Von der Selbstapotheose zur Anbetung des unsichtbaren Gottes

Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“ im Bukarester Opernhaus

In der Rolle der Abigaille glänzt Anda Louise Bogza.

Zur Feier des 200. Geburtstages von Giuseppe Verdi hat die Nationaloper Bukarest gleich sechs Meisterwerke des italienischen Opernkomponisten ins Repertoire der laufenden Spielzeit aufgenommen: Neben „Aida“, „Macbeth“, „Ein Maskenball“, „La Traviata“ und „Rigoletto“ wird im Bukarester Opernhaus derzeit auch Verdis Frühwerk „Nabucco“ gegeben, mit dem der Meister der italienischen Oper seinen Erfolg auf den Bühnen Italiens, Europas und der ganzen Welt begründete.

Die 1842 in der Mailänder Scala uraufgeführte Oper spielt während der Regierungszeit des babylonischen Königs Nebukadnezar II. und hat Jerusalem (I. Akt) und Babylon (II. bis IV. Akt) zum Schauplatz. Markante Ereignisse der Opernhandlung sind die Zerstörung des Salomonischen Tempels in Jerusalem, die Deportation eines großen Teils der Bevölkerung Judäas ins babylonische Exil, die Selbstvergöttlichung Nebukadnezars (italienisch: Nabucodonosor; abgekürzt: Nabucco) und sein anschließender Wahnsinn, der Machtkampf der beiden Nabucco-Töchter Abigaille und Fenena, die Rückkehr Nabuccos auf den babylonischen Thron und seine Bekehrung zu Jahwe, der Tod Abigailles und die Befreiung der Hebräer aus der babylonischen Gefangenschaft.

Das Bühnenbild von George Doroşenco in der Bukarester Inszenierung von Hero Lupescu trägt der Monumentalität des Operngeschehens Rechnung. Die Kulisse des I. Aktes wird beherrscht von einem überdimensionalen siebenarmigen Leuchter, der Menora des Salomonischen Tempels, wie sie im alttestamentlichen Buch Exodus ausführlich beschrieben ist. In den in Babylon spielenden Akten sind es dann eine gewaltige unheilschwangere Sonne, riesige geflügelte Mischwesen, wie wir sie aus der mesopotamischen Kunst kennen, der enorme Kopf eines Stieres (in der Szene mit dem berühmten Gefangenenchor), Zeichen des babylonischen Stadtgottes Marduk, die das Bühnenbild dominieren. Herrschaftssymbole und -insignien (Throne, Standarten, Schwerter, Krone, Königsmantel) auf der babylonischen Seite und Symbole der Gefangenschaft (Gitter, Fesseln) auf der jüdischen Seite sind die Requisiten, die das Operngeschehen begleiten. Auch die Bundeslade, die seit der Zerstörung des Salomonischen Tempels als verschollen gilt, wird einmal herein getragen.

Das Monumentale und Statuarische kennzeichnet auch die Choreografie (Doina Andronache) der Bukarester Aufführung, die zum Beispiel die Chöre entweder als Aufmärsche oder in kompakten, teilweise auch in gestaffelten Blockformationen inszeniert. Der Versuch der Belebung dieser statischen Bühnenszenerie durch Balletteinlagen (Speerträger und Schwerttänzerinnen) wirkt wie eine kosmetische Retusche, die den Gesamteindruck des Starren und Unbeweglichen letztlich nur noch mehr unterstreicht. Wenn zum Beispiel der Gefangenenchor gemessenen Schrittes die Bühne betritt, dann plötzlich, wie in Garben niedergemäht, zu Boden sinkt, um sich daraufhin allmählich wieder vom Boden zu erheben, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Wahre Dramatik kann choreografisch so nicht entstehen.

Wahre Dramatik entfaltete sich dagegen in den wunderbaren Stimmen, die in der Bukarester Aufführung vom 26. Mai dieses Jahres erklangen. Allen voran ist hier die Stimme der Sopranistin Anda Louise Bogza zu erwähnen, die nach einem Studium am Bukarester Konservatorium ihr Operndebüt an der Staatsoper Prag gab, bevor sie auf internationalem Parkett reüssierte, beispielsweise in der Rolle der Aida an der Wiener Staatsoper sowie in Berlin an der Staatsoper und an der Deutschen Oper. Nach dem Schlussapplaus wurde der gefeierten Sängerin ein symbolischer Vertrag überreicht, ein „Kontrakt des Herzens“, der die Sängerin sinnbildlich verpflichten soll, bei Gelegenheit als Gastsängerin wieder nach Bukarest zurückzukehren – eine Initiative, zu der das neue Management der Bu-karester Nationaloper nur zu beglückwünschen ist.

So wie Anda Louise Bogza durch ihre stimmliche Ausdruckskraft, die Vielfältigkeit ihrer gesanglichen Möglichkeiten und durch ihre Bühnenpräsenz in der Rolle der Abigaille beeindruckte, so überzeugte [tefan Ignat als Nabucco. Sein kräftiger Bariton ließ den babylonischen Herrscher auch gesanglich Gestalt werden: als Zerstörer des Tempels, der sein Vernichtungswerk gleichwohl mit betörenden Melodien rührender Süße begleitet; als Kämpfer um seine königliche Macht, die er der fordernden Abigaille wieder abzutrotzen sucht; als wahnwitziger Götze seiner selbst und als reuiger Büßer seiner Sünde wider den unsichtbaren Gott; und schließlich als liebender Vater, der seine Tochter Fenena, ebenfalls großartig gegeben von Oana Andra, vom Tode zu erretten sich müht.

Ein weiterer Gast, der am Lyrischen Theater „Elena Teodorin“ in Craiova wirkende Bass Sorin Drăniceanu, absolvierte seinen Part in der Bukarester Aufführung vom 26. Mai dieses Jahres mit Bravour: Als erfahrener Verdi-Sänger (z. B. in der Rolle des Ramfis in „Aida“) interpretierte er klangkörperlich voluminös die Gestalt des jüdischen Hohepriesters Zaccaria, der das jüdische Volk in die Gefangenschaft begleitet und es am Ende wieder aus ihr herausführt.

Die Bukarester Aufführung überzeugte nicht nur durch die Qualität der Gesangssolisten und durch die melodiöse Geschlossenheit der Ensembleszenen, sondern vor allem auch durch die Stimmgewalt der Chöre und Fernchöre, die trotz der manchmal unbeholfen wirkenden Choreografie – man denke an die Entfesselungsszene im letzten Akt – für überwältigende Hörerlebnisse sorgten. Die Leistungen des von Stelian Olariu einstudierten Chors der Nationaloper Bukarest wurden kongenial ergänzt durch das von Răsvan Cernat geleitete Instrumentalensemble des Opernorchesters, das die Sänger sensibel begleitete und in den Ouvertüren und Zwischenspielen seine sinfonischen Fähigkeiten bravourös unter Beweis stellte. Insgesamt also ein festlicher Opernabend und ein würdiger Beitrag zum Verdi-Jahr 2013!