Weniger urteilen, mehr lieben

Schülertheatergruppe „NiL“ führte „Familien“ auf

Die Besetzung von „Familien“ nach Eugen Jebeleanu. Regie führte die DSTT-Schauspielerin Isa Berger (untere Reihe, mittig). Foto: Cristina Simniceanu

Das 20. Deutschsprachige Jugendtheaterfestival findet Ende April – Anfang Mai in Temeswar statt. Gastgeber sind die NiL-Theatergruppen und das Deutsche Staatstheater Temeswar. Grafik: Alex Iliescu

Das Plakat zu „Familien“. Das Stück soll am 2. Mai, um 19 Uhr, innerhalb des Deutschsprachigen Jugendtheaterfestivals in Temeswar erneut aufgeführt werden.

„Vorhang auf!“ hieß es vor Kurzem auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters Temeswar/Timișoara (DSTT), doch diesmal traten junge und sehr junge Schauspielerinnen und Schauspieler vor den im großen Saal versammelten Zuschauern auf. Die Akteure waren allesamt Schülerinnen und Schüler der deutschen Nikolaus-Lenau-Schule in der Stadt an der Bega, die eines gemeinsam hatten und haben: Sie nennen sich, mit Stolz, „NiL“. Die langen NiL-Theatertage wurden Anfang April in Temeswar veranstaltet – eine gute Gelegenheit für die angehenden Schauspielerinnen und Schauspieler, ihr Können unter Beweis zu stellen und mal auf einer richtigen Bühne aufzutreten.


„NiL“ nennt sich die Schülertheatergruppe an Temeswars bedeutendster Schule in deutscher Sprache, die aktuell von den DSTT-Schauspielerinnen Isolde Cobeț und Isa Berger geleitet wird. Seit 1996 existiert die NiL-Theatergruppe an der Lenau-Schule, gegründet wurde sie vom ehemaligen Gastschauspieler am DSTT, Christian Bormann. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland übernahm Isolde Cobeț die Leitung der NiL-Theatergruppe, die im Laufe der Jahre in bedeutendem Maße den Nachwuchs für das DSTT sicherte. Inzwischen gibt es sogar drei Schülertheatergruppen unter dem Namen „NiL“: „NiL Junior“ für die Gymnasialschüler, „NiL“ für Lyzeumsschüler und „After NiL“ für ehemalige Mitglieder dieser Theatergruppe, die in ihrer Freizeit gern noch Theater spielen möchten. Die Schülerinnen und Schüler nehmen an zahlreichen Theaterfestivals im In- und Ausland teil.


Junge Menschen, ernste Themen


Charakteristisch für „NiL“ sind die aktuellen, ernsten und meist sehr lehrreichen Themen, die in den von der Schülertheatergruppe aufgeführten Theaterstücken zum Ausdruck gebracht werden. Praktisch spielen die jungen Menschen Theater, allerdings richten sich die Theaterstücke nicht exklusiv an Kinder und Jugendliche, sondern auch an ihre Eltern, Lehrer und an andere erwachsene Theaterfreunde. Dies wurde bei den langen NiL-Theatertagen erneut deutlich, als „NiL“ das Theaterstück „Familien“ von Eugen Jebeleanu aufführte. Für die Regie des Stücks, das die Lenau-Schüler bereits auf Rumänisch aufgeführt hatten, zeichnete die DSTT-Schauspielerin Isa Berger, selbst ein „Produkt“ der NiL-Theatergruppe von Isolde Cobeț.


Eugen Jebeleanus „Familien“ ist ein ernstes Stück. Dabei geht es um unterschiedliche Menschentypen, die in unterschiedlichen Familien leben. Zum einen ist es die auf ihr Baby fokussierte junge Frau und ihr gewalttätiger Ehemann, der seinen Unterhalt als Taxifahrer verdient und der dem Alkohol verfallen ist; dann gibt es noch den von allen Kollegen ausgelachten Teenager, der auch noch von seinem glücksspielsüchtigen Bruder ausgenutzt wird; die beiden Schwestern, eine von ihnen lesbisch, deren Mutter verstorben ist und die sich nun um den kranken Vater kümmern müssen; und den Introvertierten und seine an Umweltschutz interessierte Freundin, die nicht den Schritt Richtung Heirat wagen. Die verschiedenen Menschentypen haben keine Namen, denn sie können, symbolisch, für jedermann stehen. Und gerade das ist der Reiz des Stücks: Dass jeder – wenn nicht selbst - mindestens einen Freund/Bekannten oder ein Familienmitglied hat, der sich mit den Menschen in „Familien“ identifizieren kann.


