Kulturhauptstadt Temeswar 2023: Wurzeln und Widerspiegelungen

Gebürtige Temeswarerin kehrt in ihre Heimat als Künstlerin zurück

Die Ausstellung „Roots & Reflections“ kann täglich zwischen 11 und 18 Uhr bis zum 10. September in der Synagoge der Innenstadt besichtigt werden. Samstags und montags ist die Synagoge geschlossen. Der Eintritt ist frei. Mehr zu Veronica Taussigs Werken kann man von der Webseite www.veronica-taussig.com abrufen.

Veronica Taussigs Leben stand schon immer in enger Verbindung mit Kunst, sie selbst wurde aber erst mit 60 Jahren als Künstlerin bekannt. oto: veronica-taussig.com

„Roots & Reflections“ ist die erste Ausstellung von Veronica Taussig in ihrer Heimatstadt Temeswar. Fotos (3): Andreea Oance

Sie wurde 1948 in Temeswar/Timi{oara geboren, in den 60er Jahren wanderte sie mit ihrer Familie aus, nun kehrt sie in ihre Heimatstadt als Künstlerin zurück. Veronica Taussig lebt und arbeitet seit Jahren in Wien und hat eine interessante Familiengeschichte. Als begeisterte Sammlerin zeitgenössischer Kunst hat sie sich schon immer für Kunst interessiert. Aber erst nach ihrem 60. Geburtstag debütierte sie selbst als Künstlerin. Mit ihrer ersten Ausstellung in ihrer Heimat – und aktuell europäischen Kulturhauptstadt Temeswar – will Veronica Taussig zurück zu ihren Wurzeln. „Roots & Reflections“ (Wurzeln und Spiegelungen) heißt die Ausstellung, die derzeit in der Synagoge in der Innenstadt, in der Mărășești-Straße Nr. 6, zu sehen ist. Dies ist die 14. Ausstellung der Künstlerin. Sie stellte außerdem in Prag, Berlin, Wien, Budapest, Warschau und Sankt Petersburg aus.

Bunte Skulpturen und Reliefs aus Polyurethan, lackiertem Aluminium und Stahl können in der Temeswarer Innenstadtsynagoge in der Fußgängerzone von Temeswar bewundert werden. Der Dialog zwischen den Skulpturen von Veronica Taussig und der Architektur des Ortes ist wesentlich. Viele dieser Skulpturen basieren auf dem illusorischen Spiel zwischen leer und voll, hell und dunkel, und nehmen dabei Fragmente der umgebenden Realität auf. Dank ihrer sehr kräftigen Farben bevölkern diese Objekte den Raum, den sie einnehmen, regelrecht und füllen ihn mit Energie. Die Künstlerin arbeitet ausschließlich in einer Welt der Abstraktion. 

Als eine Heimkehr im wahrsten Sinne des Wortes bezeichnet Veronica Taussig die Ausstellung in der innerstädtischen Synagoge. Die Idee dazu entstand, nachdem die Künstlerin die frisch renovierte Synagoge in Temeswar besucht hatte. Sie wurde auf der Stelle in ihre Kindheit versetzt – an die Seite ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. So dachte sich Taussig, dass dies der perfekte Ort für ihre erste Ausstellung in der Bega-Stadt sein würde. „Mein Herzenswunsch war es, eine Ausstellung in dieser Kultstätte in Temeswar zu machen, was vielleicht ein wenig absurd ist, denn meine Familie war gar nicht religiös. Aber als ich bei einem Ausflug nach Temeswar in der wunderschön renovierten Synagoge stand und hinauf auf die Frauenempore blickte, erinnerte ich mich plötzlich, dass ich dort mit meiner Mutter, meiner Großmutter und meiner Urgroßmutter an den hohen Feiertagen gesessen habe. Und mit meiner Erinnerung entstand dieser Wunsch, Beispiele meiner Kunst eben hier auszustellen“, erzählt sie. 

Im Innenraum der Kultstätte mit keiner festen Bestuhlung sind nun Skulpturen, Formen und starke Farben ausgestellt. „Ich liebe den Kontrast. Ich denke, dass meine Werke sehr gut in die Atmosphäre der Synagoge der Temeswarer Innenstadt passen, gerade wegen der stilistischen und farblichen Unterschiede zwischen der klassischen und der modernen Kunst, die sich so paradoxerweise gegenseitig hervorheben“, setzt die Künstlerin fort.

Zurück zu den Wurzeln

In Temeswar hat die nun 75-jährige Künstlerin dreisprachig in einer typischen Banater Familie gelebt. Mit der Urgroßmutter hat Veronica Taussig Deutsch gesprochen, daher besuchte sie den Kindergarten in deutscher Sprache und anschließend die deutschsprachige „Nikolaus Lenau“-Schule. Zuhause unterhielt man sich auf Ungarisch, und von der rumänischen Umgebung lernte sie Rumänisch, eine Sprache, die sie noch heute spricht. 

Als Zwölfjährige verließ Veronica Taussig 1961 Temeswar, als ihre Familie nach Wien zog, nachdem das kommunistische Regime unter anderem das Familiengebäude, das berühmte „Ernö Neuhaus“-Palais am Opernplatz, auch als „Färber“-Palais bekannt, verstaatlicht hatte. Das Palais wurde in eklektischem Baustil mit Elementen des Barocks und des Jugendstils von dem Architekten László Székely 1912 erbaut. Das Gebäude war nach seiner Fertigstellung in den Besitz von Bernat Färber, dem Urgroßvater von Veronica, gekommen, der ein Textilgeschäft in der Fabrikstadt/Cartierul Fabric besaß und Mitglied der jüdischen Gemeindeleitung war.

