Aufarbeitung – keine angenehme Sache

Tagung über Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der siebenbürgischen Gesellschaft

Ein interessiertes Publikum verfolgte die Tagung.
Foto: Egbert Schlarb

Sie hat mehr gegeben als versprochen. Gemeint ist die Tagung „Die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft in Rumänien von 1920 bis 1980 – Kontinuitäten und Diskontinuitäten“, die vom 8. bis 10. März in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen (Deutschland) stattgefunden hat. Das eingangs erwähnte Fazit zog deren Studienleiter Gustav Binder, diese Ansicht vertraten aber auch viele der Teilnehmer. Interesse für die Thematik hatten über 70 Personen gezeigt und damit lag die Zahl unerwartet hoch.

Das Seminar war die Frühjahrstagung des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen e.V. (EFS). Die Grundidee war, die 1930er-Jahre in Siebenbürgen in den Mittelpunkt zu stellen. Das Tagungskonzept wurde mit Dr. Ulrich A. Wien, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde e.V (AKSL), der „Denkfabrik der Siebenbürger Sachsen“ (so Gustav Binder), entwickelt und der schlug vor, nicht nur die 1930er-Jahre sondern auch was daraus geworden ist zu thematisieren, und zwar die Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Beide Facetten wurden in sieben Vorträgen, einer Lesung und einem Film präsentiert und anschließend diskutiert. Größtenteils junge Forscher wagten einen Blick von außen auf das Geschehen, jene, die die Zeit erlebt haben, ergänzten das Gesagte durch Blicke von innen. Und erwiesen sich dabei nicht als Feinde der Gegenwartshistoriker, als welche die Zeitzeugen von diesen meist empfunden werden, sondern als „komplementäre Disputanten“ (Dr. Wien). Die historischen Ausführungen ergänzte der Streifen „Die Lebenden“ von Barbara Albert (Wien/Berlin), die einer mit Siebenbürgen verbandelten Lebensgeschichte nachging, sowie die Lesung des Hermannstädter Schriftstellers Joachim Wittstock, der Fakten der Geschichte in vielen seiner Werke literarisch verarbeitet hat. Zum Tagungsthema stellte er zwei der Realität entwachsene literarische Gestalten der 1940er-Jahre vor, um das „Lücken reißen, Lücken schließen“ zu veranschaulichen. In „Ascheregen“ hatte er die gesellschaftliche Diskontinuität in der Familie von Bischof Friedrich Müller-Langenthal geschildert, die durch die Deportation in die Sowjetunion gerissene Lücke in dem Roman „Bestätigt und besiegelt“ veranschaulicht.   

Ohne es zu beabsichtigen oder zu vereinbaren hatten zwei der Referenten ebenfalls Bischof Friedrich Müller in den Mittelpunkt ihrer Beiträge gestellt und werteten dabei dessen Securitate-Akte aus. Im Rahmen des Vortrages „Stalinstadt und Region Stalin als Laboratorium der Elitendemontage“ ging Thomas Şindilariu, Archivar der Honterus-Gemeinde Kronstadt/Braşov – das in den 1950er-Jahren den Namen Stalinstadt trug – auf die Art und Weise ein, wie die Securitate die kirchlichen Wahlen durch Inoffizielle Mitarbeiter (IM) aus den Reihen der Pfarrer manipuliert hat. 1951/52 war die Absetzung und Verhaftung von Bischof Müller geplant, im Jahr danach wurde davon dann allerdings abgesehen. Eine Rolle dabei dürften sowohl das Ausschalten der „Moskau-Fraktion“ der Kommunistischen Partei (Ana Pauker, Vasile Luca und Teohari Geogescu) als auch die Intervention von Dr. Petru Groza zu Gunsten Müllers gespielt haben, sodass er bis zu seinem Lebensende (1969) der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. blieb.

