„Auf hohem Niveau, aber ohne Fußnoten“

Der in Schäßburg geborene Historiker Dr. Harald Roth engagiert sich für die deutsche Kulturgeschichte Südosteuropas

„Siebenbürgen wird praktisch seit 200 Jahren gut vermarktet, hat viel zu bieten und ist reich an kulturellem Angebot“, meint Dr. Harald Roth, kommissarischer Leiter des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Potsdam.
Foto: Holger Wermke

Der Historiker Dr. Harald Roth gehört zu den besten Kennern der siebenbürgischen Geschichte. Der 1965 in Schäßburg/Sighişoara geborene Roth studierte Geschichte in München, Freiburg, Heidelberg und Seattle. Zwischen 1993 und 2007 war er Geschäftsführer des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim und anschließend Mitarbeiter des Südost-Instituts (heute Institut für Ost- und Südosteuropaforschung) in Regensburg. Im Jahr 2008 wechselte Roth als Referent für Südosteuropa und Geschichte zum Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam. Seit Frühjahr 2012 leitet er das Kulturforum kommissarisch. Über seine Arbeit sprach mit ihm Holger Wermke.

Herr Dr. Roth, womit beschäftigt sich das Kulturforum?

Das deutsche Kulturforum östliches Europa befasst sich mit allen Gebieten östlich des heutigen deutschen Sprachraums, die in irgendeiner Weise Bezüge zur deutschen Kulturgeschichte haben. Das sind zunächst die Gebiete, die einmal zu Deutschland gehört haben und alle jene Gebiete, wo Deutsche gelebt haben, Deutsche leben oder wo es deutsche Bezüge gibt, die mit unserer Problematik in Beziehung stehen. Schwerpunkt unserer Arbeit sind kulturelle Belange, also nicht unbedingt Politik und auch nicht das Tagesgeschehen. Im Allgemeinen befassen wir uns mit dem historischen Spektrum, über das wir eine breite Öffentlichkeit auf hohem Niveau informieren wollen.

Wie kann man sich Ihre Arbeit konkret vorstellen?

Wir haben mehrere Arbeitsbereiche. Ein größerer Bereich sind die Veranstaltungen. Wir organisieren Thementage, Wanderausstellungen, Vorträge, Filmpräsentationen oder Lesungen vor allem in Deutschland, aber sehr oft auch in den Ländern des östlichen Europa, wobei ein Schwerpunkt in Polen liegt, weil dort die meisten Regionen sind, mit denen wir uns beschäftigen. Ein anderer Arbeitsbereich bei uns ist der Verlag.

Wir bringen Bücher heraus für ein breites Publikum. Das sind keine wissenschaftlichen Bücher. Das Ziel ist es, sowohl in Deutschland wie auch in den jeweiligen Ländern die Leute zu erreichen, die sich kulturgeschichtlich mit den Regionen befassen wollen. Wir haben mehrere Reihen, die animieren sollen, dorthin zu reisen und sich mit den Gegenden auseinanderzusetzen bzw. auch Neuentdeckungen zu ermöglichen.

Was für „Neuentdeckungen“ haben Sie im Blick?

Literaten aus den Gegenden zum Beispiel. Wir haben eine Lesebuchreihe und dort in der letzten Zeit Werke von Johannes Urzidil, Karl Emil Franzos oder E.T.A. Hoffmann herausgebracht – das sind für viele Neuentdeckungen. Neuentdeckungen meine ich auch im Sinne von Regionen, von denen man noch nie etwas gehört hat, zum Beispiel die Gottschee (ehemals deutschsprachige Region in Slowenien, d. R.).

Wir hatten kürzlich Veranstaltungen zur Dobrudscha mit großem Zuspruch, wobei die Hälfte der Teilnehmer noch nie den Begriff gehört hatte. Für viele Menschen sind das neue Dinge, aber wichtige in unserem Kontext, und deshalb versuchen wir auch solche eher unbekannte Themen zu behandeln. In diesem Jahr und im nächsten wird zum Beispiel die Zips in der Slowakei unser Thema sein, davon weiß man so gut wie nichts.