Nach ihrer Auswanderung ist Veronica Taussig immer wieder im Laufe der Jahre in ihre Heimatstadt zurückgekehrt – vor allem, als ihre Großmutter noch lebte, besuchte sie Temeswar regelmäßig. Nun ist sie als Künstlerin wieder hier. „Für mich ist es ein beruhigendes Gefühl, an den Ort, den wir verlassen mussten, doch wieder irgendwie zurückgekehrt zu sein. Ich bin überrascht, wie schön die Stadt meiner Kindheit geworden ist und dass viele Erinnerungen wieder auftauchen, die ich eigentlich nie verdrängt habe“, erzählt Veronica Taussig. 

Stark prägende Familiengeschichte

Die Geschichte der Familie ist eng mit der Stadt Temeswar verbunden. Veronicas Cousin John Färber, der heute 98 Jahre alt ist, ist der aktuelle Besitzer des emblematischen Neuhaus-Gebäudes am Opernplatz sowie der Eigentümer der „Azur“-Fabrik in Temeswar. Dessen Vater, Eugen Färber, handelte in Temeswar mit Farben. Im Jahr 1923 nahm er die Produktion am Bega-Ufer auf und gründete die „Vereinigte Lack- und Farbenfabrik“. Sein Schwager Taussig eröffnete eine Fabrik für Lösungsmittel, aus der später die Firma „Solventul“ hervorging.

Nachdem er ebenfalls das Land wegen des kommunistischen Regimes verließ, ging John Färber nach New York, wo er heute noch lebt und er im Laufe der Jahre das Werk ICC Industries gründete. Dieses wurde zu einem der größten Chemiekonglomerate in den USA, das mit einem Umsatz von 3 Milliarden US-Dollar auf Platz 148 der Forbes Private Company List steht. Das Unternehmen hat Niederlassungen in den USA, Europa, dem Nahen Osten und Asien und verfügt über zahlreiche Chemie-, Pharma- und Kunststoffanlagen auf allen Kontinenten. 1999 kaufte ICC die Lack- und Farbenfabrik „Azur“ in Temeswar, die die Färber-Familie durch die Verstaatlichung verloren hatte.

Die Urgroßmutter - Mitbegründerin der jüdischen Gemeinde

Auch zur Kunst hatte die Familie von Veronica Taussig schon immer eine enge Verbindung. Das Haus ihrer Großeltern war voller Gemälde, und der Bruder ihres Großvaters, Ármin Tardos-Taussig, war ein begabter Grafiker, der von Temeswar nach Szeged in Ungarn zog. Dort wurde vor Kurzem eine Ausstellung zu Ehren seines künstlerischen Schaffens, ebenfalls in der Synagoge der Stadt, organisiert.

Die Verbindung ist selbstverständlich, denn Ida Färber, die Urgroßmutter von Veronica Taussig, gehörte zu den Mitbegründern der jüdischen Gemeinde von Temeswar und war die Initiatorin der berühmten „Freitag-Abendessen“, die vor allem für alleinstehende Menschen vorgesehen waren. Als sich Veronica Taussig für den Austragungsort ihrer ersten Ausstellung in Temeswar entschied, wandte sie sich an Luciana Friedmann, aktuelle Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Temewar. Sie vereinbarten ein Treffen, und als Veronica Taussig Friedmanns Büro betrat, wurde sie von einem bekannten Gesicht empfangen. Von einem Porträt an der Wand blickte ihre eigene Urgroßmutter Ida Färber herab. Als glücklichen Zufall und Zeichen betrachteten die beiden Frauen dieses Ereignis. „Für die jüdische Gemeinde Temeswar ist es eine große Freude, diese Ausstellung von Veronica Taussig in der schönen Synagoge in der Innenstadt zu zeigen. Für jemanden, der seine Heimatstadt in seiner Kindheit verlassen hat, ist es wie eine Reise in die Vergangenheit. Auf den Spuren ihrer Familie hat Veronica Taussig Schulen, Straßen und Parks wiederentdeckt, die langsam aus den verschwommenen Erinnerungen an ihre Kindheit ans Licht kommen“, sagt Luciana Friedmann. „Eines der Hauptziele der jüdischen Gemeinde Temeswar ist es, das jüdische Erbe zu bewahren und der jüngeren Generation die Möglichkeit zu geben, all das kennen und schätzen zu lernen, was von ihren Vorgängern hinterlassen wurde. Wir sind sehr dankbar dafür, dass Veronica Taussig durch ihre Kunst eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart schlägt, zwischen der Stadt und denen, die von hier in die weite Welt aufgebrochen sind“, sagt die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Temeswar. 
 

 

*** Dieser Beitrag wurde durch die Finanzierung „Energie! Kreative Stipendien”, die von der Stadt Temeswar über das Projektezentrum im Rahmen des nationalen Kulturprogramms „Temeswar - Kulturhauptstadt Europas 2023” gewährt wurden, verfasst. Die Erstellung gibt nicht unbedingt den Standpunkt des Projektezentrums der Stadt Temeswar wieder und das Zentrum ist nicht verantwortlich für den Inhalt des Beitrags oder für die Art und Weise, wie dieser verfasst wurde.