Advokat für naturgemäße Bodenpflege

Siebenbürgen – Kanada via Deutschland und zurück, und immer in der Landwirtschaft

Karl Hann am Kleinen Ring in Hermannstadt Foto: Hannelore Baier

Ein Student und Karl Hann jäten das Beet mit dem japanischem Gemüse Shiso, Myoga und Shinguku in Hammersdorf. Foto: Kilian Dörr

Karl Hann kommt fast jeden Mittwoch nach Hermannstadt/Sibiu. Über einen Freund hatte er Stadtpfarrer Kilian Dörr kennengelernt und von der Absicht erfahren, im Rahmen des Projektes „Grüne Kirchenburg Hammersdorf“ im Pfarrgarten des in Hermannstadt eingemeindeten Hammersdorf/Guşteriţa einen Schulgarten entstehen zu lassen. Begonnen werden sollte damit 2015, wenn Mittel hierfür vorhanden sein werden; nach mehreren Gesprächen wurde jedoch beschlossen, bereits heuer mittels freiwilligem Arbeitsdienst erste Beete anzulegen. Karl Hann wollte keine Saison ungenutzt verstreichen, sondern die Arbeiten langsam angehen lassen. Das Hauptziel ist, einen Biogarten anzulegen, wo traditionelles siebenbürgisches Gemüse, aber vielleicht auch ein paar „Neuigkeiten“ angebaut werden.

Was das „traditionelle siebenbürgische Gemüse“ ist? „Früher hatte man seine Kohlrabi, Gurken, Tomaten, Zwiebeln im Garten, jeder baute seine eigenen Kartoffeln an, manche auch Sprossenkohl, andere Lauch. Wenn man heute durch die Gegend fährt, sieht man nur Mais, Kartoffeln, Mais, Kartoffeln und in den Katzengärtchen noch etwas Bohnen, Zwiebeln und Kraut“, beantwortete er die Frage. Entstehen soll in Hammersdorf ein Garten, wo kein Kunstdünger zum Einsatz kommt und nicht gespritzt wird, sagte er. Auch nicht, wenn die Tomaten schwarz werden? „Nicht gespritzt ist vielleicht nicht der richtige Begriff“, korrigiert Hann. „Es wird mit keinen synthetischen Substanzen gespritzt, aber Kupfersulfat oder Brennnesselbrühen, um die Pflanzen zu stärken, werden eingesetzt.“

Mit der Natur im Einklang

Im nächsten Jahr soll es in Hammersdorf einen Vorzeigegarten geben, erklärt der seit dem Frühjahr das Projekt freiwillig beratende Karl Hann. Zurzeit schlägt die Dorfbevölkerung die Hände über dem Kopf zusammen. Man müsse doch pflügen, ackern, jäten, sagen die Leute. Ob das Unkraut denn nicht ausgerupft werden muss? „Das ist so eine Sache“, meint der Landwirtschaftsfachmann. „Unkraut sind einfach nur Pflanzen am falschen Platz. Ich möchte keine Disteln in den Karotten haben, aber die Disteln haben auch ihren Platz und Rolle in der Natur. Mir geht es darum, mit der Natur in Einklang zu kommen und sie nicht zu bekämpfen oder auszurotten,“ erklärt er.

Was man mit dem Garten will? Ziehen möchte man die Gemüse für die Küche, in der für die Leute gekocht wird, die in der alten Schule in Hammersdorf einquartiert sind und an Restaurierungen oder sonstigen Arbeiten – auch im Garten – mithelfen. Es soll aber vor allem ein Schulungsgarten sein, um zu zeigen, wie Pflanzengemeinschaften zusammenleben können, wie viel man auf einem Quadratmeter produzieren kann, und dass man von der Tradition des Umgrabens und des Hackens besser ablässt. „Wenn man sich die Gärten hier ansieht, da ist viel offener Boden um die Pflanze herum und das ist nicht gut, denn so verliert der Boden Wasser und trocknet aus.

Der Boden müsste, wie in der Natur, nach Möglichkeit bedeckt sein“, sagt Karl Hann. Ist Hacken also falsch? „Hacken ist etwas Kosmetisches. Die Leute messen dem Hacken viel zu viel Wirkung bei, es heißt, ein gehackter Garten trägt besser. Ein gehackter Garten war meistens einer, um den man sich mehr gekümmert hat, wo man zur rechten Zeit gemistet hat, der gegossen wurde. Das Hacken selbst bringt keinen Mehrertrag und die Pflanzen müssen auch nicht unbedingt einen lockeren Boden haben“, erfahren wir. „Gehackt wird nur die Oberfläche, durch das wiederholte Hacken zerhackt man aber die Struktur des Bodens. Er sieht flauschig aus, nach dem ersten Regen aber fällt die Oberfläche zusammen und ist wie eine Betonplatte. All dies weiß man seit 70 Jahren, aber erstens ist es schwer für die Leute, sich umzustellen und einzusehen, dass man den Boden anders behandeln muss, zweitens heißt es stets: Was sagt der Nachbar?“
Wo er all dies gelernt hat? „Die letzten 35 Jahre habe ich nichts anderes als Landwirtschaft und Gärtnerei betrieben“ sagt er. Allerdings nicht in Siebenbürgen, sondern in Kanada und zwei Jahre lang in Deutschland.

