„Als Gemeinschaft haben wir uns immer gegenüber der rumänischen Gesellschaft insgesamt geöffnet“

ADZ-Gespräch mit Ovidiu Ganţ, DFDR-Abgeordneter im rumänischen Parlament

Ovidiu Ganţ

Ovidiu Ganţ gehörte der Delegation von Staatspräsident Johannis an, die Bundespräsident Joachim Gauck in Bukarest empfangen hat.
Foto: Präsidialamt

Mehr als 6500 Kandidaten aller politischer Couleur treten bei der Parlamentswahl vom 11. Dezember für die insgesamt 466 Sitze der beiden Kammern des rumänischen Parlaments an – darunter auch Ovidiu Gan], der langjährige Abgeordnete des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR). Über Höhen und Tiefen der ausklingenden Legislaturperiode wie auch über die Prioritäten seiner neuen Amtszeit sprach ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica mit dem 50-jährigen DFDR-Politiker.

Herr Abgeordneter Ganţ, wir nähern uns der Parlamentswahl vom 11. Dezember und damit dem Ende Ihrer dritten Amtszeit. Darf ich Sie eingangs um ein Fazit bitten – wie würden Sie diese rückblickend bewerten?

Es war eine außergewöhnliche Legislaturperiode, gekennzeichnet vor allem durch das wichtigste Ereignis der jüngeren Geschichte für die deutsche Gemeinschaft – nämlich der Wahl von Klaus Johannis zum Staatspräsidenten Rumäniens. Letztere hat selbstverständlich auch unsere Lage als Minderheit beeinflusst und tut es auch weiterhin – natürlich in höchst positivem Sinn. Davon abgesehen, war diese Legislaturperiode eine mit vielen Aufs und Abs – beginnend mit der PSD-Regierung unter Victor Ponta, dessen Präsidentschaftswahlkampf, in dem er völlig entgleiste, bis hin zu dem recht seltsamen Konstrukt der Regierung Cioloş. Es war eine Legislatur, in der ich mich als stellvertretender Fraktionsvorsitzender einerseits politisch sehr eingebracht, andererseits aber auch geweigert habe, mit der Ponta-Regierung in ihrer letzten Phase noch Verhandlungen irgendwelcher Art einzugehen. Alles in allem erwies sich diese Legislaturperiode als traurige Angelegenheit: Ein schlechtes Wahlgesetz führte zu einer hypertrophen Legislative mit teils sehr seltsamen Parlamentarier-Gestalten und einer großen Schar verurteilter oder verhafteter Abgeordneter – im Grunde genommen eine Schande für Rumänien.

Mit welchen Wahlversprechen traten Sie 2012 an und welche konnten Sie einlösen?

Das einzige Wahlversprechen, das ich grundsätzlich mache, war und bleibt die Kontinuität unserer Politik; die Prioritäten sind ja seit Jahrzehnten die gleichen: Wir, und damit meine ich alle Abgeordneten der deutschen Minderheit, haben im Laufe der Jahre bzw. sowohl in der Vorkriegszeit als auch nach der Wende stets die Bewahrung unserer Identität, vor allem mithilfe unseres muttersprachlichen Schulsystems, als Hauptziel gehabt. Das war auch meine absolute Priorität – die Bewahrung dieses Systems sowie die Vereitelung aller Versuche, es zu beeinträchtigen. Darüber hinaus wollen wir auch unser Engagement für die rumänische Gesellschaft allgemein zum Ausdruck bringen. Als Gemeinschaft haben wir uns immer gegenüber der rumänischen Gesellschaft insgesamt geöffnet und nie auf eine „Enklaven-“ bzw. ausschließlich auf uns bezogene Politik gesetzt.

Prioritär waren auch die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland; für mich persönlich war diese Legislaturperiode eine sehr aktive im Bereich der außenpolitischen Kontakte, einschließlich auf höchster Ebene – z. B. Bundespräsident, Bundeskanzlerin, zahlreiche Bundesminister und Abgeordnete des Deutschen Bundestags. Nicht zu guter Letzt galt es auch, dem DFDR die nötigen Mittel aus dem rumänischen Haushalt zu sichern – und ich hoffe sehr, dabei mit meinem Fraktionsvorsitzenden Varujan Pambuccian sowohl zur Zufriedenheit des Forums als auch der Minderheiten-Fraktion verhandelt zu haben, zumal wir die Mittel Jahr für Jahr steigern und damit all unsere Projekte umsetzen konnten.

