An der Kanzel vorbei ins Fotolabor

Der Theologen-Fotograf, der sich in Siebenbürgen verliebte

Martin Luther und Martin Eichler: Verwandte, die sich sogar ein wenig ähneln...
Foto: George Dumitriu/Pixabay.com

Themenschwerpunkte: Siebenbürgische Kirchenburgen und Landschaften
www.bildverlag-eichler.de

Manchmal geht das Leben seltsame Wege – oder Umwege – zum Ziel. Es ist, als ob irgendeine Energie in eine Richtung drängt, während man gezielt eine andere anstrebt. So ähnlich ging es Martin Eichler, Spross einer Pastoren-Familie aus Mecklenburg, Nachfahre von Martin Luther, wie er stolz erzählt – daher auch der Vorname. Schon in der Jugend hatte Martin leidenschaftlich gern geknipst und träumte von einer Fotografen-Karriere, die ihm in der ehemaligen DDR verwehrt blieb. Erst der Umweg über die Theologie ermöglichte doch noch die Verwirklichung dieses Traums. Heute kennen wir den in München lebenden Fotografen mit eigenem Bildverlag vor allem von seinen Arbeiten über Siebenbürgen. Wen wundert es, dass darin ausgerechnet Kirchenburgen eine zentrale Rolle spielen?

Nein, er habe keine siebenbürgischen Wurzeln, bekennt er gleich zu Beginn. Es kommt unerwartet: Kaum ein Sachsentreffen, kaum ein Heimattag ohne Martin Eichler. Sein Schwerpunkt als Fotograf - Rumänien, vor allem Siebenbürgen - ist weder eine Geld noch Ruhm versprechende Nische. „Während meines Theologiestudiums habe ich mich bereits in das Land verliebt“, gesteht Eichler, der es seit den frühen 90er Jahren mindestens drei-vier Mal im Jahr bereiste. Die Früchte seiner Arbeit kann man auf der Homepage des „Bildverlags Eichler“ bestaunen: Siebenbürgen-Kalender, Postkarten, großformatige Fotos. Insider kennen ihn auch als Illustrator von Bildbänden wie „Das Burzenland“ oder „Hermannstadt und das Alte Land“ von Martin Rill. Wie kam es zu dieser Leidenschaft? 


Ruf der weiten Welt

„Im Osten aufgewachsen, drängte es mich als Student in die Welt hinaus. Nur, dass diese für uns sehr begrenzt war. Rumänien, Bulgarien - weiter ging es nicht.“ Auf seiner ersten Reise an die bulgarische Schwarzmeerküste kam er auch durch Rumänien. Das Land zog ihn vom ersten Augenblick an in seinen Bann. „In der Schule hatte ich Latein gehabt“, erzählt Martin Eichler, „so faszinierten mich vor allem die Altertümer in Konstanza, Mangalia, Adamclisi.“ Ein späteres Praktikum bei der Evangelischen Kirche Siebenbürgens in den frühen 80er Jahren brachte ihn der deutschen Minderheit näher. „Damals habe ich mich intensiv mit den Kirchenburgen befasst“, erinnert sich Eichler, der schon als Student in Rostock Fotos für den Bildband „Kirchenburgen in Siebenbürgen“ von Hermann Fabini beigesteuert hatte. „Nach der Wende haben wir dann eng zusammengearbeitet“, fährt er fort. „Fabini hat viel fotografisch dokumentiert. In den 90ern hab ich ihm Entwicklungs- und Vergrößerungsgeräte beschafft und ein Fotolabor in seinem Architekturbüro eingerichtet.“ Bald wurde Eichler in andere Projekte eingebunden, etwa die Dokumentation der Arbeiten der deutschen Messerschmidt Stiftung an der Bergkirche oder am Haus mit dem Hirschgeweih in Schäßburg/Sighișoara. Für das Bundesministerium des Inneren, das in Rumänien Begegnungszentren für die deutsche Minderheit einrichtete, begleitete er den zuständigen parlamentarischen Staatssekretär Horst Waffenschmidt fotografisch auf zwei Reisen. Doch auch mit einer Reiseagentur mit Touristikverlag in Konstanza kooperierte er als Fotograf. Architektur, Motive aus der Kunstgeschichte und archäologische Ausgrabungsstätten faszinierten ihn am meisten, später kam auch Landschaftsfotografie hinzu. „Meine Frau sagt immer, ich fotografiere alles, was nicht wegläuft“, scherzt Martin Eichler. Es muss deswegen nicht einfacher sein. „Über die Agentur in Konstanza habe ich einmal in Mangalia in einem Museum fotografiert. Gläser aus der Antike, federleicht und zerbrechlich“, erinnert er sich ehrfürchtig. „Wenn man so etwas in der Hand hat, das ist schon etwas Besonderes.“

