„Archive leben nicht für sich selbst, sondern für die Menschen“

ADZ-Gespräch mit dem Archivar der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar, Claudiu Călin

Der Wahltemeswarer Claudiu Călin leitet das Archiv der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar.

Claudiu Călin hat in Temeswar Geschichte studiert und arbeitet seit einigen Jahren an einer Dissertation über das Bistum Temeswar unter Bischof Augustin Pacha (1923 – 1945). Die Dissertation soll in Klausenburg vorgestellt werden.
Fotos: Raluca Nelepcu

Als Archivar steht man im Dienste der Menschen. Täglich schauen zwei bis fünf Leute beim Archiv der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar/Timi{oara mit verschiedenen Anliegen vorbei. Hier werden sie vom Diözesanarchivar Claudiu Călin (37) empfangen, der das Archiv in der Augustin-Pacha-Straße Nr. 4 so gut wie seine eigene Hosentasche kennt. Kein Wunder, schließlich ist der Historiker Claudiu Călin seit fast 14 Jahren beim Bistum angestellt. Der Leiter des katholischen Kirchenarchivs aus der Stadt an der Bega stammt ursprünglich aus Ferdinandsberg/Oțelu Roșu im Banater Bergland. Er spricht Deutsch, Rumänisch, Italienisch und Englisch, er versteht ein bisschen Ungarisch und hat aus seiner Leidenschaft für die Geschichte des Banats einen Beruf gemacht. Ein Traumjob, sagt Claudiu Călin heute. Was die Arbeit eines Archivars bedeutet, verrät er ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu in dem folgenden Gespräch.

Seit wann sind Sie am Archiv der Diözese Temeswar tätig?

Ich habe an der West-Universität in Temeswar Geschichte und Germanistik in der Zeitspanne 2000 – 2004 studiert. Gleichzeitig war ich Ministrant im Dom und in der katholischen Jugendgruppe aktiv gewesen. Ich kannte somit einige Priester, wie z. B. den Pfarrer Reinholdt Lovász, der 1999 aus Karansebesch nach Temeswar ins Ordinariat kam, und bis dahin Dechant auch für Ferdinandsberg/O]elu Ro{u war, den Pfarrer Wonnerth aus Lippa/Lipova, den gewesenen Generalvikar und aktuellen Bischof von Großwardein/Oradea, László Böcskei, u. a. Ich hatte ein reges Interesse an der Geschichte des Bistums Temeswar – mit der Diözese Tschanad im 18. Jahrhundert hatte ich mich auch in meiner Bachelorarbeit befasst. Der gewesene Archivar, Franz von Klimstein, kannte mich auch, denn ich durfte hier im Archiv für meine Diplomarbeit mit seiner Hilfe forschen und ich machte bei verschiedenen freiwilligen Aktionen mit, wie z. B. als das Pfarrarchiv aus der Josefstadt zum Bistum transferiert wurde, u. Ä. Franz von Klimstein war bei der Verteidigung meiner Bachelorarbeit dabei. Seine Exzellenz, Bischof Martin Roos, und der damalige Generalvikar László Böcskei haben meine Arbeit damals gelesen und mir gute Tipps gegeben. Irgendwann fiel auch die Frage, ob ich nicht am Archiv tätig sein wolle. Ich sagte natürlich „Ja“ – das geschah im Sommer 2004, gleich nach meiner Abschlussprüfung. Bischof Roos ließ mich noch in die Ferien gehen, er bestellte mich aber nach dem 15. August ins Bischöfliche Ordinariat. Mein erster offizieller Arbeitstag war aber der 1. September 2004.

Seit nunmehr 14 Jahren sind Sie Angestellter des Bistums Temeswar. Wie war die Arbeit am Anfang? Wie lange hat die Einarbeitung gedauert?

Am Anfang war ich im Büro mit Franz von Klimstein, bischöflicher Archivar des Bistums Regensburg, der hier fünf Jahre lang tätig gewesen war, sozusagen aus Deutschland „ausgeliehen“. Er war von 2002 bis 2007 in Temeswar. Ich habe also die ersten drei Jahre an seiner Seite verbracht. Es war eine sehr schöne Zeit, denn ich konnte sehr viel von ihm lernen. Er ist kein Banater und mit der Zeit habe ich bemerkt, dass manchmal seine Kenntnisse über unsere Region eher theoretisch waren, aber die fachlichen und praktischen Kenntnisse konnte ich mir von ihm aneignen, was mir später und bis heute in meinem Beruf hilft.

Worin besteht Ihre tägliche Arbeit?

Es sind zwei Aspekte: Die theoretische und die praktische Arbeit. In der Theorie ist der Archivar eine Person, die die Dokumente aus den Pfarrarchiven ins Diözesanarchiv transferiert, sortiert und einordnet, diese registriert, bzw. Archivbestände, die hier bereits vorhanden sind, ordnet und registriert, die Inventare erstellt und diese dann natürlich den Leuten auch zugänglich macht. Wenn interessierte Personen kommen, muss man zuerst sehen, was sie suchen. Manchmal haben sie nur eine vage Idee und wissen nicht so genau, was sie suchen. In den Gesprächen kristallisiert sich oft heraus, was sie haben wollen. Man muss Briefe/Emails beantworten oder Telefonate entgegennehmen. Interne Aufträge des Ordinariats werden oft auch mit der Hilfe des Archivs bearbeitet, und oft ist es so, dass diese weniger mit der Geschichte und mit der Archivistik zu tun haben. Das gehört dann auch zum praktischen Teil.

Was suchen die Leute zumeist?