Soweit zu den Erfolgen, darf ich Sie nun auch nach dem größten Misserfolg Ihrer letzten vier Jahre fragen – welches Projekt konnten Sie beispielsweise nicht durchziehen?

Schwer zu beantworten – ich kann mich schlecht an Misserfolge erinnern, da im Grunde genommen sowohl die Fraktion als auch ich unsere Arbeit getan haben und wir von daher keine negativen Feedbacks seitens unserer Wählerschaft hatten. Zu erwähnen wäre in diesem Punkt vielleicht – obwohl es nicht direkt mit uns zu tun hat –, dass es uns bisher nicht gelungen ist, das Bildungsministerium zur Herausgabe von Schulbüchern in den Sprachen der Minderheiten in ausreichender Zahl zu bewegen.

Herr Ganţ, Sie haben es eben schon angesprochen: Das scheidende Parlament gehört zu den unpopulärsten der Nachwendezeit, es wurde als Mammut-Legislative empfunden, mit dem man u. a. den sogenannten „Schwarzen Dienstag“ und die damals angestrebte Super-Immunität für Parlamentarier, Sonderrenten für sich selbst unter Missachtung des Beitragsprinzips sowie eine Reihe anderer umstrittener Gesetze verbindet. Welchen Moment empfanden Sie persönlich als absoluten Tiefpunkt?

Die Meinung, dass es damals um eine Super-Immunität der Abgeordneten gegangen ist, teile ich nicht, sondern bin weiterhin der Ansicht, dass man einen Abgeordneten nicht mit einem Beamten gleichstellen kann, weil erstere gewählt und nicht ernannt sind und zudem eine völlig andere Arbeitsweise haben als Beamte.

Und haben Abgeordnete deshalb über dem Gesetz zu stehen?

Nein – und sie stehen auch nicht über dem Gesetz. Das ist eine populistische, weitverbreitete Meinung, die allerdings dadurch bestärkt wird, dass viele Abgeordnete missbrauchen, was in der Verfassung steht. Wir genießen Immunität, was Verhaftung und Durchsuchung anbelangt – und das ist völlig legitim und wird europaweit als normal empfunden.

Reicht Immunität für politische Aussagen denn nicht in einer Demokratie?

Nein, sie reicht nicht, weil eine Minderheitsregierung z. B. mithilfe der Polizei eine Mehrheit einschüchtern könnte, um eigene Gesetze durchzusetzen. Sinn unserer Immunität ist schließlich, dass wir frei abstimmen können – unabhängig von Exekutive oder sonstigem Druck von außen.
Jedoch ist es falsch, dass Kollegen gegen die Bewilligung von Verhaftungen oder Durchsuchungen stimmen bzw. das Prinzip der parlamentarischen Immunität missverstehen oder bewusst missbrauchen. Immunität ist nur gewährt für Fälle, in denen man sichergehen kann, dass es sich um eine politische Verfolgung des Abgeordneten handelt. Doch hat es im Verlauf meiner drei Amtszeiten noch keinen einzigen Fall gegeben, bei dem ich der Meinung gewesen wäre, dass es sich tatsächlich um politische Verfolgung handeln könnte – es ging stets um strafrechtliche Verfahren, weshalb ich auch immer mit „Ja“ gestimmt habe. Parlamentarische Immunität ist mit anderen Worten an sich richtig, falsch ist jedoch, dass wir selbst Richter spielen, wenn es eigentlich bloß darum gehen sollte, einem Richter die Möglichkeit zu geben, über eine Verhaftung zu entscheiden.

Und eben dieser Aspekt wird leider politisch instrumentalisiert – meistens von der PSD und ihren Verbündeten wie etwa die ALDE. Und das ist inakzeptabel, weshalb wir auch heute in der Lage sind, dass die Bevölkerung meint, wir würden über dem Gesetz stehen. Das tun wir nicht, da in unserem Fall Strafverfolgung ohne Verhaftung ohne Weiteres möglich ist. Über dem Gesetz stehen meines Erachtens allerdings Minister, die auch Mitglieder des Parlaments sind, weil man meint, in diesem Fall über die Aufnahme von Strafermittlungen abstimmen zu müssen. Das gehört meiner Meinung nach abgeschafft. Minister hin, Minister her – es sind letztlich Abgeordnete, die die gleiche Immunität haben sollten wie alle anderen Parlamentarier. Dies etwa wären, aus meiner Sicht, die Tiefpunkte dieser Legislaturperiode gewesen – nicht nur wegen der Abstimmungen als solche, sondern vor allem wegen der Einstellung dieser Parteien.