Das Landeskonsistorium war jedoch von IMs durchsetzt und bei der Wahl des Nachfolgers von Müller lautete die Frage nicht mehr ob ein IM, sondern welcher gewählt wird, so Şindilariu. Angriffsflächen hatten Müllers Widersacher unter anderem in dessen nationalsozialistisch geprägten Aussagen gefunden, die zusammengetragen worden waren. Die Attacken und die Absetzungsbemühungen koordiniert hatte der Germanist und Securitate-Major Heinz Stănescu, 1951 Abteilungsleiter der Securitate-Sektion, der die Beobachtung der Kultus-Gemeinschaften unterstellt war, stellte Dr. Stefan Sienerth, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte im südöstlichen Europa (IKGS), aufgrund derselben Akte fest. Das Motiv für die Bestrebungen, Müller aus dem Amt zu entfernen, war vermutlich sein unermüdlicher Einsatz für die gesellschaftlichen Belange seiner Gläubigen. Die vorgestellten Erkenntnisse müssen als vorläufig betrachtet werden, denn gefunden wurden in dem von CNSAS übernommenen Archiv vorerst nur rund 1000 Blatt fassende vier Dossiers zu Müller aus der Zeitspanne 1944 bis 1953.  

Die Politik vor und nach 1944/45

Bevor die beiden Referenten sich auf den ehemaligen Bischof fokussierten, wurde die politische Lage im Siebenbürgen seit dem Ersten Weltkrieg und die NS-Verstrickung der evangelischen Kirche erörtert. Der österreichische Historiker Florian Kührer-Wielach verglich die Parteienpolitik der Rumänen und der Siebenbürger Sachsen in der Zwischenkriegszeit und kam zum Schluss, dass Ende der 1930er-Jahre die letzten Fäden des Bandes, das es um alle Söhne Siebenbürgens nie gegeben hat, durchtrennt wurden. Der Theologe Dr. Paul Brusanowski (Hermannstadt/Sibiu) ging auf die Voraussetzungen für die antisemitische Stimmung in Rumänien und die Verbindungen der orthodoxen Kirche mit der Legionärsbewegung ein. Dirk Schuster, Doktorand am Religionswissenschaftlichen Institut der Uni Leipzig, referierte über das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ (1939 in Eisenach gegründet) und dessen Außenstelle in Hermannstadt.

Dieses war von der evangelischen Landeskirche in Rumänien getragen worden. Pfarrer Andreas Scheiner, damals Hauptanwalt, war der Leiter des Institutes, Pfarrer Ekkehard Lebouton der Geschäftsführer, betrieben wurde nicht Theologie, sondern Propaganda, an den Tagungen nahmen Pfarrer und Lehrer teil, so Schuster. Auf die 1943 ausgetragene hermeneutisch-theologische Diskussion um den von Lebouton angestoßenen antisemitischen Diskurs innerhalb der evangelischen Kirche in Rumänien ging danach der Theologe Dr. Ulrich Wien (Uni Landau) ein. Die Verfasserin dieser Zeilen stellte die Politik Bukarests gegenüber den Rumäniendeutschen nach 1945 vor und bemerkte, dass die Diskontinuität in deren Behandlung manche Kontinuität in der Einstellung der deutschen Gemeinschaften begünstigt hat. Der kritische Umgang mit der eigenen Vergangenheit war nach 1945 nicht möglich, nach der eigenen Verantwortung und Verirrung wurde und wird nicht gefragt, das Mitläufertum gerechtfertigt. In den Jahren des Nationalsozialismus und des Kommunismus waren die Rumäniendeutschen der staatlichen Willkür ausgesetzt. Aber war man ausschließlich Opfer, wie dies zumeist dargestellt wird?          

Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist keine angenehme Sache, aber letztlich befreiend, wurde bei der Tagung festgestellt. Es sei lohnenswert, an dieser Problematik dran zu bleiben, meinte Dr. Raimar Kremer, der Vorsitzende des EFS. Zustande kommen können dabei durchaus interessante und interessierende Veranstaltungen, wie dieses von der Bundeszentrale für politische Bildung geförderte Seminar bewiesen hat.