Auf dem Weg der Verhandlungen

Dr. Bernd Fabritius, Mitglied des Deutschen Bundestages, berichtet über die Lage in der Ukraine

Dr. Bernd Fabritius am Majdan Nesaleschnosti in Kiew
Foto: privat

Eine Delegation des Ausschusses für Angelegenheit der Europäischen Union des Deutschen Bundestages besuchte in der Karwoche die von Krisen erschütterte Ukraine. Die Delegation wurde in der ukrainischen Hauptstadt Kiew von den Vertretern der Übergangsregierung empfangen. Anschließend flogen die Abgeordneten nach Donezk, wo sie die Situation in diesem Gebiet sowohl selbst sehen, als auch in Privatgesprächen evaluieren konnten sowie die Meinung der Studenten gehört haben. Als ordentliches Mitglied dieses Ausschusses reiste in die Ukraine auch MdB Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Er antwortete auf einige Fragen des ADZ-Redakteurs Andrey Kolobov.

Herr Fabritius, es ist kein Geheimnis, dass die Ukraine am Rande eines Staatsbankrotts steht. Davon sprach der jetzige Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk bereits am 24. Februar. Sie haben sich mit den Vertretern der ukrainischen Übergangsregierung getroffen. Wie sehen Sie die finanzielle Situation und welche Schritte zur Stabilisierung wollen Sie unternehmen?

Ziel unserer Reise war zum einen ein deutliches Zeichen der Solidarität mit dem ukrainischen Volk. Wir wollten uns auch ein Bild von der aktuellen Situation machen. Dabei haben wir nicht in erster Reihe die wirtschaftliche Situation im Auge gehabt, sondern die ukrainische und die europäische Sicherheitslage. Unabhängig davon hat die EU der Ukraine kurzfristige Hilfen angeboten, wovon ich nur beispielhaft eine Zollerleichterung im Umfang von einer halben Milliarde Euro nenne. Zu erwarten wäre auch, dass die Oligarchen in der Ukraine ihren Teil zu einer Stabilisierung der Lage beitragen.

Sowohl die Europäische Union, als auch die USA und der Internationale Währungsfonds stellten „substanzielle finanzielle Unterstützung“ für die Ukraine in Aussicht. Können die europäischen Steuerzahler, Ihrer Meinung nach, sicher sein, dass diese Mittel zweckmäßig eingesetzt werden?

Natürlich ist die Korruption in der Ukraine unvorstellbar hoch. Die Hilfsmaßnahmen müssen daher konkret und genau überwacht werden. Wichtig ist, dass der Ukraine kurzfristig geholfen wird, wenn ein ehemaliger Partnerstaat – Russland – seine Partnerposition aufgibt.

Nach Ihrem Besuch in Kiew und in Donezk konnten Sie sich eine eigene Meinung über die Situation im Land bilden. Wie schätzen Sie die Lage in der Ukraine insgesamt und im Osten des Landes insbesondere ein?

Die Situation wirkt angespannt. Es findet dort ein knallharter Medienkrieg statt, mit dem ganz evidenten Ziel Putins, die ukrainische Gesellschaft zu spalten und sich so den wirtschaftlich wichtigen Teil der Ostukraine zu sichern. Durch gezielte Falschmeldungen werden die russischen Bewohner der Ukraine gegen die Ukraine und ihre ukrainischen Landsleute aufgebracht.
Zellen von bis an die Zähne bewaffneten und inzwischen offen als Militärs aus Russland auftretende fünf bis zehn Mann starke Trupps (akkurat in einheitlichen Uniformen gekleidet, gleiche Schnellfeuerwaffen, in Bewegung und Koordination professionell agierend und offenkundig Elitesoldaten) scharen weitere „Befreiungskämpfer“ um sich – sprich marodierende russischsprachige Ukrainer, schlampig in Tarnfleck gekleidet, mit Gesichtsmasken und dilettantisch bewaffnet (mit Knüppeln, alten Jagdwaffen), oft besoffen und mit selbstgebastelten „Ausweisen“ am Revers.

Meist handelt es sich um Gruppen von 20 bis 30 Personen, also zwei- bis dreimal so viel wie russische Militärs. Während die Militärs bei Annäherung sofort in Gebäuden verschwinden und nicht zu sprechen sind, kommen die „prorussischen Befreiungskämpfer“ auf einen zu, sind präpotent geschwätzig, drohen den „Faschisten“, weil diese „russisches Gebiet“ – gemeint ist der Donbas – für „die NATO und den faschistischen Westen besetzen“ wollten, warnen uns, besser nicht Englisch oder Deutsch hier zu sprechen, sonst könnten wir „eins aufs Maul bekommen“. Ukrainer, die sich dagegen positionieren, werden massiv bedroht. An einigen wenigen Stellen baut dieser Mob mit Hilfe der Profis Gummireifensperren und Steinhaufen mit herausgerissenem Straßenpflaster auf. Die Störmaßnahmen wirken eher punktuell und gehen gerade so weit, dass sie unter der Alarmierungsschwelle der Staatengemeinschaft bleiben.

Die Übergangsregierung in Kiew betrachtet die Aufständischen in den Ostgebieten des Landes als Terroristen und führt gegen sie eine Antiterror-Kampagne. Ist nach Ihrer Einschätzung der Einsatz von regulären Truppen im Osten der Ukraine gerechtfertigt?