Laut neuem Wahlrecht kommt nun wieder die Listenwahl zum Zug. Versprechen Sie sich davon eine Besserung in puncto Qualität des Parlaments?

Nicht unbedingt – allerdings: Schlimmer als bei der letzten Direktwahl kann es kaum kommen. Ich selbst habe mich stets für das gemischte Wahlsystem ausgesprochen, wie bei der Wahl des Deutschen Bundestags, wo die Hälfte der Mandate Direktmandate sind und die andere Hälfte über Listen erfolgen. Hierzulande will davon leider niemand etwas hören, die großen Parteien schon gar nicht. Tatsächlich könnten Listen Besseres bewirken als das, was wir zuletzt hatten, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass in den Parteien die Basis Kandidaten aufstellt und nicht der Parteivorsitzende nach Gott weiß welchen dubiosen Kriterien. Doch befürchte ich, dass eben letzteres eingetreten ist bzw. die zentralen Leitungen in Bukarest über ihre Verbände in Hermannstadt, Temeswar usw. verfügen – was sehr schlecht ist. Wenn die Parteien nicht bloß von populistischen Kriterien ausgehen, könnte es durchaus sein, dass auch Fachleute auf diesen Listen vertreten sind, die dann später in den Parlamentsausschüssen durchaus gute Arbeit leisten können. Andernfalls wird die Qualität des Parlaments leider weiter abnehmen.

Sie treten für eine weitere Amtszeit an. Mit welchen Projekten? Was steht in den kommenden vier Jahren auf Ihrer Prioritätenliste?

Ich hoffe, in den letzten zwölf Jahren gezeigt zu haben, wie ein deutscher Abgeordneter zu arbeiten hat. Ich hoffe, sowohl der Öffentlichkeit als auch unserer Wählerschaft bewiesen zu haben, was sie vom deutschen Abgeordneten erwarten können. Es geht schließlich nicht nur darum, etwas für seine eigene Wählerschaft zu leisten, sondern auch um die Position, dem Standing des deutschen Abgeordneten innerhalb der Fraktion und des Parlaments. Die Entscheidungen meiner Fraktion sind in den letzten beiden Legislaturperioden massiv von mir beeinflusst worden, worauf ich stolz bin. Ich werde abwägen müssen – je nachdem, wie die künftige Mehrheit aussehen wird – in welcher Form und Position ich in der Fraktion weitermache. Davon abgesehen wäre es schön, wenn wir – was beileibe nicht von meiner alleinigen Entscheidung abhängt – im Rahmen des Präsidentschaftsausschusses für das Rumänien-Projekt zu einem gescheiten Ergebnis kommen würden. Ich bin Mitglied dieses Ausschusses und hoffe sehr, dass letzterer liefern wird und wir aufgrund eines Strategiepapiers endlich mit dem Reden aufhören und zu handeln beginnen. Auch würde ich sehr gern an einer Verfassungsnovelle mitarbeiten, zumal ich Mitglied des einschlägigen Ausschusses bin – in der Hoffnung, dass wir auch tatsächlich etwas Grundsätzliches erreichen wie etwa die Einführung einer Regionalisierung Rumäniens im Sinne einer effizienteren Verwaltung.

Zudem würde ich gerne, sofern wir die Kollegen davon überzeugen können, die gesamte Arbeit des Parlaments neu organisieren. Meiner Meinung nach gehört diese völlig neugestaltet – es macht keinen Sinn, dass beide Kammern dasselbe besprechen, wenn letztlich eine entscheidet und die andere nichts zu melden hat. Es gibt einige gravierende Konstruktionsfehler des Parlamentarismus in Rumänien, daher wäre es im Verlauf der ersten Amtszeit von Staatspräsident Klaus Johannis überaus sinnvoll, diese zu beheben. Des Weiteren würde ich gerne bei den Vorbereitungen für Rumäniens erste EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2019 und bei den Vorbereitungen für Temeswar als europäische Kulturhauptstadt 2021 mithelfen.

Und zu guter Letzt: Wie läuft Ihr Wahlkampf, wie sieht er aus?

Mein Wahlkampf sah und sieht wie immer aus – mit landesweiten Besuchen unserer Foren, Treffen von Mitgliedern und Sympathisanten, mit vielen auch als Feedback gedachten Gesprächen. Es ist mir wichtig zu erfahren, was die Leute beschäftigt und interessiert – beginnend mit allgemeinen Themen wie Arbeitsplätze über Bildung in deutscher Sprache bis zu speziellen Problemen wie etwa Rückerstattungen.

Herr Abgeordneter Ganţ, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen und viel Erfolg im Wahlrennen.