Wenn Videospiele zu echt wirken um wahr zu sein

Auf der GDC 2012 wurde über die Zukunft des Mediums gesprochen

Grafisch ein Meilenstein für Konsolen: Sonys God of War 3.

Quantic Dreams letztes Projekt „Heavy Rain“ setzte auf realistische Figuren.

So sollen Spiele in den nächsten Jahren ausschauen: Epic Games „Der Samariter“-Demo.

Sorgte für offene Kinnladen: Quantic Dreams jüngste technische Demonstration „Kara“.

Alle Jahre wieder pilgern die bedeutendsten Namen der Spieleindustrie nach San Francisco, um auf der Game Developers Conference über neue Technologien und Markttrends zu sprechen. Auf der GDC geht es ausschließlich um die Entwicklung von Spielen und mit welchen Herausforderungen sich Game Designer konfrontieren müssen. Auf der diesjährigen Konferenz, die zwischen dem fünften und neunten März stattfand, fiel immer wieder ein Schlagwort: „Next-Gen“.

Obwohl es inzwischen seit über sechs Jahren zum Modewort in der Szene avanciert ist, um die gegenwärtige Konsolengeneration zu beschreiben, wurde der Begriff auf der GDC 2012 umgedeutet. Denn bald, so glauben Marktforscher, werden Playstation 3, Xbox 360 und Wii nicht mehr „Next-Gen“ sein, sondern das Schicksal ihrer Vorgängermodelle teilen und zu „Last-Gen“-Maschinen herabgestuft werden. Seit Monaten kursieren Gerüchte, dass Microsoft bereits an der nächsten Xbox-Konsole arbeitet.

Konkurrent Sony hält sich zwar noch bedeckt und dementierte bisher jedwelche Gerüchte, wonach das japanische Unternehmen sich ebenfalls für die nächste Spielegeneration rüstet. Allein Nintendo ließ schon vor einem Jahr die Katze aus dem Sack und präsentierte stolz Wiis Nachfolger Wii U.
Neue Spielekonsolen sind immer ein Ereignis. Denn während der heimische PC mit neuer Hardware aufgerüstet werden kann und dadurch immer wieder an Rechenleistung gewinnt, müssen Konsolen mit der gleichen Hardware über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren auskommen.

Wirtschaftlich treiben Konsolen die Spieleindustrie an. Darum richten sich auch Entwickler nach den Ressourcen, die jede Konsole zur Verfügung stellt. Nur noch selten erscheinen heutzutage Spiele, die moderne Rechner überfordern. Experten sprechen erst jetzt von einer neuen Renaissance für Videospiele. Eine Renaissance, die auf dem PC schon vor drei Jahren möglich gewesen wäre. Dabei spielt ein Faktor eine ganz besondere Rolle: die Grafik.

Epische Zukunftsgrafik

Videospiele schauen immer realistischer aus. Selbst auf den inzwischen sechs Jahre alten Konsolen PS3 und Xbox 360, überraschen noch immer Spiele wie Uncharted 3 und Gears of War 3. Letzteres wird immer wieder von Epic Games als Beispiel aufgeführt, wozu ihre Spieleengine Unreal Engine 3 in der Lage ist. Ein Großteil der Spiele wird mit hauseigenen Spiel-Engines produziert, der Rest, so scheint es, lizenziert die von Epic programmierte Unreal Engine 3. Epic Games ist auf diesem Gebiet führend. Irrational Games „Bioshock: Infinite“, Rocksteadys „Batman: Arkham City“, Ninja Theorys „Devil May Cry“ oder Biowares „Mass Effect 3” sind nur einige Beispiele von Spielen, die ohne die Unreal Engine 3 nicht zustande gekommen wären.

Wenn Epic über die Zukunft von Videospielen spricht, hören nicht nur Spieleentwickler zu, sondern auch die Konsolenhersteller. Für den erfolgreichen Shooter von Epic „Gears of War“ investierte Microsoft zusätzlich eine  Milliarde Dollar, um die RAM Kapazität in der Xbox 360 zu verdoppeln. Die Investition zahlte sich später aus: Die Gears of War-Trilogie brachte über eine Milliarde Dollar Einnahmen ein. Die drei Spiele verkauften sich über 17 Millionen Mal.

Epic sei bereit für einen neuen grafischen Meilenstein, so der Unternehmenschef Mark Rein auf der GDC 2012. Schon vor Monaten führte sein Unternehmen anhand der „Samariter“-Demo vor, wie Spiele in den nächsten Jahren ausschauen müssten. Realistischere Licht- und Spiegelungseffekte, physikalisch korrekte Kleidung, detailliertere Darstellung von Haaren sollen in Zukunft Standard sein. 

Dabei wurde die technische Demonstration mithilfe der Unreal Engine 3 kreiert. Rein zeigte jedoch auf der GDC hinter verschlossenen Türen bereits die Unreal Engine 4 und diese soll noch einmal die Messlatte nach oben schrauben. Grafisch könnte in den nächsten fünf Jahren „The Uncanny Valley“ (dt. „das Unheimliche Tal“) überwunden werden.

