„Auch das Brot bekommen, nicht nur die Predigt“

Joszef Demeter, reformierter Pfarrer mit starkem Engagement in Sächsisch-Regen

Pfarrer Joszef Demeter will nicht nur durch das Wort, sondern auch durch die Tat wirken.
Foto: Aida Ivan

Vor dem Sonnenuntergang setzen wir uns auf eine Bank und genießen einen Augenblick die schöne Aussicht auf die Stadt, was ein Weilchen Schweigen vor dem Gespräch voraussetzt. Wir befinden uns im gepflegten Hof des Dio-Hauses in Sächsisch-Regen/Reghin, der ruhig und deshalb sehr geeignet für eine Begegnung ist. Das Dio-Haus hat eine klar definierte Bestimmung: Es ist der Hauptsitz des Vereins mit demselben Namen, der im soziokulturellen Bereich aktiv ist und von Pfarrer Joszef Demeter geleitet wird.

Das Gebäude sieht ganz besonders aus: Jedes Fenster und jedes Zimmer hat seine eigene Form, die Fassade erscheint auf den ersten Blick unregelmäßig. Entworfen wurde das Dio-Haus von einem Architekten aus Budapest. Das Haus, neben dem wird sitzen, kann in Sektionen, je nach Gebrauch, eingeteilt werden, erklärt der reformierte Pfarrer Joszef Demeter. Im Untergeschoss werden soziale Probleme behandelt, hier befinden sich die Küche und eine Kantine, die für die bedürftigen Menschen eingerichtet wurde. Im Haus wird nicht nur für das leibliche Wohl gesorgt, sondern auch für die Ernährung der Seele – das Erdgeschoss ist der Bereich der Erziehung und Kultur. Im zweiten Stock funktioniert eine kleine Pension, die soziale Projekte des Vereins mitfinanziert. Das Haus hat Joszef Demeter vor zehn Jahren sowohl für religiöse als auch für weltliche Veranstaltungen errichten lassen: Kirchenchortreffen, Austauschprogramme für Jugendliche, Treffen mit behinderten Menschen oder mit unterstützungsbedürftigen Müttern – all das findet hier statt. „Es gibt immer etwas zu geben“, sagt Joszef Demeter voller Demut.

„Der Mensch soll auch das Brot bekommen, nicht nur die Predigt“, meint der ungarische Pfarrer, der seinen Gottesdienst in der benachbarten Reener Kirche auf der Hauptstraße/Mihai-Viteazu-Straße 51 hält. „Wenn ich nur das Wort anbiete, dann habe ich nicht alles gegeben, nur einen Teil“, sagt er. Hier bekommen 30 Familien – egal zu welchen Konfessionen sie gehören – einmal pro Tag warmes Essen. „Der Glaube existiert nicht ohne Tat und auf diese Weise verstehen die Menschen, dass wir nicht einfach den ganzen Tag reden, sondern auch etwas tun“, behauptet er. Der Pfarrer erinnert an schweizerische Projekte, die die Roma in der Gegend als Zielgruppe hatten, oder ein anderes ähnliches Vorhaben, das vom Reener Rathaus finanziell unterstützt wird und die Roma-Kinder betrifft. „Wir sollen etwas hinterlassen – das sage ich nicht aus Stolz, sondern denke tatsächlich, dass es so richtig ist“, meint der Pfarrer.  

