26 Jahre später: Temeswarer erkennen sich auf alten Bildern wieder

Japanischer Fotograf kam Anfang der 1990er Jahre ins Banat

Wer wird nicht nostalgisch beim Anblick der alten „Alimentara“? Fotos: Norihiro Haruta

Rückkehr aus der Zeitmachine: Statt der Lactobar gibt es heute dort eine Mc Donalds-Filiale.

Norihiro Haruta fotografiert vor allem Menschen.

ADZ-Redakteurin Andreea Oance (links, damals 8 Jahre alt) und ihre Klassenkollegin Cora Mărieș vor der „kleinen“ Lenau-Schule am Domplatz

Auch die ehemalige Lenau-Schülerin Karin Vikete (das blonde Mädchen) durfte sich auf den Bildern 26 Jahre später wiedererkennen.

Seit mehreren Wochen sorgen dutzende Schwarz-Weiß-Fotografien für Diskussionen im Internet. Die Bilder sind mehr als zwei Jahrzehnte durch die Welt gegeistert, bis sie letztendlich Rumänien und schließlich Temeswar/Timișoara erreicht haben. Die Reise erfolgte aus Japan. 


Der japanische Fotograf Norihiro Haruta (51) erreichte Temeswar im Winter des Jahres 1993. Er weilte dort einige Tage lang und konnte durch die Linsen seiner Kamera die damalige Stadt und deren Menschen für die Ewigkeit festhalten. Dann war er wieder weg. Er verließ die Stadt, zusammen mit Bruchstücken aus dem Leben einiger Menschen, die ihm völlig anders schienen, als alle anderen Leute, die er in der weiten Welt kennengelernt hatte.

Die Momentaufnahmen blieben dann mehr als zwei Jahrzehnte auf den Fotorollen in einer alten Schublade vergessen. Erst vor zwei Jahren erblickten die Fotos wieder das Licht der Welt – sie wurden veröffentlicht und im Internet gepostet. So begann auch ihre lange Heimreise. Zuerst bewegten sie sich langsam, wie ein Bär, der gerade aus dem Winterschlaf erwacht ist, dann schleuderten sie regelrecht durch Facebook-Seiten - bis vor die Augen einiger Protagonisten auf den Bildern. Die meisten wussten nicht einmal, dass sie damals fotografiert wurden und erlebten eine Überraschung.

„Zuhause“ angekommen, enthüllen die Schnappschüsse Einblicke aus einer Stadt, die von vielen Leuten vergessen wurde, die vielleicht allzu bekannt geblieben ist oder die Neutemeswarern erlaubt, sie erneut zu entdecken. Das vielkommentierte Internet bekommt langsam wieder seinen guten Ruf zurück.

Nachdem die Fotos durch Raum und Zeit gereist sind, konnten sich einige Temeswarer darauf selbst entdecken – fast wie das Ergebnis einer Zeitmaschine: Sie fanden sich an der Seite von Freunden aus der Kindheit, an der Hand der Großmutter, die inzwischen aus anderen Dimensionen auf ihre Enkel herabschaut, in den Armen der ersten Liebe oder konnten einfach die Stadt kurz nach der Wende, mit ihren grauen Gebäuden, verschwundenen Läden (so das einstige Lactobar-Geschäft, dessen Raum nun das McDonald´s im Zentrum von Temeswar beherbergt) und einstigen Gegebenheiten betrachten. Norihiro Haruta konnte mit seiner Ka-mera sogar einige Hochzeitsfotos schießen und Bilder von der Beerdigung des Dichters und Revolutionärs Ion Monoran festhalten.

