Ackergrund, Geräte, Wägen, Häuser

Die Agrarreform vom Frühjahr 1945 und ihre Durchführung in Großscheuern / Aus einem Interview mit Johann Grau

Familie Grau im Jahr 1943 (v.l.): ein Vetter, der als Waise in der Familie aufwuchs, Thomas, Mutter Katharina, Michael (in der SS), Katharina (nach Russland deportiert), Vater Georg, Johann und Simon (ebenfalls in Russland)

Johann Grau
Foto: Hannelore Baier

Neben der Deportation in die Sowjetunion gehört die Enteignung des Boden- und Häuserbesitzes der deutschen Landbevölkerung in Rumänien von März-April 1945 zu den Traumata der Nachkriegszeit, die tiefe Spuren im Gemeinschaftsbewusstsein hinterlassen haben.

Die Verschleppung zur Zwangsarbeit war von der Sowjetregierung angeordnet worden, bei der Agrarreform handelte es sich um die erste populistische Maßnahme der kurz zuvor eingesetzten, von der Kommunistischen Partei (KP) dominierten Regierung unter Petru Groza. Das Gesetz Nr. 187 wurde am 23. März 1945 im Amtsblatt veröffentlicht, die Anwendungsbestimmungen am 12. April. Im Falle der deutschen Minderheit sollte das Agrarreformgesetz das NS-Mitläufertum bestrafen, betonten die Ideologen der KP.

In jener Zeit lebten ca. 75 Prozent der rumäniendeutschen Bevölkerung im ländlichen Gebiet, enteignet wurden davon rund 95 Prozent. Jene, die nachweisen konnten, dass sie der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (DVR) nicht angehört bzw. ausschließlich in der rumänischen Armee gekämpft hatten, wurden nicht enteignet. Die „Agrarreform“ war die Maßnahme, die die Gemeinschaften am härtesten traf, und zur Umsiedlung der jungen Leute in die Städte, auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten, führte.

Über die Durchführung der Agrarreform befragte Hannelore Baier im Jahr 2005 Johann Grau in einem längeren Gespräch.

Der damals bereits pensionierte Lehrer hatte zahlreiche Fakten und Urkunden aus seinem Heimatdorf Großscheuern/Şura Mare gesammelt. Johann Grau, Jahrgang 1930, war das fünfte von sechs Kindern. Die zwei ältesten Brüder waren in der SS, die im Alter folgenden Geschwister wurden nach Russland deportiert.

Nach dem Besuch der Pädagogischen Schule in Schäßburg/Sighişoara wirkte er bis zu seiner Pensionierung 1990 als Lehrer – er hatte im Fernstudium Rumänisch und Geschichte studiert – und zeitweilig auch als  stellvertretender Schulleiter und Kulturheimdirektor in Großscheuern. Johann Grau ist 2007 verstorben. Im Folgenden werden Teile des 2005 geführten Interviews abgedruckt, einige Auszüge erschienen 2005 in dieser Zeitung.


Johann Grau: Im März 1945 befanden sich unsere Leute noch unter dem Schock der Deportation vom Januar in die Sowjetunion und waren durch dieses Ereignis ganz eingeschüchtert. Außerdem befand sich in Großscheuern noch sowjetische Besatzung. Es war eine Kavallerie-Einheit, die den Leuten den Klee und das Heu wegnahm, um die Pferde damit zu füttern. Anfang März sind die letzten sowjetischen Soldaten aus Großscheuern abgezogen.

Das Agrarreformgesetz ist am 23. März erschienen. Ich habe damals in einer rumänischen Zeitung gelesen, dass den Eigentümern der gesamte Grundbesitz weggenommen wird, der über 50 Hektar ausmacht, und an die armen Bauern verteilt werden soll und an jene, die an der Westfront gegen die deutschen und ungarischen Truppen gekämpft haben.

Können Sie sich erinnern, wie man bei der Durchführung vorgegangen ist?

Beim Gemeinderat gab es das Landwirtschaftsregister, in dem alle Bauern und ihr Besitz eingetragen waren, der Ackergrund, das Weideland, die Wiesen. Es gab also eine Übersicht über den Besitz. Ende März oder im April, ich weiß es nicht mehr so genau, gingen dann Rumänen und Roma mit kleinen Holzpflöcken unter dem Arm in Richtung Gemeinderat. In Großscheuern wurde eine Kommission zur Durchführung der Agrarreform eingesetzt, die die Anweisungen erteilte, wie der Grund ausgemessen, eingeteilt und mit den Holzpflöcken abgesteckt wird.

Wer gehörte der Kommission an?

