Einschnitte der Geschichte

100 Jahre seit Erstem Weltkrieg – wie Siebenbürger ihn erfahren haben

Hermannstadt – Ein Kaleidoskop der Erfahrungen stellte die Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde am vergangenen Dienstag zusammen. Die Tagung wurde mit Unterstützung der Bukarester Botschaft der Bundesrepublik Deutschland am Institut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt/Sibiu organisiert, unter Mitwirkung des Instituts für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Dr. Ulrich Wien, Universität Koblenz-Landau, leitete die Tagung, die vor Ort von Dr. Julia Derzsi, Institut für Geisteswissenschaften Hermannstadt, koordiniert wurde. Die Vortragenden durchleuchteten das Leben und das Gemüt der Siebenbürger während des Ersten Weltkrieges und kein Gesamtbild wollte dabei entstehen. Was der Krieg für sich beanspruchte, ein totaler Krieg zu sein, bleibt, diesem Anspruch zum Trotz, der Nachwelt eine unübersichtliche Unfassbarkeit mit vielen Gesichtern und schweren Folgen. Zeugen der Zeit hinterließen ihre Auffassungen in unterschiedlichsten Aufzeichnungen, von Kriegstagebüchern bis zu Malerei, aber auch in amtlichen Dokumenten, reichhaltiges Material für die Forschung der Geschichtswissenschaftler.

Mehr noch als thematische Einblicke zu bieten, warfen die Vorträge viele Fragen auf und boten Raum für angeregte Diskussionen. Der kunstgeschichtliche Vortrag Dr. Gudrun Ittus, Institut für Geisteswissenschaften Hermannstadt, ging auf die bildlichen, vorwiegend expressionistischen Darstellungen der Kriegserfahrungen ein. Dr. Marian Zăloagă, Rumänische Akademie, Institut für Geisteswissenschaften Neumarkt/Târgu Mureş, untersuchte, welche Lieder zu Beginn des Krieges gesungen wurden, so auch „Ein feste Burg ist unser Gott“, zur Ermutigung. Dass der religiöse Glaube, das Vertrauen auf Gott ein Anker in der Kriegszeit war, ging auch aus dem Vortrag Dr. Ulrich Wiens, der Organisator dieser Tagung von der Universität Koblenz-Landau, hervor. Mehr noch, Vertreter der Evangelischen Kirche A.B. bemühten sich um die Bestärkung der in den Krieg ziehenden, bis hin zur sittlichen Kriegsrechtfertigung durch den Willen Gottes, was allerdings trotz grundsätzlicher Linie nicht von allen Geistlichen unterstützt wurde. Dr. habil. Paul Brusanowski, Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt und Lóránt Lásló, Teleki-Bibliothek Neumarkt, stellten die jeweils von der Orthodoxen und Reformierten Kirche vertretenen Standpunkte im ersten Weltkrieg dar, in Details zu Für und Wider den Krieg mit seinem für Siebenbürgen unabsehbaren Ausgang.

Das Augenmerk richtete Dr. Vasile Ciobanu, Geisteswissenschaftliches Institut Hermannstadt, auf das Kriegstagebuch Otto Folberths, um uns näherzubringen, wie Einzelne den Krieg erfuhren. Freiwillig in den Krieg gezogen, ließ Folberth in seinem Tagebuch bald gemischte Gefühle durchscheinen. Die Einschätzung der Streitkräfte und der Kriegslage erweist sich aus der Perspektive des Einzelnen als irreführend. Zudem machte die Entfremdung von der geliebten Heimatstadt Mediasch dem Autor zu schaffen und deutet auf die Verfremdung durch den Krieg und seine Folgen hin. Die Zivilbevölkerung war in der gleichen Zeit von weiteren Nöten geplagt, wie Daniela Stanciu, Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca, in ihrem Vortrag zur öffentlichen Gesundheit und Hygiene in Hermannstadt festhielt. Die Verbreitung von Epidemien wurde in der Bevölkerung auf Kriegsmobilisierungen und die Anwesenheit rumänischer Truppen in der Gegend zurückgeführt, was allgemein zu Ängsten und Unruhe führte. Auf die Rolle rumänischer Lehrer im Ersten Weltkrieg ging Dr. Ioan Popa, Constantin-Noica-Gymnasium Hermannstadt ein, während Prof. Dr. Rudolf Gräf die Arbeiter berücksichtigte, mit einem Vortrag zu der Lage im Banat.

Die Materialien der Kriegszeit zu Beginn des letzten Jahrhunderts sind, wie aus den meisten Vorträgen hervorging, noch lange nicht erschlossen. Viele Fragen bleiben noch offen, insbesondere Fragen bezüglich der Lebensführung, der Haltung und der Mentalität in Siebenbürgen. Die Tagung eröffnete durch die vielseitigen Vorträge ein breites Forschungsfeld, und zeigte mit dem Blick für Details Gesichter des Kriegs in den verschiedensten Institutionen und Lebensbereichen.