Umweg Theologie

Wie kommt man, wenn man vom Beruf des Fotografen träumt, auf die Idee, Theologie zu studieren? War es der Ruf des berühmten Vorfahren? „Der Grund ist in der politischen Situation der DDR zu sehen“, klärt Martin Eichler auf. Drei Mal hatte er sich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig beworben – und jedes Mal eine Absage kassiert. „Bei der dritten Vorstellung sagte mir dann der Dekan: Herr Eichler, vergessen sie es. Bei ihrem Elternhaus - keine Chance!“ Theo-loge wurde er, wie er schmunzelnd bekennt, „weil es in der Kirche immer einen Pfarrer gibt, der alles besser weiß, selbst wenn man Fotograf ist oder Öffentlichkeitsarbeit macht, wovon der Pfarrer gar nichts versteht. Da sagte ich mir, das passiert dir nicht, und studierte selber Theologie!“ Schon während des Studiums galt sein Interesse kunstgeschichtlichen Themen, die Diplomarbeit schrieb er über mittelalterliche Dämonendarstellungen in Mecklenburg. „Mein Professor, der die Arbeit betreute, gab mir damals 30 Mark Benzingeld, damit ich zu den Dorfkirchen fahren und die Gemälde ablichten konnte.“ Schmunzelnd verrät er, wie er 30 Jahre später in einer mecklenburgischen Kirchenzeitung gelesen hatte - es ging um ein kunsthistorisches Thema – „dass dazu auch ein Theologe namens Martin Eichler eine sehr bemerkenswerte Diplomarbeit geschrieben“ habe. Danach ging er in die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit, bis er 1982 in die Bundesrepublik ausreiste. An der Fachhochschule in Darmstadt konnte er sich endlich den Traum vom Studium der Fotografie erfüllen.

Ein waschechter Lutheride

An vielen Kirchenburgen in Siebenbürgen steht: Eine feste Burg ist unser Gott. „Das hat mich besonders berührt“ bekennt Martin Eichler. „Denn ich bin ganz offiziell ein direkter Nachfahre Martin Luthers in der 15. Generation .“ Man hat schon früh nach Luthers Tod die Nachfahren aufgeschrieben, erklärt er. „Da gibt es lange Listen, viele Pastoren sind darunter.“ Und erzählt vom Familienverband der Lutheriden, 1926 in Eisenach am Fuße der Wartburg gegründet. Etwa 200 Mitglieder zählt dieser, alle zwei Jahre trifft man sich in einer anderen Lutherstadt – 2017 zum 500. Reformationsjubiläum natürlich in Wittenberg, wo ein Kranz an Luthers Grab niedergelegt und eine Andacht gefeiert wurde. „Meine Stammlinie lässt sich lückenlos bis zu Luthers Tochter Margarete nachvollziehen.“ Luther hatte sechs Kinder, doch die meisten starben jung. Die Erblinien von Paul und Margarete haben sich als einzige bis in die Gegenwart gehalten. Schmunzelnd gibt er zu: „Um an dieser Verbindung festzuhalten, haben mir meine Eltern den Namen Martin gegeben.“

