Altern, Frühreife und Ost-West-Gefälle

Interaktivität der Produktionen vom Publikum begrüßt

„Wenn eine gute Fee käme, was würdest du dir wünschen?“ Diese Frage stellte man den „Erdbeerwaisen“. Und oft hieß es: dass Mama und Papa nach Hause kommen. Aus Tschechien, aus Deutschland, aus Italien, aus…
Foto: Adrian Pîclişan

Mit aktuellen, hautnahen und aufrüttelnden Themen haben die fünf Produktionen im Rahmen des Theaterfestivals „The Art of Ageing“ das Publikum im Bann gehalten: Um diese Probleme kreisen noch Fragen, die Gesellschaft ringt noch nach Lösungen.

Das Festival wurde mit der Vorstellung „Die Uhr tickt“ von Peca Ştefan, in der Regie von Malte C. Lachmann, einer Koproduktion des Nationaltheaters Temeswar und des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, eröffnet: Eine Serie von Minidramen, die das Spiel zwischen Leben und Tod in den Mittelpunkt setzen. Bei der Vorstellung wurde auch das Ensemble Temeswarer Liederkranz auf die Bühne eingeladen.

Die zweite Vorstellung hatte Kinderschicksale im Mittelpunkt: „Wie war der Abschied?“ „Warum ist deine Mama weggegangen?“ „Kann die Oma dich trösten?“ „Wovor hast du Angst?“ Die Fragen hämmern sich dem Publikum ein. Es geht um verlassene Kinder, Kinder, deren Eltern ins Ausland gegangen sind, um Geld zu verdienen, um zu überleben, Kinder, die bei ihren Großeltern aufwachsen, von ihren Eltern träumen, diese dann und wann zu Gesicht bekommen. Es sind die „Erdbeerwaisen“ – so auch der Titel der Produktion des Staatstheaters Braunschweig, der Werkgruppe II und des Nationaltheaters „Marin Sorescu“ aus Craiova.

Gabriela Baciu, Gina Călinoiu sowie Sven Hönig und Oliver Simon haben die Kinderschicksale auf Deutsch und Rumänisch auf die Bühne gebracht: viel Tragik, aber manchmal auch etwas Komisch-Groteskes. Frühreife ist nur ein Aspekt des Phänomens, Neurosen sind die tiefsten Abgründe, in die Kinder fallen können: Probleme mit der Sprache, mit der eigenen Sexualität, mit sich, mit den fast unbekannten Eltern, mit den viel zu alten Großeltern, bis hin zum Selbstmord.

Regie führte Julia Roesler, die Dokumentation – das Stück ist eben auf diesen Fragen und Antworten aufgebaut – haben Julia Roesler, Silke Merzhäuser und Gina Călinoiu durchgeführt.

Alt, abgeschoben, allein

Um Alter, Schuld und Krankheit ging es im „Land der ersten Dinge“ („Fen Fires“), von Nino Haratischwili, Regie Brit Bartkowiak, eine Koproduktion des Deutschen Theaters Berlin und des Slowakischen Nationaltheaters aus Pressburg/Bratislava. Der Temeswarer Theatergänger wird sich wohl noch an Ildikó Jarcsek Zamfirescus Glanzleistung in Felix Mitterers „Sibirien“ (Regie: Zeno Stanek), eine Produktion des Deutschen Staatstheaters Temeswar, erinnern, ein Stück, das ähnliche Probleme aufwarf. Auch hier geht es um eine abgeschobene alte Frau, die Deutsche Lara (interpretiert von Gabriele Heinz), die ihr Flower-Power-Leben und ihre Ideale aufgegeben hatte, um als alleinerziehende Mutter genug Geld zu verdienen.

Ihr Gegenpart ist Natalia (in deren Rolle Emília Vášáryová steigt), die slowakische Orgelspielerin, die einst im ganzen Ostblock gefeiert wurde, bis ihr in der Badewanne im Moskauer Appartement die eigentliche Misere ihres Daseins bewusst wurde: Ihr Mann hat mit der Geheimpolizei zusammengearbeitet, damit sie studieren und ins Ausland fahren durfte. Jetzt pflegt Natalia Lara, kann aber keinen „richtigen“ Apfelkuchen mit Zimt und Streuseln backen.

Beide Frauen trifft die Schuld, beide haben jemand Lieben verloren, sei es der Ehemann (Dušan Jamrich) mit seinen Schuldgefühlen für 32 Menschen, deren Schicksale er an die Geheimpolizei verkauft hat, oder der Enkel (Eri Wehlan) mit seinen Phobien, der so ganz anders als die Oma in der Richterrobe war.

Aufrüttelnd ist die Thematik, es geht nicht nur um die Pflege der Alten, sondern auch um den in den gegenseitigen Gehässigkeiten der Frauen schwelenden Ost-West-Konflikt – sie müssen mehr Zeit zusammen verbringen, als ihnen lieb ist.

Mit gleich zwei Produktionen desselben Stückes, „Ich befürchte, jetzt kennen wir uns“ von Ivor Martinic, einmal in der Regie von Dominique Schnizer am „Gavella“-Theater Zagreb und noch einmal in einer Inszenierung von Miriam Horwitz am „Theater und Orchester Heidelberg“, klang das Festival aus.