Sie bieten auf der Internetseite des Kulturforums auch „fremde“ Informationsangebote zu Osteuropa an...

Wir versuchen, möglichst viele Informationen zu unserem Themenbereich zu bündeln. Nicht nur das, was wir machen, sondern überhaupt, was in der Kultur- und Medienlandschaft zu Osteuropa passiert und was unsere Partnereinrichtungen anbieten.

Welche Rolle spielt Südosteuropa in der Arbeit des Kulturforums?

In unserem Fall umfasst die Region „Südosteuropa“ die Gebiete, in denen Deutsche gelebt haben oder leben. Man kann grob sagen: das historische Ungarn und heutige Rumänien. Südlich der Donau sind es im Wesentlichen die Gebiete, wo  Donauschwaben lebten, in Kroatien beispielsweise. Ansonsten ist es nur noch der Karpatenraum, wobei wir die Slowakei wegen der Zuständigkeiten zu Tschechien und der Slowakei zählen.

Was für Aktivitäten wurden im Rahmen Ihres Referats organisiert?

Im abgelaufenen Jahr liefen viele Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Kulturhauptstadt Marburg an der Drau/Maribor. Wir organisierten im Vorfeld eine Journalistenfahrt dorthin, wir haben einen Kunstreiseführer gemacht und ein Stadtschreiber hat dort bis Anfang Dezember gewirkt. Ähnliches haben wir bereits im Fall von Fünfkirchen/Pécs 2011 gemacht. In diesem Jahr ist Kaschau/Košice in der Slowakei Kulturhauptstadt und dort wird unser Engagement wieder etwas intensiver sein.

Wie groß ist nach Ihren Erfahrungen das Interesse in Deutschland an der Region?

Im Allgemeinen relativ rege, wobei das Interesse regional schwankt. In Berlin haben wir sehr hohen Zuspruch und können auch sehr ausgefallene Themen anbieten. Bei einem Thementag zur Bukowina beispielsweise hatten wir 150 Teilnehmer oder zu den Donauschwaben kamen über 200 Teilnehmer. In anderen Städten ist es nicht immer so einfach. Aber vom Grundsatz her ist das Interesse da und man muss es nur irgendwie in die richtige Richtung lenken, indem man ein ansprechendes und nicht zu akademisches Angebot konzipiert, auf hohem Niveau, aber ohne Fußnoten.

Ist die deutsche Öffentlichkeit an rumänischen Themen interessiert?

Was diesen Themenbereich angeht, liegt Siebenbürgen beim Interesse quantitativ an erster Stelle. Zum Thema Siebenbürgen muss man selber gar nicht so viel anbieten, weil das „von selbst läuft“. Siebenbürgen wird praktisch seit 200 Jahren gut vermarktet, hat viel zu bieten und ist reich an kulturellem Angebot. Während man vom Banat nahezu nichts weiß und es nicht einfach ist, dazu Leute zu finden und Projekte umzusetzen. Das kann sich zwar durch eine Literaturnobelpreisträgerin ein wenig ändern, aber dann wird alles darauf abgestellt. Andere Regionen finden durchaus auch Zuspruch, aber man muss etwas dafür tun.

Sie sind gebürtiger Schäßburger. Welchen Stellenwert nimmt Siebenbürgen im Programm des Kulturforums ein?

Im vergangenen Jahr konnte ich eine kleine Ausstellung zum Thema „Siebenbürgen – Eine Wissenschaftslandschaft“ machen als Begleitung zu verschiedenen Veranstaltungen. Derzeit steht sie übrigens im Akademieinstitut in Hermannstadt/Sibiu. In diesem Jahr wird es für Hermannstadt – sozusagen als Pilotprojekt – eine App (Anwendung für Mobiltelefone, d. R.) geben.