Geflohen und zurückgekehrt

Karl Hann wurde 1956 in Schäßburg/Sighişoara geboren und flüchtete 1979 bei Komlosch/Comloş über die Grenze. Sein Bruder Uwe tat es ihm nach, schaffte es aber erst beim zweiten Versuch. Der jüngste Bruder Werner wollte nicht flüchten, hielt sich aber zufällig im Grenzgebiet auf, wurde verhaftet, verprügelt und büßte für beide. Der 23-jährige Karl träumte von Freiheit, Demokratie, einem einfacheren Leben, der Möglichkeit zu reisen und dachte, all dies und mehr in Deutschland zu finden. Nach einem kurzen Aufenthalt im Gefängnis in Jugoslawien gelangte er dorthin zum Onkel. Nach zwei-drei Monaten war er von Deutschland bitter enttäuscht und entschlossen, noch weiter in den Westen zu ziehen. Er arbeitete einige Monate in der Schweiz, sparte Geld und flog nach Kanada.

Dort ist es leicht, Arbeit zu finden, wenn man bereit ist, zwölf Tage am Stück zu arbeiten, die Kühe zweimal täglich zu melken, usw. Er konnte sich qualifizieren und eine Arbeitserlaubnis bekommen, die Arbeit in der Landwirtschaft hat er aber auch gemocht. Später kaufte er ein Gewächshaus und war 20 Jahre lang selbstständig. Der im Osten zurückgelassene Sozialismus und die Kollektivwirtschaft holten ihn jedoch ein und er bekam ein „kleines Problem“ mit der „kapitalistischen Marktwirtschaft“, als er aus der Genossenschaft austrat und seine Produkte selber vertreiben wollte. Auf dem freien Markt könne er nicht verkaufen, dafür brauche er eine Linzenz, wurde ihm gesagt. Ok, gebt sie mir. Das können wir nicht, du musst in der Genossenschaft sein.

Aber die Genossenschaft verkauft nicht, was ich produziere. Dann musst du etwas anderes produzieren, hieß es. „Ich hab mich in die Marktpolitik und Gesetzgebung reingekniet, um zu verstehen, wie die Vereinigten Staaten von Amerika und ihr Satellit Kanada funktionieren. Ich habe festgestellt, dass der freie Westen, der freie Markt, die freien Leute usw. ‚bullshit‘ sind und man es sehr schwer hat, wenn man nach seinen eigenen Vorstellungen leben will und wenig von gesellschaftlichen Konventionen und Regeln hält,“ sagt Hann. „Von 1995 bis 2012 war ich Individualist, ich hatte meine Sympathisanten und meine Gegner, aber es waren interessante Jahre, denn ich habe sehr viel gelernt über die Landwirtschaftspolitik und warum die Landwirtschaft schön langsam zugrunde geht und von großen Konzernen übernommen wird.“

Er stellte fest, dass er gegen Windmühlen kämpft, hatte die Schnauze voll und kam im vergangenen Jahr zurück nach Siebenbürgen. Zunächst hat er etwa ein Jahr in Albota gearbeitet, wo er Martin Müller und seinen Leuten Ratschläge erteilte, wie Gewächshäuser anzulegen und mehr oder weniger Biogemüse gezogen werden kann, das in der dortigen Gastwirtschaft, aber auch im „Hermania“-Restaurant in Hermannstadt, verspeist wird. Er wohnt nun in Kerz/Cârţa. „Kerz kommt mir zentral vor, es ist ein schönes Dorf, es ist sauber, es hat eigene Wirtschaft, es ist etwas abgelegen von der Hauptstraße und doch nahe an Hermannstadt, Kronstadt und Schäßburg, es gibt einen Landwirtschaftsverein, der produziert, was in vielen anderen sächsischen Dörfern nicht mehr geschieht.“

Etwas Großes anfangen will er nicht mehr, also weder Land noch Traktoren kaufen. Das alles habe er mehr oder weniger hinter sich. Jetzt möchte er seine Kenntnisse einsetzen und helfen, dass andere Leute im Einklang mit der Natur produzieren. „Die Leute sollen einsehen, dass ihre Gärten wiederbelebt werden müssen und das Kleinbauerntum viel besser ist als die Großlandwirtschaft. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass die uns ernährt. Sie wird es zwar tun, aber ob es gut und gesund ist, was wir aus dem Supermarkt essen, ist eine andere Frage.“ Er möchte aufklären und den Leuten die Unterschiede vor Augen führen, denn sie glauben nicht, wenn sie es nicht sehen. Bei den Rumänen heißt es „nu merge“, bei den Sachsen „das haben wir ja nie so gemacht“.

