte, dieses sei eine der besten Shows des Jahres für sie gewesen, bedeutet uns viel. Es gibt Menschen, die sich fragen werden: „Wo ist denn dieses Temeswar?“ „Was hat diese Stadt zu bieten?“ All diese Sachen wirken verlockend. 

Was muss sich unbedingt demnächst in der Stadt verbessern?

Man soll aus den Ergebnissen der Kulturhauptstadt Kapital schlagen. Die Kommunikation, die wir im Moment betreiben, praktisch verdoppeln, indem wir Temeswar als Kulturhauptstadt Europas – denn sie bleibt weiterhin Kulturhauptstadt - sehr stark in den sozialen Medien bewerben. Auch im Bereich des Luftverkehrs müssen die Verbindungen verbessert werden, damit mehr Fluggesellschaften Europa mit Temeswar verbinden. In der Stadt fehlt es noch an großen Hotelketten, die Vertrauen geben, wenn ein Tourist sich für ein Reiseziel entscheidet, sich auf dem Markt umschaut, um zu sehen, was er finden kann, als Unterkunft, als Restaurants, usw. Drei große Hotelketten wollen in Temeswar Einrichtungen eröffnen. Das wird in der nächsten Zeit sicherlich ein Vorteil für das künftige Wachstum des Tourismus vor Ort. 

In Temeswar gibt es im Hotel-Bereich insgesamt 2200 Betten. Laut den vorhandenen Daten hat die Bega-Stadt bisher 850.000 Besucher aus dem Ausland und über 800.000 Übernachtungen registriert. 

Diese Zahlen sind nicht unbedingt so relevant. Ich hatte viele Freunde aus dem Ausland, die Temeswar in diesem Jahr besuchten, und nur sehr wenige von ihnen haben im Hotel übernachtet. Viele zogen es vor, Wohnungen über Airbnb und Booking zu mieten. Laut Angaben eines dieser Plattformbetreiber sei bis zur Jahreshälfte 2023 die Zahl der Unterkünfte im Vergleich zum letzten Jahr um das Zweieinhalbfache gestiegen. Die Aufenthaltsdauer betrug im Durchschnitt fast drei Tage. Ich glaube, das sind auch Zahlen, die wir leider nicht zur Verfügung haben, die aber sehr relevant wären. Außerdem hat ein Telekommunikations-Unternehmen eine Studie durchgeführt, was die Anzahl der Roaming-Nutzer im zentralen Bereich der Stadt angeht. Im Durchschnitt waren etwa 5000 SIM-Karten pro Tag im zentralen Bereich von Temeswar aktiv. Ich weiß nicht, ob das Leute aus der Diaspora waren, die nach Hause zurückgekehrt sind und Karten aus ihrem Heimatland haben oder ob es sich um Ausländer handelt; wir haben diese Information nicht, aber diese Zahl ist auch relevant für das, was wir als Besuche in Temeswar während dieses Zeitraums beobachten können. Die Zahlen sind also sicherlich gestiegen, aber es ist schwer, eine genaue Zahl zu nennen. Außerdem wissen wir nur zu gut, dass wir serbische Nachbarn haben, die an Wochenenden die Stadt besuchen, jedoch abends wieder abreisen und hier nicht übernachten. 

Die Tatsache, dass man so wenig Hotelzimmer hat, hilft uns leider nicht weiter, wenn man von Großevents mit berühmten Künstlern spricht, wo man 50.000 Besucher erwartet. Ich denke aber, dass der diesjährige Aufschwung den Behörden und der Gemeinschaft einen Anstoß geben sollte.

2023 gab es insgesamt 13 Pressetrips für Medienmacher aus dem In- und Ausland. Das Programm wurde auch im Ausland an verschiedenen Institutionen gefördert. Werden diese Reisen fortgesetzt?

Es gab eine sehr gute Zusammenarbeit mit rumänischen Kulturinstituten aus mehr als 15 Städten oder anderen Ländern. Wir haben uns darauf konzentriert, das „Temeswar 2023“-Programm im Ausland bekannt zu machen und unsere Künstler mit internationalen Netzwerken zu verbinden. Wir nehmen uns vor, auch in den kommenden Jahren eine solche Präsenz zu haben. 