Es sind unterschiedliche Sachen. Oft sind es geschichtliche Informationen zu ihren Gemeinden oder zu ihrer Kirche. Dann wollen sie Matrikeln einsehen, Taufscheine, Eheschließungsurkunden, Beerdigungsscheine erhalten, um Daten über ihre Vorfahren oder über die eigene Familie herauszufinden. Wenn sie heiraten oder Taufpaten sind, dann brauchen sie Matrikelauszüge, bzw. ihre eigenen Taufscheine. Schließlich bedienen wir noch die Forscher, die sich verschiedener Themen zur Geschichte des Banats annehmen. Außerdem gibt es auch noch andere Aufträge, die nicht unbedingt mit dem Beruf des Archivars zusammenhängen: Wir schicken Informationen über unsere Veranstaltungen an die Medien, erstellen Beiträge für die neue Internetseite des Bistums, geben den Schematismus heraus, usw. Im Archiv geht es gar nicht ruhig zu, denn Leute gehen hier täglich ein und aus.

Wie offen sind die kirchlichen Archive überhaupt?

Die kirchlichen Archive sind umgänglicher als andere Stellen und nicht so „abenteuerlich“, wie sich manchmal herumspricht. Wir helfen, wenn wir helfen können. D. h. wenn wir etwas haben, womit wir helfen können. Im Grunde genommen sind wir offen, denn das ist auch unsere Aufgabe. Papst Johannes Paul II., der inzwischen heiliggesprochen wurde, hat zu seiner Zeit ein Dokument zum Sinn und Zweck der kirchlichen Archive herausgegeben. Diese Archive ergänzen die pastorale Aufgabe, bzw. Tätigkeit der Kirche. Unsere Arbeit ist nicht nur eine historische, wissenschaftliche und kulturelle Arbeit, sondern wir unterstützen auch die Pastoration der Kirche. Die Leute sollen von uns womöglich zufrieden nach Hause gehen. Natürlich gibt es Fälle, wo wir nicht helfen können. Da liegen unsere Grenzen bzw. auch die Grenzen derjenigen, die das verstehen oder nicht verstehen können. Ich meine hier die Menschen, die verstehen, dass wir etwas nicht haben oder für die Forschung herausgeben können. Wenn jemand das nicht verstehen kann, haben wir natürlich ein Problem, aber wir können das leider auch nicht ändern. Es gibt Fälle, wo wir Dokumente aus rein praktischen Gründen nicht zur Forschung hergeben können. Ich beziehe mich hier auf Archive, die sehr beschädigt sind und die selten herausgegeben werden. Bis wir etwas restaurieren, dauert es, denn es mangelt an Geld und auch der Prozess an sich ist ziemlich kompliziert.

Wie schwer ist überhaupt die Arbeit mit den Menschen?

Sie ist nicht leicht, aber sie ist schön. Das klassische Bild eines Archivars ist jenes einer Person, die mehr oder weniger isoliert von den anderen arbeitet. Das stimmt so nicht, weil diese Stellen ja für Menschen geschaffen sind. Archive oder Bibliotheken leben nicht für sich selbst, sondern für die Forscher, für die Leser. Die Arbeit mit den Menschen macht Spaß. Als junger Student habe ich oft gelesen, dass bereits bekannte, ja berühmte Menschen, die ich nur aus den Medien oder aus ihren Studien kannte, Historiker oder Forscher, verschiedene Bücher herausgegeben haben. Durch diesen Job konnte ich viele dieser Leute persönlich kennenlernen, was für mich eine innerliche Genugtuung und Ehre war. Ich konnte sehr viel von diesen Menschen lernen. Oft sind sie selbst hergekommen, um etwas zu fragen oder um zu forschen. Andererseits sind es auch die vielen einfachen Leute, mit denen man in Kontakt tritt. Es gibt interessante Fälle, wo z. B. Nachkommen von Leuten, die vielleicht vor hundert Jahren nach Nord- oder Süd-Amerika ausgewandert sind, zu uns kommen und die sich freuen, dass sie eine kleine Spur ihrer Vorfahren entdeckt haben. Als Archivar freue ich mich natürlich mit diesen Menschen.

Wann verspürt man als Archivar eine Genugtuung im Beruf?

Es gibt unterschiedliche Beispiele. Wenn jemand z. B. kommt, forscht, Informationen sucht und diese auch bekommt, sie sammelt, richtig bearbeitet und am Ende vielleicht eine gelungene Ortsmonografie oder ein Familienbuch herausgibt. Da weiß man, dass man zum Teil auch dazu beigetragen hat. Oder wenn Leute kommen und einfach ihre Vorfahren suchen und Informationen finden, die sie gar nicht gekannt haben. Oder wenn sie z. B. keine Hoffnung mehr haben, etwas zu finden, und trotzdem etwas gefunden wird. Das sind so kleine Genugtuungen, aber sie sind sehr wichtig. Oder auch wenn Leute mit unserer Hilfe eine Erbschaft oder ein Eigentumsverhältnis regeln konnten – gerade, wenn es ärmere Leute waren, da hat man sich auch gefreut, geholfen zu haben.

Wie können interessierte Menschen das Archiv des Bistums Temeswar erreichen?

Das Bistum Temeswar hat seit Kurzem eine neue Internetseite, www.gerhardus.ro, wo unsere Kontaktdaten aufgelistet sind. Die Menschen können uns vorher anrufen, um einen Termin zu vereinbaren, oder sie können einfach vorbeischauen. Wichtig ist immer, vorher zu erfahren, was die Menschen benötigen, um zu sehen, wie wir ihnen helfen können. Es gibt nämlich auch Archivbestände, die zum Teil nicht mehr bei uns sind, wie z. B. Matrikeln, die sich nun im Staatsarchiv befinden. Wir können in diesen Fällen weniger helfen oder nur, indem wir ihnen weitere Kontakte zur Verfügung stellen. Wir vermitteln aber die Leute gerne weiter.