Welt der Mikroorganismen

Ist es in Siebenbürgen einfacher, Landwirtschaft zu betreiben? „Landwirtschaft ist nirgendwo einfach, es kommt darauf an, was du erwartest und willst. Hier kann man sich eine Nische aussuchen, in der man sich betätigt. Und in Siebenbürgen gibt es das nicht, dass man die Mitgliedschaft in einem Produzentenklub kaufen muss“, antwortet Hann. Ob es einfach ist oder nicht, mache ihm auch wenig aus. „Ich habe so viel Scheiße gesehen, mich kann nichts mehr umhauen.“

Durch das Projekt in Hammersdorf hat er Studenten und Professoren der Agronomie-Fakultät an der Lucian-Blaga-Universität kennengelernt, die Interesse für die Öko-Landwirtschaft zeigen. Die meisten Studierenden wollen zwar Direktoren werden oder Chemie verkaufen, er hofft aber doch auch einige zu finden, die Bio-Bauern werden möchten, derer es in Rumänien „bereits“ an die tausend gibt.

Vor den Studenten hat er einen Vortrag gehalten und ihnen erklärt, was sie normalerweise wissen müssten, zum Beispiel, wie der Boden beschaffen ist oder wovon die Pflanzen befallen werden können. „Für gewöhnlich wird nur über die Schädlinge, die Parasiten gelernt, nicht aber, wieso es zu Mangelerscheinungen kommt, oder dass es auch gute Insekten gibt. Viele Leute wissen nicht, dass es ein Verhältnis gibt zwischen den schädlichen und den nützlichen Mikroorganismen. Etwa 5 Prozent der Insekten sind schädlich, aber 95 Prozent nützlich, wenn nun gespritzt wird, wird mehr zerstört als gerettet. Einen gewissen Schaden sollte man bereit sein, in Kauf zu nehmen, ein paar Blätter dürfen fallen oder ein paar Früchte verloren gehen, damit das später hilft“, sagt Karl Hann.

Was in der Schule nicht gelernt wird, sei langfristig denken. Dass das nötig ist, hat er in den letzten 20 Jahren erfahren, in denen er sehr viel Zeit der faszinierenden Welt der Mikroorganismen geschenkt und die Kleinlebewesen studiert hat. Es sei falsch wegen jeder Blattlaus oder weißen Fliege in Panik zu geraten und Gift zu versprühen – zumal man seit Jahrzehnten weiß, was die Gifte anrichten, erläutert er. Wenn eine Pflanze von Blattläusen befallen ist, dreht man am besten das Blatt um und sieht nach, ob da nicht auch Nützlinge ihre Eier abgelegt haben. Mit dem Spritzen bringt man die Blattläuse um, aber auch die nützlichen Tiere, die die Blattläuse beseitigen. Desgleichen hat er festgestellt, dass die Wurzeln der Pflanzen und Mikroorganismen besser und billiger arbeiten als der Pflug oder der Spaten. Deshalb sei er „ein Advokat für eine naturgemäße Bodenpflege“. Dazu gibt es inzwischen viele Bücher und man kann viel aus dem Internet erfahren. Aber man muss es wollen und sich über das „Was sagen die Nachbarn?“ hinwegsetzen. Zum Beispiel mulchen die Deutschen seit 40 - 50 Jahren. „Wenn Du aber hier jemandem davon erzählst fragt der empört, wie soll ich das Unkraut zwischen den Reihen haben, das sieht ja nicht gut aus?“, weiß Karl Hann. 

Nach Siebenbürgen zurückgekehrt sei er auch, weil er dachte, biologisch gesehen gebe es hier ein Paradies. Karl Hann hatte einen Schock, zu sehen, wie zerstört und tot der Boden aber ist. Für ihn gibt also viel zu tun. In der Landwirtschaft herrscht kein Personalandrang, sie bietet weder den Anreiz manch anderer Berufe, noch wird man schnell reich. Vor Langeweile fürchtet er sich nicht.