Punktuell ganz bestimmt! Wenn maskierte Personen, offenkundig, wie vorher beschrieben, willkürlich und ohne jede öffentliche Legitimation sich zur Staatsmacht aufspielen, dann agieren diese wie Terroristen. Redliche Bürger, die protestieren und – zulässig – zivilen Ungehorsam zeigen, lungern nicht maskiert und bewaffnet auf Wegen und in Parks herum. Derartige Auswüchse muss jeder Rechtsstaat bekämpfen. Das Hauptproblem auf ukrainischer Seite in der Ostukraine ist die Abwesenheit des Staates und der Totalausfall des staatlichen Machtmonopols, der seinen Bürgern ein Schutzgefühl vermitteln müsste. Wenn die öffentliche Ordnung auf den Straßen einem marodierenden Mob in Tarnfleck, mit Gesichtsmaske, Alkoholfahne, Zigarette im Mundwinkel und selbstgebasteltem „Ordnungsausweis“ überlassen wird, der sich dank seiner Begleitung durch Profimilitärs aus Russland ungemein stark fühlt, dann verliert der Staat seine Legitimität dank eigener Untätigkeit. Das alles ist brandgefährlich und unglaublich tragisch für die Menschen vor Ort.

Am 21. Februar wurde in Kiew die „Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine“ unterzeichnet. Darin erklärten die Unterzeichner ihre Absicht, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Dazu ist es nicht gekommen. Der jetzigen Koalition, die knapp über 50 Prozent der Stimmen im Parlament hat, gehört auch die radikal nationalistische „Swoboda“-Vereinigung an. Auch im Kabinett gibt es drei „Swoboda“-Vertreter, jedoch kein einziger von der „Partei der Regionen“ (28 Prozent im Parlament) oder von der Kommunistischen Partei (7 Prozent). Was meinen Sie dazu?

Es war sicherlich ein großer Fehler der aktuellen Koalition, nicht deutlich gegen nationalistische Umtriebe Position zu beziehen. Auch war es ein unglaublicher Fehler, am Anfang die falschen Signale zu setzen, z. B. mit dem Sprachengesetz. Dieser Fehler wurde nun korrigiert. Leider nutzt Russland genau diese Fehler seither aus, um seine eigenen geostrategischen Interessen durchzusetzen und nimmt es dafür in Kauf, die ukrainische Gesellschaft – die russophonen wie die ukrainischen Ukrainer – zu spalten.

Beim Genfer Krisentreffen zur Ukraine am 17. April einigten sich Vertreter der USA, Russlands, der Europäischen Union und der Ukraine auf eine gemeinsame Erklärung. Diese sieht das Unterlassen jeglicher Gewaltanwendung, Einschüchterung und Provokation sowie die Entwaffnung aller illegalen bewaffneten Gruppen vor. Sowohl die Vertreter des Euromajdans als auch die Aufständischen im Osten weigern sich, diese Bestimmungen zu erfüllen. Welche Möglichkeiten sehen Sie zur Entschärfung der Lage?

Ich sehe zuerst keine Vergleichbarkeit der beiden Situationen. Ich war mehrfach am Majdan in Kiew. Das ist inzwischen eher ein Happening: Bürger verkaufen Zuckerwatte, sitzen abends um Lagerfeuer und spielen Gitarre, es gibt Souvenir-Stände mit Fähnchen und T-Shirts. Diese Situation ist nicht mit den blockierten Verwaltungsgebäuden und den Straßensperren in der Ostukraine mit den aggressiven Maskierten, die konkret bedrohen und Staatsmacht spielen, vergleichbar. Diese sind zu entwaffnen. Bei den Zuckerwatte-Verkäufern auf dem Majdan in Kiew mache ich mir weniger Sorgen. Der Majdan wird sich auflösen, sobald Ruhe einkehrt.

DerNATO-Generalsekretär sprach von 40.000 russischen Militärs an der ukrainischen Ostgrenze. Die US-Regierung wirft Russland vor, die Unruhen in der Ostukraine durch die Präsenz von russischen Soldaten anzuheizen. Sie waren dort. Was können Sie zu diesem Vorwürfen sagen?

Ich habe keine Zweifel daran, dass die Situation in der Ostukraine wie beschrieben aus Russland gesteuert wird. Russische Militärs haben vereinzelt fragenden Journalisten sogar die Ausweise gezeigt. Auch bestätigen nachrichtendienstliche Erkenntnisse, über die uns von offiziellen Stellen berichtet wurde, diese Vorwürfe.

Sowohl Präsident Putin als auch Ministerpräsident Medwedew äußerten sich zu den Gasschulden der Ukraine. Russland will nun Gas nur gegen Vorzahlung liefern. Welche Folgen kann diese Entscheidung für die Europäische Union haben, denn das russische Gas wird nach Europa zum größten Teil durch die Ukraine transportiert?

Die aktuelle Situation in Osteuropa zeigt, dass die Partnerschaft mit Russland neu bewertet werden muss. Wenn Russland den Weg zurück zu einer Partnerschaft verfehlt, in welcher auch verständliche Interessen nur auf dem Weg der Verhandlungen und nicht durch territoriale Aggressionen oder massive Einmischungen wie in der Ostukraine gelöst werden, wird man auch Fragen der Energiepolitik in Europa mittel- und langfristig neu ordnen müssen. Ich hoffe, dass es nicht so weit kommen muss.

Herr Abgeordneter, ich danke Ihnen für dieses aufschlussreiche Gespräch.