Ein außergewöhnlicher Lebenslauf

Zum 85. Geburtstag von Dr. Maria Luise Roth-Höppner am 24. Juni

Foto: die Verfasserin

Ein normales Leben in einer unnormalen Zeit. So ähnlich fasste Dr. Maria Luise Roth-Höppner einmal ihre Biografie zusammen. Beim genauen Hinsehen stellt jedoch jeder fest, nicht bloß die Zeit war unnormal, sondern auch ihr Lebenslauf ist außergewöhnlich. In Hermannstadt/Sibiu als Tochter des bedeutendsten rumäniendeutschen Politikers der Zwischenkriegszeit Hans Otto Roth geboren, konnte sie ebenda 1948 das Bakkalaureat ablegen. Sie studierte an der Wissenschaftsabteilung der Physikhochschule in Bukarest, Fach Astronomie. Der Vater fand im „neuen, demokratischen Regime“ als „ehemaliger bürgerlicher Politiker“ keine Anstellung mehr, wurde im Verlauf der Verhaftungswelle 1952 festgenommen und verstarb ein Jahr später im Gefängnis. Die Familie weiß nicht, wo er begraben ist. Mit diesem „befleckten Dossier“ hatte die Hochschulabsolventin keine Chancen, in ein Forschungsinstitut zu gelangen und auch über die Anstellung im Astronomischen Observatorium entschied die Kaderabteilung der Akademie. Also unterrichtete Maria Luise Roth zwei Jahre lang in einer Schule, ehe es ihr schließlich gelungen ist, eine Stelle als Assistentin am Polytechnischen Institut in Kronstadt/Braşov zu erhalten.

Zusammen mit ihrem Bruder Herbert (und anderen Rumäniendeutschen) fiel sie der zweiten Verhaftungswelle 1958 zum Opfer und wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, wegen „Verschwörung gegen die soziale Ordnung durch Agitation“. Das fadenscheinige Motiv der Securitate: Der Bruder hatte zur Hochzeit einen Brief aus Westdeutschland erhalten, in dem das Leben dort beschrieben wurde, was angeblich gegen die soziale Ordnung verstieß; der Grund: sie verweigerte die Mitarbeit als Informantin. Im Politiker-Haus aufgewachsen, wusste sie, es ist naiv zu sagen, „ich unterschreibe und dann mache ich nichts“, mal in den Fängen, konnte man sich schwer rausreden. Bis 1964 waren die Gefängnisse in Kronstadt, Zeiden/Codlea, Miercurea-Ciuc, Arad und Großwardein/Oradea ihr Domizil. Nach der Entlassung zog sie – wie auch ihr ebenfalls aus der Haft entlassener Bruder – nach Hermannstadt/Sibiu zur Mutter. Die Mutter hatte kein Einkommen, niemand traute sich die beiden ehemaligen „politischen Häftlinge“  anzustellen. Mit Privatstunden versuchte die Physikerin, etwas zum Lebensunterhalt zu verdienen. Die Familie hatte nie ausreisen wollen, nachdem aber ein Gesetz erschienen war, das ehemals politisch Verurteilten eine Anstellung in der Forschung verbot, und die Familie feststellte, dass es unmöglich war, in Rumänien ein Leben in Würde zu führen, beschloss sie, die Ausreise nach Deutschland zu beantragen. Im Sommer 1969 verließen sie das Land. Maria Luise Roth fand eine Anstellung am Astronomischen Observatorium in Hamburg, promovierte als 43-Jährige und heiratete ihren Fachkollegen, Dr. Wolfgang Höppner.

Eine glückliche Wendung? Sie fühlte, dass sie nicht nach Hamburg gehörte und die vom Vater geprägte Lebensbahn verlassen hatte. Zusammen mit ihrem Mann kam sie immer wieder nach Rumänien und seit 1985 verbrachten sie die Urlaube nur mehr hier. Wo sie die im Gefängnis gefundenen Freundinnen aufsuchte. Die Gefängnisjahre beschreibt sie als Chance: Tolerant erzogen, habe sie dort erst erlebt, dass alle Menschen sind, ob gute oder böse.
Als Dr. Maria Roth-Höppner im Dezember 1989 im Radio den Niedergang des Ceauşescu-Regimes verfolgte, stand für sie fest, dass sie nach Rumänien zurückkommt. Seit Mai 1991 lebt sie mit ihrem Mann wieder in Hermannstadt. Da gibt es kein Astronomisches Observatorium, also mussten sie etwas anderes beginnen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie gründeten eine Computersatz-Firma, aus der schließlich der hora-Verlag entstand, der erste private Verlag in Rumänien, der vorrangig deutschsprachige Bücher – und diese nach allen Regeln des Buchdrucks – herausbrachte. Und sie gründete den Verein „Arche Noah“, der Aus- und Rücksiedlern vorrangig aus dem deutschsprachigen Raum nach Rumänien bei der Niederlassung bzw. dem Neuanfang in Rumänien half. Sie arbeitete zahlreiche Merkblätter und Unterlagen aus, schrieb an deutsche und rumänische Behörden. Irgendwann schlief die Vereinstätigkeit ein, das Aus- und Rücksiedeln war einfacher geworden.
Ein normales Leben in unnormaler Zeit? Ganz so normal war es nicht ...