Der Notär und Bauern aus dem Dorf. Im Agrarreformgesetz war auch vorgesehen, dass alle Angehörigen der deutschen Minderheit, die mit Hitlerdeuschland zusammengearbeitet hatten, enteignet werden sollen. Einen solchen Enteignungsbescheid „a colaborat cu Germania hitleristă“ habe ich von einer Tante, die meine Mutter beerbt hat, und von einem Onkel.

Hat die Tante mit Hitlerdeutschland kollaboriert, oder war sie Mitglied in der Deutschen Volksgruppe für Rumänien?

Mitglieder waren ja alle. Man hat keinen gefragt, willst du Mitglied sein oder nicht. Diese Maria Fuss zum Beispiel, von der haben wir einen Garten geerbt, die hatte keine Kinder und auch sonst niemanden, der in der SS oder Wehrmacht gewesen wäre, aber sie ist trotzdem enteignet worden. D. h. ihre Erben, denn sie starb bald nach dem 23. August 1944 und zu den Erben gehörte auch meine Mutter. Im Enteignungsbescheid meines Vaters stand „Moştenitorii au colaborat cu Germania hitleristă.“ Zwei meiner Brüder waren in der Waffen-SS.

Im Frühjahr 1945 hatten die Sachsen den meisten Grund noch bestellt. Die meisten Roma und eine kleine Anzahl Rumänen, die Grundstücke aus sächsischem Eigentum erhielten, besaßen kein Zugvieh, wenig Geräte, so dass sie den Grund nicht bearbeiten konnten. Die Sachsen haben den  Ackergrund bebaut, trotzdem die besten Arbeitskräfte gar nicht in der Gemeinde waren, denn die in der Wehrmacht oder SS waren, die waren nicht zurückgekehrt und die anderen hatte man in die Sowjetunion verschleppt. Die Kulturenpflege ist ebenfalls von den Sachsen durchgeführt worden. Anders war es dann bei der Ernte, vor allem von Mais, Kartoffeln und Zuckerrüben, wo sich in vielen Fällen die neuen Besitzer den ganzen Ertrag aneigneten.

Wussten die Leute nicht, dass man ihnen die Felder nimmt?

Sie wussten es, man hatte das Feld ja ausgemessen und einem anderen gegeben, aber dem Vorsitzenden der Enteignungskommission hatte man eingeheizt und gesagt, es muss angebaut werden. Der von den Sachsen enteignete Grund dürfe nicht unangebaut bleiben, sonst ergibt das ja großen Schaden.

Hier muss ich etwas anführen: Die Sachsen, die nach dem 23. August 1944 an der Westfront gekämpft haben, waren die sogenannten „exceptaţi“, die wurden nicht enteignet. Ich habe eine Liste aus Großscheuern, in der 33 Personen angegeben sind. In erster Reihe solche, die an der Westfront  gekämpft haben, und dann auch solche, die eben keine Angehörigen in der deutschen Armee hatten. Und Waisen, wenn zum Beispiel jemand den Vater an der Front in Russland verloren hatte.

Denen hat man den Boden auch später nicht genommen?

Nein. Viele von ihnen sind mit dem Boden in die Kollektivwirtschaft eingetreten. Doch kommen wir zum Kapitel der Wegnahme von Vieh und Gerätschaften zurück. Das war im Juli – August 1945. Gruppen von 6 - 7 Männern mit langen Holzstangen in der Hand gingen von Haus zu Haus und führten die Enteignung durch. Zuerst wurden das Zugvieh und die Milchkühe – bis auf eine, die durfte man behalten – weggenommen, dann die Pferde- und die Ochsenwagen und die Gerätschaft.

Aus unserem Schopfen zogen sie den Wagen, luden darauf den Pflug, die Egge und die anderen Geräte und zogen den Wagen aus dem Hof hinaus. Die Wagen mit den Pferden und Ochsen wurden vor den Gemeinderat gefahren. Dorthin hatte man Rumänen und Roma bestellt, die die Wagen mit den Gerätschaften in Empfang nahmen. Natürlich kam es zu Streitigkeiten, wer welchen Wagen, welches Zugvieh, welchen Hackpflug bekommt.

Unsere Leute haben versucht, einen Teil der kleineren Geräte, Sensen oder Hacken, zu verstecken. Mein Vater hat auch den Hackpflug versteckt, ich weiß nicht wo, aber 1946 und 1947 hatten wir ihn noch. Aber der Wagen, den wir aus Bessarabien hatten – als die Bessarabiendeutschen 1940 umgesiedelt wurden, waren die Wagen von dort hierher gebracht worden und wir hatten einen solchen gekauft –, der wurde weggenommen und auch der andere, den meine Eltern von vorher besaßen. Und zwei Zugpferde.