Ein Wechsel von Energien


Welche Bedeutung hat die Familie heutzutage? Was verbindet oder trennt die Menschen? Was können wir tun, um besser miteinander auszukommen? Auf diese und viele weiteren Fragen versucht das Stück Eugen Jebeleanus einige Antworten zu liefern. Nicht direkt, sondern in den Köpfen der Zuschauer, die sich die Aufführung anschauen. Bei den langen NiL-Theatertagen saßen im Publikum nicht nur Schüler, sondern auch viele Lehrer und Eltern. Radu Trică, Dragoș Mănescu, Vlad Crudu, Patrick Imbrescu, Mara Bugarin, Jacqueline Kohl, Alexandra Nedel und Maria Morariu, alle zwischen 16 und 18 Jahre alt, sorgten dafür, dass „Familien“ auf Deutsch in Temeswar aufgeführt wurde. Zum Schluss der Aufführung erklärte sich Regisseurin Isa Berger zufrieden: „Ich hatte so großes Lampenfieber - ich dachte, ich bekomme einen Herzinfarkt“, scherzte sie im Nachhinein. „Ich freue mich für die Jugendlichen! Ich fand die Vorstellung sehr gut, obwohl wir nur drei Proben auf Deutsch hatten – wir hatten nämlich dieses Stück vorher auf Rumänisch geprobt. Wir wollen das Theaterstück bei mehreren Festivals in Rumänien aufführen, deswegen haben wir uns ursprünglich für Rumänisch entschlossen“, verriet Isa Berger.


Wie es dazu kam, dass die Nikolaus-Lenau-Schüler gerade dieses Stück aufführten? „Für mich war es selbst eine Überraschung, denn sie haben diesen Text selbst ausgewählt. Ich habe ihnen am Anfang erklärt, dass es ziemlich schwer sein würde, diesen Text zu bekommen, weil er vor zwei Jahren für die Schauspieler aus Hermannstadt geschrieben wurde. Ich hatte schon ein bisschen Angst, dass die Themen etwas schwierig sind, denn sie sind ja Schüler. Sie haben aber den Text selbst von Eugen Jebeleanu verlangt, bekommen und dann hatte ich keine andere Wahl“, erzählte Isa Berger. Dieses Stück zu proben sei sehr schön gewesen, sagte die Schauspielerin. „Während der Proben geschieht ein Wechsel zwischen ihrer Energie und meiner Energie. Ich lerne auch sehr viel von diesen Jugendlichen“, gestand sie.


Für Mara Bugarin (18), die in „Familien“ die Hausfrau mit Kind spielt, scheint die Bühne ihr zweites Zuhause. Ihre 22-jährige Schwester Ioana Bugarin studiert Schauspiel in Bukarest und spielt in dem neuen Moromeții-2-Film Ileana, die Freundin von Nicolae Moromete. Auch Mara Bugarin möchte nach dem Schulabschluss Schauspiel studieren. Das Stück „Familien“, das sie unter der Anleitung von Isa Berger zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen über die Bühne brachte, fand sie schwierig, aber auch sehr lehrreich. „Die Zuschauer sollen zum Nachdenken angeregt werden und lernen, mehr Geduld mit den Menschen im Allgemeinen zu haben. Die Leute erleben viele Dinge, die ihnen nicht im Gesicht geschrieben stehen. Bei meiner Gestalt war das ganz offensichtlich. Die Frau scheint ganz stark und selbstsicher, und danach bemerkt man, dass sie von ihrem Mann geschlagen und missbraucht wird“, erklärte Mara Bugarin. In vier-fünf Tagen setzten die Jugendlichen das Stück auf Deutsch um. „Es war total anders auf Deutsch, denn die Sprache verändert vieles. Aber es hat funktioniert“, sagte sie. Am Theater liebt Mara Bugarin die Tatsache, dass es Kunst ist, aber auch die vielen Lehren, die es mit sich bringt.


Eine andere komplizierte Gestalt aus dem Stück „Familien“ interpretierte Radu Trică (18). Radu Trică spielte den Teenager, der zum Opfer des Bullying-Phänomens in der Schule wird und auch sonst von seinem älteren Bruder, der sein Geld stiehlt, ausgenutzt wird. „Es war nicht so schwer, mich in diese Rolle zu versetzen, denn ich habe mich mehr oder weniger auf die eigene Erfahrung dabei gestützt. Ich wurde zwar nicht belästigt, oder nicht so grauenhaft wie es meine Gestalt erlebt, aber ich habe die Informationen aus meiner Umgebung genommen“, sagte Radu Trică. Nachdem er diese Rolle gespielt hat, geht er anders mit dem Thema „Bullying“ um. „Man beginnt, sich Fragen zu stellen: Wie kann man Bullying entfernen? Wie kann man den Belästigten helfen?“, sagte der Lenau-Schüler.


Genau wie seine NiL-Kollegin Mara Bugarin möchte auch Radu Trică den Zuschauern eines vermitteln: „Man soll die Menschen lieben, egal, wie sie sind oder wie sie denken“, betonte er. „Familien“ ist gewiss ein Plädoyer dafür, mit offenem Herzen auf die Menschen zuzugehen und sie so zu nehmen, wie sie sind, ohne viel über sie zu urteilen. Schließlich hat jeder seine eigene (Familien)Geschichte, seine eigenen Wunden und sein eigenes (kompliziertes) Leben.