Doch noch schreiben viele Experten die jetzigen Konsolen nicht ab. Wozu die Playstation 3 noch in der Lage ist, demonstrierte der Franzose David Cage auf der GDC. Der Videospieldesigner entwickelte zusammen mit seinem Studio Quantic Dreams das Adventure-Spiel „Heavy Rain“.  Cage werkelt nun am Nachfolgeprojekt und wollte anhand einer technischen Demonstration zeigen, was sein Team aus der Playstation 3 noch rausholen kann. Dabei setzt Quantic Dreams besonders auf ein realistischeres Verhalten von Computerfiguren. Die Illusion ist verblüffend, täuscht aber noch immer nicht das menschliche Auge. Entwickler werden sich in den nächsten Jahren immer mehr mit dem von Masahiro Mori begründeten „Uncanny Valley“ Phänomen herumplagen müssen.

Das unheimliche Tal

Der japanische Robotiker Masahiro Mori bewies, dass Menschen hoch abstrakte, völlig künstliche Figuren anziehender finden als Figuren, die lebensecht wirken. An die Realität angelehnte Figuren werden vom Betrachter nur dann wirklich akzeptiert, wenn sie keine sichtlichen Unterschiede zum Menschen aufweisen. 

Auch die von  David Cage vorgeführte „Kara“-Demo beeindruckt auf den ersten Blick, durch die scheinbar lebensechte Gesichtsmimik der weiblichen Figur. Sowohl Lippen- und Augenbewegungen fühlten sich erschreckend echt an. Schließlich wurde dafür die Schauspielerin Valorie Curry angeheuert, die auch im künftigen „Twilight“-Film spielen wird. Ihre Performance wurde live von 28 Kameras aufgezeichnet und dann auf die Spielfigur übertragen.

Was an der künstlichen Figur stört,  sind die starren Augenbrauen und die Stirn. Von den Augen aufwärts bewegt sich nichts in Karas Gesicht. Andere Entwickler haben auf diesem Gebiet weitaus größere Fortschritte gemacht. Ninja Theory beeindruckte bereits 2007 mit den ausdrucksstarken Figuren aus „Heavenly Sword“. Team Bondis „L.A. Noire“ verwendete eine hochmoderne Technologie, um die subtilsten Gesichtszüge aufzuzeichnen.

Valve hatte sogar schon 2004 in „Half-Life 2“ die Gesichtsmimik der Figuren erfolgreich simuliert. Damals vermutete man, dass Valves Fortschritte auf diesem Gebiet zum Standard werden. Doch selbst 2012 enttäuschen noch hochklassige Spiele wie Biowares „Mass Effect 3“ mit Videospielfiguren, deren Gesichter ausdruckslos und starr wirken. Und das, obwohl es den Gesichtern nicht an Detail fehlt.

Davon wurde bei der „Samariter“-Demo von Epic nicht gesprochen. Obwohl darin eher auf rasante Bewegung und Action gesetzt wurde, überzeugte die Demonstration auch mit ihrem Protagonisten. Grafisch dürfte es nicht mehr lange dauern, bis man zwischen einem Film und einem Videospiel nicht mehr unterscheiden kann.

Die eigentliche Hürde meistern

Viele Entwickler bemühen sich eine lebensechte Spielwelt zu erschaffen. Rockstars Grand Theft Auto-Spiele zählen nach der „Call of Duty“-Serie zu den finanziell erfolgreichsten. Seit GTA 4 versuchen die Gebrüder Houser ihre fiktiven, virtuellen Großstädte realistischer zu gestalten. Besonders in sogenannten Sandbox-Spielen geht oft beim Programmieren vieles schief. Das Problem: Skriptsequenzen. Heutige Spiele müssen oft eine Handlung verfolgen. Den Programmierern und Designern stehen dazu oft nur von im Spiel durch Auslöser aktivierte Skriptsequenzen zur Verfügung, also vorgefertigte Szenen, deren Vorlauf von den Entwicklern vorbestimmt wurden. Künstliche Intelligenz beschränkt sich heute oft auf Kleinigkeiten.

Bethesdas Rollenspiel „Skyrim“ verwendet eine Mischung aus Skriptsequenzen und dynamischen Simulationen. Von künstlicher Intelligenz wie in dem Science-Fiction-Film „Die Matrix“ können Entwickler nur träumen. Darum werden noch oft Spieler aus der Handlung rausgezogen und anders als beim Film, kann ein emotionaler Bogen schwieriger aufgebaut werden, weil die Spielmechanik dazwischenfuscht.

Von virtuellen Welten, die man mit der Realität verwechseln kann, wird noch lange nicht die Rede sein. Grafisch nähern sich Spiele zwar Filmen an, werden aber auch lange auf dem Niveau bleiben. Viele befürchten sowieso, dass der Fortschritt irgendwann auch Probleme schaffen wird, die weitaus philosophischer und psychologischer Natur sein können.

Schon jetzt zeigen MMO-Spiele wie „World of Warcraft“, dass sie durchaus das soziale Leben eines Menschen ganz einnehmen können. Wenn Spiele echter als die Realität werden, könnten viele wahrscheinlich darin die Flucht suchen. Schon jetzt sprechen viele über Videospiele nicht mehr bloß als reine Unterhaltungsform, sondern sprechen sogar schon von der achten Kunstform. Je mehr der Stellenwert von Videospielen in der Gesellschaft wächst, desto mehr wird sich das Medium mit den gleichen ethischen Fragen auseinandersetzen, die schon andere Kunstformen mit sich vereinbaren mussten.