Nicht weggenommen wurden 1945 die meisten Obst- und Weingärten. In Großscheuern hatten nur die Sachsen und ein oder zwei Rumänen Weingärten, die anderen kannten diese Arbeit nicht. So blieben die Weingärten bis 1946 im Besitz. Im Herbst 1945 konnten die Sachsen die Trauben und das Obst ernten.
Ein Teil des weggenommenen Ackergrundes und der Wiesen wurde schon im Frühjahr ’45 in Weideland umgewandelt. Außer diesem Teil blieb noch Grund übrig, der nicht ausgemessen und niemandem zugewiesen worden war.

Im Jahr ’46 haben wir in diesem Teil ein Stück Grund gehabt und dort hat mein Vater Hafer angebaut, den wir haben ernten können. In dem Hattertteil, wo die Weinberge waren, waren zwischen den Weingärten auch noch Ackergrundstücke. Ein solches konnten wir ’46 auch noch anbauen, ich glaube auch noch ’47. Dieser Grund war enteignet, er war nicht mehr auf dem Namen meines Vaters, und so haben wir für dieses Grundstück auch keine Steuern bezahlen müssen.

Hat es in Großscheuern keine Kolonisten gegeben?

Die sind im Herbst 1946 nach Großscheuern gekommen und dann ist auch der restliche Grund vermessen und diesen Leuten verteilt worden. Die meisten kamen aus der Mărginime, aus Răşinari, Sălişte, Poplaca und Gura Râului.

Blieben sie im Dorf?

Manche sind geblieben. Die nächste Aktion der Agrarreform war nämlich die Enteignung des Hauses und Hofes. Diese wurde in Großscheuern 1946 durchgeführt. Im „Proces verbal“ von der Wegnahme des Hauses meiner Eltern sind registriert „1 Haus mit 2 Zimmern, 1 Ofen, elektrische Leitung, gute Fenster und gute Türen, Ofen zum Brotbacken, Keller, eine Scheune, Stall, Schopfen, Brunnen“. Und der „improprietărit“ ist ein Băilă Nicolae, „agricultor din comuna Sălişte“. Der ist gekommen, hat sich das Haus und alles angesehen, aber nicht übernommen. Dann ist ein anderer gekommen, ein Coman, auch aus Sălişte, der hat dann unser Haus übernommen. Wir mussten es räumen. Wir sind in die deutsche Schule gezogen, denn mein Vater war mit dem Schulrektor befreundet, der war alleinstehend und so konnten wir im November 1946 in dessen Wohnung unterkommen.

Dem Băilă Nicolae war die ganze Sache nicht recht gewesen. Auch von den Rumänen aus Großscheuern haben nicht alle von der sogenannten Agrarreform profitiert. Einige wollten keinen Grund von den Sachsen übernehmen, auch keine Kühe oder Wägen, die meisten haben aber zugegriffen. Sogar der orthodoxe Pfarrer hat eine Kuh genommen.

Wie lang wohnte Ihre Familie in der Lehrerwohnung?

Bis zum Jahr 1951. Ich war von 1948 bis 1952 in Schäßburg am Pädagogischen Lyzeum und kam nur in den Sommerferien nach Hause. 1951 musste der Rektor aus der Schule ausziehen, denn nach der Schulreform hatte sich die deutsche mit der rumänischen Schule vereinigt und in der Rektorwohnung wurde auch ein Klassenraum eingerichtet.

Der Gemeinderat musste dem Rektor eine Wohnung zur Verfügung stellen, und er hat unser Elternhaus verlangt. Dem Kolonisten, der dort war, wurde ein anderes Haus in Großscheuern zugewiesen. So sind der Rektor und meine Eltern in mein Elternhaus zurückgekommen. Das Haus war aber enteignet und erst 1956 ist es dann in Durchführung des Dekrets 81 aus dem Jahre 1954 wieder auf meine Eltern zurückübertragen worden.

Wo sind die anderen Familien aus Großscheuern untergekommen?

In der Hauptgasse und der sogenannten Neugasse hatte man 1946 alle Sachsen evakuiert. In einigen Fällen gingen die Häuser an „refugiaţi“, d. h. Flüchtlinge aus Bessarabien und der Bukowina, die in Răşinari, Poplaca oder Sălişte auch Zugewanderte waren. Die Sachsen aus der Hauptgasse sind in der Bachgasse untergekommen, bei den Sachsen, die man aus ihren Häusern nicht vertrieben hat, selbst wenn sie enteignet waren. Dort haben jahrelang 2 bis 3 Familien in einem Haus zusammengepfercht gewohnt.