Vorbildhafte Exempel und warnende Beispiele

Kunstwerke der Aufklärung im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens in Bukarest

Negatives Erziehungsbeispiel: Eine Mutter besucht ihre Kinder bei der Kinderfrau. Werk von William Ward

Derzeit und noch bis zum 19. April dieses Jahres zeigt das Nationale Kunstmuseum Rumäniens im Erdgeschoss seines Ştirbei Vodă-Flügels eine Ausstellung mit Kunstwerken aus der Zeit der europäischen Aufklärung. Die insgesamt 157 Exponate, in der Mehrzahl Radierungen, stammen allesamt aus eigenen Beständen und wurden von der Kuratorin der Ausstellung, Mălina Conţu, unter dem Titel „Verhaltensmodelle im 18. Jahrhundert“ zusammengestellt.

Die französischen, englischen, niederländischen und deutschen Kunstwerke, die erstmals in diesem interdisziplinären Kontext der Öffentlichkeit präsentiert werden, sind in den beiden Ausstellungsräumen nach vier inhaltlichen Gesichtspunkten gruppiert: Erziehung der Kinder; soziale Verhaltensmodelle; Heranwachsende und die Liebe; klassische kulturelle Vorbilder.

Die museografische Präsentation der ausgestellten Kunstwerke ist vorbildlich. Nicht nur finden sich an Wänden und Säulen umfangreiche einführende Texte, nicht nur wird jedes einzelne der gezeigten Werke nach kunsthistorischen Gesichtspunkten (Name des Künstlers, verwendete Technik, Jahreszahl) exakt erfasst, sondern es finden sich auch zu fast jedem Exponat beschreibende, erläuternde und interpretierende Texte, die die gesamte Ausstellung, abgesehen vom ästhetischen, auch zu einem Bildungserlebnis machen.

Die europäische Aufklärung war eine Epoche, die den Erziehungsgedanken ins Zentrum stellte, man denke nur an Gotthold Ephraim Lessings Schrift „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ oder an Immanuel Kants Wahlspruch der Aufklärung „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Es war die Epoche, in der Jean-Jacques Rousseau sein bekanntes Motto „Zurück zur Natur!“ proklamierte und in der die Kindheit und die Zeit des Heranwachsens als ursprüngliche Erlebnisräume überhaupt erst entdeckt wurden.

Auch die Bildung der Erwachsenen war ein starkes Anliegen der Aufklärung. So gab es in Deutschland, nach englischen Vorbildern, sogenannte moralische Wochenschriften, in denen alle möglichen Fragen des täglichen Lebens, der geistigen Bildung und der seelischen Erziehung verhandelt, beleuchtet und diskutiert wurden. Auch die Rolle der Frau und die Familie als Ort der personalen Begegnung und Fürsorge standen dabei im Mittelpunkt.

Gleich beim Eintritt in die Ausstellung fällt der Blick des Betrachters auf ein negatives Erziehungsexempel. Das Bild des englischen Malers William Ward zeigt eine vornehm gekleidete Frau, die in eine Stube armer Leute tritt, denen sie ihre Kinder zur Erziehung anvertraut hat. Die eine Tochter, die ihre Mutter offensichtlich nicht kennt, flieht ängstlich an den Hals der Kinderfrau, die andere Tochter liegt apathisch auf dem Bett. In dem daneben hängenden Bild des französischen Malers Jean-Louis de Marne ist die Vernachlässigung der Erziehung noch deutlicher zum Ausdruck gebracht. Ein Junge und ein Mädchen haben ihre Hemdchen hochgezogen und urinieren auf den Zimmerboden, ohne dass die anwesenden Erwachsenen korrigierend eingriffen.

Neben zahlreichen minder bekannten finden sich auch große Namen unter den Künstlern, deren Werke in der Bukarester Ausstellung präsentiert werden. So kann man etwa einen Druck aus der sieben Kupferstiche umfassenden Serie „A Rake’s Progress“ (Werdegang eines Wüstlings) des großen englischen Moralisten und Sozialkritikers William Hogarth aus dem Jahre 1735 bewundern, auf dem dargestellt ist, wie der verschwenderische Tom Rakewell wegen seiner unbezahlten Schulden verhaftet werden soll, jedoch von Sarah Young, der er die Ehe versprochen und die er während ihrer Schwangerschaft verstoßen hat, sogleich wieder ausgelöst wird. Das Humoristische im Satirischen zeigt sich auch in Hogarths Diptychon aus dem Jahr 1736 mit den Titeln „Vorher“ und „Nachher“, wo Mann und Frau beide händeringend und flehentlich bitten: er ‚vorher’ um Sex, sie ‚nachher’ um die Einlösung des Heiratsversprechens.

Desgleichen sind vier Aquatinta-Werke aus den Jahren 1774/75 von Jean-Baptiste Le Prince hervorzuheben, die den vier Sinnen Sehen, Schmecken, Fühlen und Riechen gewidmet sind. Der große Jean-Honoré Fragonard ist in der Ausstellung durch das Motiv des geraubten Kusses vertreten, allerdings in einer Ausführung durch Nicolas-François Regnault. Ebenso stößt man in der Ausstellung auf einen Akt, der die Mätresse Ludwigs XV., Marie-Louise O’Murphy, als nackte Odaliske zeigt, nach dem berühmten Gemälde aus dem Jahre 1752 von François Boucher, das in der Alten Pinakothek in München hängt.

Vom süddeutschen Kupferstecher und Tiermaler Johann Elias Ridinger findet sich unter den Exponaten eine Hirschjagd aus dem Jahre 1756 mit einer ausführlichen Erläuterung in deutscher Sprache, die auch allegorisch gedeutet werden kann. Schon der Titel der Aquatinta-Radierung hat barocken Charakter: „Der Hirsch stellt sich und die Hunde werden gestopfft u(nd) ihme der Fang gegeben“. Von Francesco Bartolozzi stammen zwei Radierungen aus dem Jahre 1784 nach zwei Bildern der klassizistischen Malerin und Goethe-Freundin Angelica Kauffman: Cupido fesselt im ersten die Grazie Aglaia mit Lorbeer an einen Baum, während die Grazie Euphrosyne im zweiten Cupido den Bogen entwendet.

Drei Vitrinen mit kleinformatigen Stichen enthalten Buchillustrationen: zu einem Liederbuch, zu Rousseaus „Julie oder Die neue Heloise“ (1761) sowie zu Rousseaus „Emile oder über die Erziehung“ (1762). Von Jean-Baptiste Greuze findet sich ein Porträt des Wunderkindes Wolfgang „(Wolferl“) Amadeaus Mozart am Klavier.

Man kann sich in dieser Ausstellung intensiv in einzelne Bilder vertiefen, man kann sie aber auch allesamt Revue passieren und sich von ihnen in ihrer Gesamtheit atmosphärisch tragen lassen. Promenadenbilder aus Paris (Palais Royal) und London (Hyde Park); Genreszenen aus der britischen Kapitale (Francis Wheatleys „Cries of London“); ländliche Szenen; Familienidyllen; Sittengemälde; Bordellszenen; Bilder von Hochzeiten, Konzerten und Bällen; galante Bilder in der Nachfolge Jean-Antoine Watteaus; Illustrationen zu Gedichten (Voltaire), Fabelsammlungen (Jean de La Fontaine) und Romanen (Paul Scarron); moralische Sujets und Jagdszenen; amouröse, historische und mythologische Sujets; Kokettes und Ernsthaftes, Spielerisches und Allegorisches. Oder, um es mit einem Zitat aus Goethes „Faust“ zu formulieren: „Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen, / Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. / Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“