Vor Kurzem hatten wir eine Veranstaltung in London, wo wir eine Fotoausstellung zum Kampf der osteuropäischen Völker gegen den Kommunismus – mit dem Temeswarer  Fotoreporter Constantin Duma – vorgestellt haben. Weitere Fotos mit der Kulturhauptstadt Temeswar wurden in der britischen Hauptstadt ausgestellt. In Rom hatten wir kurz darauf eine Ausstellung visueller Künste mit Mitgliedern der Sigma-Gruppe. Wir versuchen, die Temeswarer Kultur in ganz Europa bekannt zu machen.

Wenn Sie sich von der Position des Vereinsleiters lösen könnten, was war im Jahr 2023 das Ereignis, das Ihnen besonders gut gefallen hat? 

Es lag in der Natur der Sache, dass ich in diesem Jahr an vielen Veranstaltungen teilnehmen musste. Die Ausstellungsreihe in der U-Kaserne und die Umgestaltung des Raumes dafür war für mich eines der Highlights. Das, was die Menschen dort, in dieser wichtigen Einrichtung  der Geschichte der Stadt getan haben, die Tatsache, dass sie diese zum Leuchten gebracht und ihr neues Leben eingehaucht haben, war für mich sehr bewegend. Das Projekt hat es geschafft, ein verlassenes Gebäude in den kulturellen Kreislauf einzubringen. 

In Temeswar wurden tausende Events im Jahr 2023 organisiert – trotzdem sagen viele, dass in der Kulturhauptstadt nichts los (gewesen) sei. Was könnte man diesen Menschen antworten?

Sicherlich hat man als Bürger die Möglichkeit, passiv zu sitzen und in seiner Passivität zu verharren oder an einigen Veranstaltungen teilzunehmen oder aus dieser Komfortzone herauszukommen, Veranstaltungen vorzuschlagen und zu organisieren. Ich denke, dass die Leute, die sich engagiert haben, gewürdigt werden sollten. Jeder von ihnen hat außergewöhnliche Anstrengungen unternommen. In Temeswar sind Ressourcen vorhanden, um viele weitere Ideen zu starten. Es hat sich gezeigt, dass es bis zu einem gewissen Grad möglich ist, etwas Wertvolles vor Ort zu organisieren.

Manche Menschen sind enttäuscht, dass in der Stadt keine Mega-Events organisiert wurden. Ich kann es verstehen, jedoch ist die Infrastruktur in der Stadt begrenzt. Solange wir einen Philharmoniesaal mit knapp 900 Plätzen und einen Opernsaal mit rund 600 haben, kann man unter diesen Bedingungen keine sehr großen und teuren Veranstaltungen durchführen, weil man seine Kosten nicht decken kann, egal, wie sehr es sich die Veranstalter wünschen.

Welches ist also das Erbe der Kulturhauptstadt?

Die Zusammenarbeit bleibt nach wie vor wichtig. 2023 hat uns eine sehr gute Lektion erteilt: dass wir imstande sind, internationale und für die Öffentlichkeit relevante Projekte durchzuführen. Der Finanzbereich wird sicherlich nicht mehr so viele Ressourcen haben, deshalb empfehle ich den Kulturakteuren, sich bei Projekten zusammenzuschließen und größere, relevantere Projekte zu koordinieren. Es wird im Jahr 2024 schwieriger sein, allein zu stehen, aber wenn man mehr Ressourcen zusammenlegt und Veranstaltungen schafft, können wir diese Emulation, die hier entstanden ist, beibehalten. Wir bleiben auch noch mit einem neuen Publikum aus dem Jahr 2023. Deswegen ist es unsere Pflicht als Kulturveranstalter, dem Publikum eine Plattform für Veranstaltungen zu bieten, damit sie dieses Objekt des kulturellen Konsums behalten können, denn schließlich hat sich dieses Publikum hier entwickelt.