Multi-kulti in Regen

Das Zusammenleben in einer Gesellschaft sei besser, wenn deren Mitglieder mehreren Ethnien angehören. Jeder bringt etwas Wertvolles mit. „Reichtum gibt es, wo die Ethnien ihre Werte gegenseitig anerkennen“, behauptet er.
Die Seele der Stadt Sächsisch-Regen ist anders als die vieler Städte in Rumänien. Es ist eine „interessante“ Stadt mit gemischter Bevölkerung. Das gab es schon immer hier. Was sich im Laufe der Zeit geändert hat, ist der Anteil der Ethnien: „Die Sachsen sind für immer ausgewandert. Die Ungarn sind aus der Umgebung gekommen, aber die Rumänen sind hier zur Mehrheit geworden“, sagt er. Die Anzahl der Bevölkerung ist gesunken: Die Migration fand vor 5-10 Jahren statt, es gibt noch ungefähr 250 evangelische Sachsen in der Stadt, mit denen die reformierten Ungarn in Eintracht leben. Hingegen hat die Roma-Bevölkerung zugenommen, aber sie wird in die Gesellschaft nicht eingegliedert.
Wenn man in einem Raum lebt, wo es mehrere Ethnien gibt, dann soll man auch die Kultur der anderen kennenlernen – das ist natürlich, meint der Pfarrer. Diejenigen, die früher in größeren siebenbürgischen Städten lebten, konnten alle drei Sprachen: Deutsch, Rumänisch und Ungarisch. Auf diese Weise wurde man bereichert. Man sollte immer etwas über seine Mitmenschen wissen, begründet er seine Einstellung.

Der Alltag

Das eigene Beispiel sei die wirksamste Art, für ein anständiges Leben zu plädieren. Diszipliniert führt Joszef Demeter die zahlreichen üblichen Aktivitäten des Alltags durch: Um halb sieben Uhr steht er auf, die ersten Morgenstunden widmet er dem Beten. Nach häuslichen Aktivitäten und Tätigkeit im Büro werden Kranke oder ältere Menschen besucht,  die in den Gottesdienst nicht kommen können. Zum Alltag gehören weiter die Bibelstunden mit den Jugendlichen und die Vorbereitungen für die wöchentliche Predigt. Außerdem müssen oft Gäste betreut werden, die sich im Dio-Haus  aufhalten. „Man soll es nie zulassen, dass sie unzufrieden weggehen oder dass sie nicht empfangen wurden, so wie sie es erwartet haben“, verdeutlicht Joszef Demeter.

Über seine Aufgabe als Pfarrer spricht Joszef Demeter gerne. Bescheiden identifiziert er sich als Vermittler zwischen Menschen und Gott. In erster Linie macht er sich Sorgen wegen der Wirkung der Globalisierung im 21. Jahrhundert auf seine Mitmenschen. Das Leben wird auf diese Weise bequemer, es ist zweifelsohne besser, als es früher war, aber viele Menschen orientieren sich an sogenannten Werten, die eigentlich keine sind. „Die wahre Kultur, die Tradition, die Liebe zur Heimat fehlen. Die meisten nennen als Werte nur das gute Leben, den Hedonismus, ihnen sind die Ethik der Arbeit und die Arbeit selbst fremd“, sagt er beunruhigt.

Besonders zerbrechlich sind, seiner Meinung nach, die jungen Leute, die „ohne Wurzeln“ aufwachsen. „Wir, Pfarrer und Pädagogen, können sie nicht überreden, ein reicheres Geistesleben anzustreben oder sich mehrere Perspektiven zu schaffen“, meint er. Von der wirtschaftlichen Krise hält der Pfarrer nicht besonders viel. Die viel wichtigere Krise ist geistlicher Natur. Sie hängt zusammen mit Spiritualität, Kultur und Moral. Joszef Demeter zeigt Unruhe in Bezug auf die Gesellschaft, die Abstand von der Kultur nimmt. Mit Hilfe von Medien werden falsche Werte verbreitet: Geld, Gewinne, Profit. „Kultur wird von Konsum ersetzt, Kultur ist nicht mehr so wichtig“, sagt er.  

Von Liebe und Nihilismus

Für den Pfarrer heißen die Gefahren Zynismus, Gleichgültigkeit und Nihilismus. Auch wenn man atheistisch ist, könne man gute Sachen tun, man glaube eben nicht an Gott. Aber diejenigen, die sich für nichts interessieren, die kein Mitgefühl für den Schmerz der anderen haben, denen alles fremd ist und die nie einem anderen helfen würden – das sei das Schlimmste.  Wenn das Christentum keine Taten beweise, dann bliebe es bloß eine Predigt, und die Predigt könne die Leben der Menschen nicht verändern.