Vom gesalzenen Baby

„Die anonymen Menschenfresser“ am Nationaltheater Temeswar

Victor Manovici als Béla Lugosi
Foto: Adrian Pîclişan / TNTm

Mit einem ungewöhnlichen Stück hat das Nationaltheater Temeswar vergangene Woche die Spielzeit beendet: „Die anonymen Menschenfresser“ geht auf Pascal Bruckners „philosophisches Märchen“ zurück, das gegen absolute Tabus verstößt und deshalb auch das Publikum – trotz guter Leistung einiger Schauspieler – nicht überzeugen konnte. Oder zumindest nicht das gesamte Publikum. Denn wer denkt schon an schwarzen Humor oder Satire, wenn es sich hierbei um ein Thema handelt wie Menschenfresserei und vor allem Kinderfresserei? Oder sind die Zuschauer, die vielleicht „Hannibal“ serienmäßig verschlingen (dieser hat nichts mit dem antiken Heerführer, sondern mit dem Serienmörder und Menschenfresser Hannibal Lecter zu tun, der bereits im „Schweigen der Lämmer“ herumgegeistert ist), schon so abgestumpft, dass sie nicht mehr reagieren, wenn es heißt, dass ein Baby gesalzen wurde?!

In die fiktive und grausame Handlung sind Stars der Leinwand verwickelt: Hauptgestalt ist Béla Lugosi (interpretiert von Victor Manovici), der Schauspieler aus dem Banat, der in Hollywood in der Rolle des blutrünstigen Grafen Dracula Karriere machte. Nun heißt es aber in dem Stück, dass der Schauspieler ein Kinderfresser war, der abstinent werden wollte und, um diese Abstinenz zu üben, zum Psychiater geht und auch auf einen Club der Anonymen Menschenfresser stößt. Interessant ist, welche schillernden Hollywood-Größen angeblich dieselben „bösen Absichten hegten“: Da ist zum Beispiel Greta Garbo (in der Rolle ist Laura Avarvari zu sehen), die sogar eine Ehe mit Bela eingehen will, teilen sie doch dasselbe Schicksal und dieselben blutrünstigen Absichten. Zum Glück kommt sein Garderobier und Double Boris (von C²lin Ionescu dargestellt) dazwischen, besänftigt die beiden und macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Oder das Komikerpaar Laurel und Hardy (glänzend von Bogdan Spiridon und Flavius Retea wiederbelebt), das wohl niemand in dieser Rolle der Menschenfresser sehen würde. Das Duo hat es geschafft, sich die anrüchigen Essgewohnheiten abzugewöhnen. Und da mischt auch Sam Goldwyn (Florin Ruicu schlüpft in diese Rolle) mit; der Name des Produzenten dürfte dem Publikum von MGM – Metro Goldwyn Mayer – bekannt sein.

Für das Szenarium, das auf Pascal Bruckners Text zurückgreift, und die Regie zeichnet Sabin Popescu. Als musikalische Untermalung dienen Kompositionen des Temeswarers Ilie Stepan. Auch einige Mitarbeiter der Rumänischen Oper Temeswar haben an der Vorbereitung der Vorstellung mitgewirkt: Alin Radu zeichnet für die Choreografie, Dan Patacă liefert die Stimme. Um nicht ganz verwirrt aus der Vorstellung zu gehen, schlägt die Übersetzerin Albumiţa-Muguraş Constantinescu einen Schlüssel zur Lektüre von Pascal Bruckners Text vor: „Indem er auf ganz natürliche Weise die Doppeldeutigkeit, diesen Wert der Modernität, praktiziert, hat Bruckner ein Märchen geschrieben, das von vielen als ‚philosophisches Märchen‘ gekennzeichnet wurde, damit wir verstehen lernen, dass uns die Menschenfresserei in gewisser Weise alle angeht, dass es eine aktuelle Sache ist. Bruckners Märchen vereint Grausamkeit und Humor, Ironie und Ambiguität und liefert einen Menschenfresser, der uns ähnelt und doch ganz anders ist. Und weil man nie vom Menschenfresserdasein geheilt wird, ist die vom Erzähler vorgeschlagene Lösung, wie bei Perrault oft, eine doppeldeutige: Das Opfer des Menschenfressers bedeutet sowohl Selbstaufopferung als auch die Verseuchung der anderen“.

Und so ist der Schluss erlösend und grausam zugleich: Béla geht in den Tod, indem er in den siedenden Suppentopf steigt – das Kind aber, dessen Babysitter er gewesen ist, wird aus Versehen mit der Suppe gespeist. Der Erreger breitet sich aus, es gibt kein Entrinnen.