Der große Kunstführer „Hermannstadt“, den wir in Zusammenarbeit mit dem Schnell + Steiner Verlag herausgegeben haben, wird dazu umgearbeitet. Das ist unser erster Versuch in dieser Richtung, um zu sehen, wie das geht. Der Band „Kronstadt“ wird in zweiter Auflage erscheinen. Derzeit übersetzen wir das Buch „Städte im südlichen Siebenbürgen“ ins Rumänische. Wenn alles zügig geht, wird das Buch im Laufe des Jahres in Klausenburg/Cluj erscheinen. Für die Zukunft planen wir einen Kunstführer zu Schäßburg/Sighişoara und ein kleineres Heft über Malmkrog/Mălâncrav.

Wie viel Zeit hat der Historiker Roth im Augenblick für seine Forschungen?

In absehbarer Zeit überhaupt nicht. Ich engagiere mich neben meiner Tätigkeit für das Kulturforum im Ehrenamt noch für die Gundelsheimer wissenschaftlichen Einrichtungen, da bleibt bis auf weiteres keine Zeit für eigene Forschungen.

Als stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde verfolgen Sie sicher die Siebenbürgen-Forschung?

Die Siebenbürgen-Forschung ist enorm vielfältig. In der Bundesrepublik ist immer versucht worden, ganz Siebenbürgen zu erfassen, möglichst landeskundlich vollständig. Ein bisschen stärker ist in letzter Zeit die aktuelle Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts behandelt worden. Aber es bleibt ausgewogen, Mittelalter genauso wie frühe Neuzeit, Quelleneditionen wie moderne Methoden. Man sollte  auch nicht auf Moden aufspringen, wir Historiker denken in Jahrhunderten.

Darstellungsbedarf gibt es für das 20. Jahrhundert, weil man sich da schnell bei allen möglichen Themen in die Haare kommt, noch besteht kein Konsens für eine Gesamtdarstellung. Forschungsbedarf besteht außerdem für die Nachkriegszeit, da steht man, wenn man versucht, Synthesen zu schaffen, oft auf recht sandigem Boden, weil es an Grundlagenforschung fehlt. Es erscheint zwar immer mehr in diesem Bereich, jedoch fehlt es noch an ausreichend Material, um sich umfassend und ausgeglichen ein Bild machen zu können.

Historiker benötigen Zugriff auf Archiv- und Quellenmaterial. Sind mittlerweile alle wichtigen Dokumente gesichert oder sehen Sie in diesem Bereich noch Handlungsbedarf?

Als abschließend oder befriedigend würde ich das Thema noch nicht betrachten. Es geht, so glaube ich, immer noch viel verloren. In den vergangenen Jahrzehnten ist durch verschiedene Institutionen viel gesichert worden. Vermutlich ist im privaten Bereich noch viel schriftliches Material vorhanden und darum müsste man sich wahrscheinlich intensiver kümmern. Einen dokumentarischen Wert hat im Prinzip alles.

In Gundelsheim haben wir immer dazu aufgerufen, alles was schriftlich überliefert ist – und das war, nachdem man ausgewandert war, nicht viel – abzugeben. Ob es Zeugnisse sind, Pässe, Briefe – das alles sind Unterlagen, die man für die Dokumentation und Forschung verwenden kann. Das sind Dinge, die in Siebenbürgen sicher noch vorhanden sind, und die man auch dort einsammeln müsste. Ansprechpartner in diesen Fragen sind das Teutsch-Haus in Hermannstadt oder das Honterus-Archiv in Kronstadt/Braşov, in aller Regel würden die Mitarbeiter das dort annehmen. Andernfalls nimmt das Siebenbürgen-Institut auch Material an, es hat viele Nachlässe aus Siebenbürgen direkt bekommen.  

Wie beurteilen Sie abschließend die Situation der deutschen Minderheiten in den Ländern Osteuropas?

Nennenswerte deutsche Minderheiten gibt es noch in Polen, Ungarn und Rumänien. Kleinere Gruppen gibt es auch noch in anderen Ländern. Im Großen und Ganzen ist die Lage der Deutschen in Rumänien um ein Vielfaches vorteilhafter. Warum? Hier konnten sie ihre Sprache immer sprechen, sie hatten immer deutsche Schulen und deutsche Zeitungen und sie konnten sich meist auf gute Strukturen stützen, und können das bis heute.