Abenteuer Rumänien

Tausende Kilometer legte Martin Eichler als Fotograf in Rumänien zurück, anfangs vor allem als Anhalter. Sich die nötigen Sprachkenntnisse anzueignen war kein großes Hindernis. „Mein erstes Aha-Erlebnis war ein Schild, auf dem ‘alimentare’ stand – wenn man Latein kann, weiß man: Da gibt es was zu Essen.“ Als er später versuchte, bei einer Studentin Rumänisch-Unterricht zu nehmen, bemerkte diese: „Sie sprechen wie die Leute auf dem Dorf.“ „Wahrscheinlich habe ich mir auf den Reisen diesen Singsang angewöhnt“, lacht Eichler.
Auch allerlei Anekdoten kann er von seinen Touren zum Besten geben: „Ich bin selbst viel per Anhalter gefahren, also nahm ich später auch immer welche mit“, erklärt er und erzählt von der Zigeunerin, die zu einer Geburtstagsparty unter-wegs war und ihn spontan dazu einlud. „Die Leute lebten in einem heruntergekommenen Block in Copșa Mică. Es regnete in die Wohnung hinein, doch alle waren fröhlich und feierten ausgelassen. Eine Jugendparty mit Manele-Musik. Sie pflegten eine ganz andere Kultur als ich – aber sie waren offen und freundschaftlich.“

In Techirghiol hatte er einmal den Auftrag, ein Kurheim zu fotografieren. „Ich hatte so eine Vorstellung: der See davor, das Hotel dahinter, bei Sonnenuntergang“. Ob man den Damm auf dem See befahren könne, fragte er vor Ort. Ja, ja – das ginge! „Bis ich im Morast im Schlamm stecken blieb...“ Er suchte einen Traktor, doch der Fahrer vertröstete ihn, er müsse erst fertig pflügen. Zu nachtschwarzer Dunkelheit fuhren sie endlich gemeinsam raus. „Gut, dass ich die Warnblinkanlage angemacht hatte, die nun am Horizont vor uns heftig blinkte.“

In Maria Radna sollte er für den katholischen Bischof das wundertätige Marienbild fotografieren. „Da hab ich mit Erstaunen gemerkt, dass Heiligenbilder nur an ihrem Standort heilig sind“ schmunzelt der Fotograf, – „ansonsten sind es einfach nur Gegenstände.“ Der Bischof jedenfalls nahm das Bild vom Platz, trug es in den Hof und fragte: „Wo soll ich es hinstellen? Wenn ich es hier an das Holz anlehne, haben Sie dann gutes Licht?“

Ausstellungen

Auf tausenden Kilometern kreuz und quer durchs Land fiel ihm eines Tages auf, wie viele Gedenkkreuze an den Straßenrändern standen. „Zum Teil kitschig – doch es hat mich zunehmend berührt. Aus Deutschland kannte ich sowas nicht.“ Manche waren bescheiden, Ausdruck des Schmerzes der Angehörigen. Andere protzig, „wie ein Mausoleum aus schwarzem Granit, und mit dem Laser ein Porträt reingefräst.“ Wieder andere erinnerten ihn an den Totenkult ferner Länder: „Auf dem Gedenkstein standen zwei Schnapsgläser, daneben eine Schachtel Zigaretten und ein Aschenbecher – wie Opfergaben.“ Aus den Fotos wurde schließlich eine Ausstellung: „Straßen der Trauer: Kreuze am Wegesrand – eine Ausstellung zum Innehalten.“. Obwohl Tod und Trauer keine beliebten Themen sind, wurde sie in Bukarest, Hermannstadt und München gezeigt.

Als Höhepunkt bezeichnet der heute 64-Jährige eine Ausstellung im Cotroceni Palast Ende der 90er Jahre: „Bewahren für die Zukunft – Deutsches Kulturerbe in Rumänien“. Damals wurde ihm aber auch bewusst, wie wenig bekannt das sächsische Kulturerbe in der rumänischen Öffentlichkeit war. „Wo ist denn das in Deutschland?“ wurde er immer wieder gefragt. Die Antwort, dies sei doch in Rumänien, in Schäßburg oder Hermannstadt, hat man ihm kaum geglaubt. Aber wie war das noch? Der Pfarrer weiß es immer besser...