Auch die Autorin dieses Textes konnte sich auf den Fotografien aus dem Jahr 1993 wiederfinden. Zusammen mit ihrer damaligen besten Freundin und Klassenkollegin, Cora, wurde sie vor der „kleinen“ Nikolaus-Lenau-Schule „erwischt“. Norihiro Haruta schoss einige Dutzend Fotografien am Domplatz und konnte den Unterrichtsschluss an der deutschen Schule für die Ewigkeit festhalten. Karin Vikete und Filip Petcu, beide ehemalige Lenau-Schüler, konnten sich ebenfalls auf den alten Schwarz-Weiß-Fotografien entdecken. „Welch eine Überraschung das für mich war! Ich musste sogar zwei Mal hinschauen: Ich bin tatsächlich das blonde Mädchen mit der Kappe auf dem Foto. Da dürfte ich in der 1. oder 2. Klasse gewesen sein.“ Längst vergangene Tage und ein Hauch des Vergessens legten einen zusätzlichen alten Schleier über das Foto. „Und in der Mitte des Fotos ist meine Oma. Sie ist leider nicht mehr unter uns und ich vermisse sie so sehr. Wie schön sie in alter Kraft in ihrem schicken Mantel und mit dem passenden Hut auf dem Bild zu sehen ist. Und an der Hand meine damals beste Freundin, die nun in Deutschland lebt. Wie die Zeit doch alles verändert…“, sagt Karin Vikete.

Norihiro Haruta konnte durch seine Schnappschüsse vielen eine unglaubliche Überraschung bereiten. Der 1968 geborene japanische freiberufliche Fotograf kam zum ersten Mal 1990, während seiner Studentenzeit, in Rumänien an. „Die Rumänen zeigten mir damals das pure Gefühl der Freiheit. Das wollte ich auch 1993 erneut fühlen“, erzählt Haruta. So entschied sich der Mann, noch einmal nach Rumänien zu fliegen. Für mehrere Wochen bereiste er die rumänische Hauptstadt Bukarest und andere Städte und Ortschaften, darunter auch Temeswar. Nach seiner Reise kehrte er nach Japan zurück.

Erst 2017 erblickten die Bilder wieder das Licht der Welt. „Ich schloss einige Freundschaften in Rumänien Anfang der 90er Jahre. Ein Freund fragte mich nun, sehr viele Jahre später, was aus den Fotos von damals geworden sei. So suchte ich die alten Rollen und druckte sie aus. Das war 2017. Später lud ich sie auch im sozialen Netzwerk hoch. Welche Wirkung diese hatten, war auch für mich eine große Überraschung“, erzählt Norihiro Haruta.

Langsam aber sicher erreichten die Fotos auch Temeswar. „Was ich damals alles in Temeswar gemacht habe, daran erinnere ich mich auch nicht mehr so genau. Ich weiß nur, dass ich sehr viel herumgegangen bin und versucht habe, vieles zu beobachten und zu fotografieren“, erzählt der Fotograf. „Ich erinnere mich auch, dass die Leute sehr freundlich waren. Sie schauten mir lächelnd zu und fragten oft ´Faci mie poze?` (Knipst du mich ab?). Vor allem für Kinder war ich eine Sensation. Sie betrachteten mich als Jackie Chan oder Bruce Lee, die sie aus dem Fernsehen kannten, und versuchten, mit mir ins Gespräch zu kommen“, fügt Norihiro Haruta hinzu. Rund 500 Schnappschüsse sind damals entstanden. All diese Bilder, die mit der 28mm-50mm-80mm-Kamera geknipst wurden, wurden erst 26 Jahre später veröffentlicht. 

Anfang der 90er Jahre unternahm Norihiro Haruta mehrere Reisen durch Staaten, die einst zum Ostblock gehört haben. So besuchte er 1990 Berlin und auch Sarajevo in den Jahren 1995 bis 1997. Er möchte gerne eine Webseite mit all diesen Fotografien erstellen lassen. Der Fotograf stellt sich vor, irgendwann nach Rumänien und Temeswar zurückzukehren. Eine Runde Before&After-Fotografien könnte eine gute Angelegenheit dafür sein. „Für mich als Fotograf und Reisender wären diese Fotografien eine interessante Studie“, schließt Norihiro Haruta.