Aus dem antiken Ägypten in die rumänische Gegenwart

Graffiti-Veranstaltung „Polke macht weiter“ bringt Schülern legales Sprühen bei

Graffiti auf Holzplatten statt auf Wänden: Im Rahmen des ifa-Projektes sprühten neun Jugendliche unter der Anleitung des Berliner Künstlers Malik.

Alex Neculai sowie sein Künstlerkollege Flaviu Roua arbeiteten im Auftrag von StudentFest an diesem riesigen „Piece“. Die beiden Graffiti-Künstler sprühen seit Jahren legal und nehmen Aufträge von Privatpersonen sowie von der Stadt selbst an.
Fotos: Zoltán Pázmány

Alle haben den Begriff  “Graffiti“schon einmal in ihrem Leben gehört. Die ersten Graffitis finden  sich im Alten Ägypten wieder. Damit sind nicht die sogenannten „Hieroglyphen“ gemeint, die  man in Tempeln und Grabstätten antrifft, sondern es handelt sich um gekratzte Inschriften auf Tempelwänden, in Gräbern, auf Felsen und Statuen. Sie wurden in verschiedenen Schriftarten und Sprachen gemacht und umfassten eine reiche Palette an Themen:  Segenswünsche, Gebete, Verehrungen von Göttern und Tempeleide. Es gibt aber auch Abrechnungen und bloße Listen von Waren, sowie auch nur den Namen des Schreibers selbst, so wie es auch heute noch üblich ist.

Wer Graffiti sprüht, bekommt es mit dem Gesetz zu tun. Das kennt man aus Filmen. Was aber viele heute nicht wissen, ist, dass Graffiti inzwischen braver geworden ist und heute als Kunst anerkannt wird und nicht nur als purer Vandalismus. Auch politisch ist es längst nicht mehr. Nicht jede Zeichnung will gegen das System protestieren.  Heute gibt es viele verschiedene Strömungen, deren Abgrenzung ist sehr undeutig. Besonders den Unterschied zwischen Writing und Streetart können viele nicht machen. Weil oft die gleichen Techniken verwendet werden und sie sich überschneiden. Style-Writing/Graffiti-Writing oder kurz“ Writing“ist die mittlerweile am weitesten verbreitete Form von Graffiti und wird deswegen von der Allgemeinheit auch am stärksten wahrgenommen. Beim Writing bildet die Schrift (Buchstaben und Zahlen) das Basiselement der Bildkomposition. Die „Stage names“, sind meistens sehr innovativ und einzigartig, denn alle streben nach Ruhm „Fame“. Wie gesagt, es gibt mehrere Styles von Graffiti: z. B. das Scratching, (dt.  Kratzen), politische Graffiti, Klograffiti usw.

Einer der gefährlichsten Styles ist der Ganggraffiti, der vor 30 Jahren in Los Angeles durchstartete. Verschiedene Gangs benutzen Graffitis, um so ihr Territorium zu markieren. Im Gegensatz zum Stylewriting dient beim Ganggraffiti das Malen von Tags als gezielte Markierung des Reviers (Turf) einer Gang. Die Schriftzüge fungieren hier als Warnung für andere Gangs, die auf diese Weise abgesteckten Grenzen zu überschreiten. Das Übermalen von Schriftzügen verfeindeter Gangs oder das Sprühen in einem fremden Revier gilt als Provokation, und wird teilweise bewusst eingesetzt, um einen Bandenkrieg (Battles) auszulösen.

„Auch heute kann es durchaus zu Konflikten kommen. Wir sprechen aber von kleinen Auseinandersetzungen, bei denen es meist um den Ort geht, wo man gesprüht hat oder über das, was gesprüht wurde und von wem. Wir versuchen diese Streitigkeiten freundschaftlich zu lösen“ so Alex Neculai, Grapher aus Temeswar/Timişoara. Er arbeitet unter dem Künstlernamen „Karm“.  Obwohl der Name keine konkrete Bedeutung hat, findet sich der Künstler in dem Namen wieder. Er arbeitete kürzlich im Rahmen des StudentFests an einem überdimensionalen Mural. Zusammen mit anderen Künstlern, wurde Temeswars Kunsthochschule   angemalt. „Wir haben kein genau festgelegtes Thema bekommen, aber uns wurden schon Grenzen gesetzt. Ein Muss sind zum Beispiel die Logos des StudentFestes.  Thema dieses Festivals ist  „Wirkung“. Die verwendeten Farben kommen prägnant auf der Wand zum Vorschein, obwohl sie Pastellfarben sind. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Abbildung einer Frau. Dazu kommen zwei Graffitis sowie die Logos unserer Auftraggeber.“

Im Auftrag der Stadt

Schon zu seiner Studentenzeit, wirkte er beim StudentFest mit. Diesmal wurde Alex als Main-Act gebucht.
Das StudentFest möchte Kunst als Ausdrucksmittel fördern. Die Veranstalter wollen durch das Festival auch ein Zeichen gegen Zensur und für mehr Meinungsfreiheit setzen. StudentFest entstand als Reaktion auf die Revolution und die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Rumänien gleich nach der Wende. Dieses Jahr fand das Festival zwischen dem 8.und 17. Mai statt. Während den zehn Tagen werden verschiedene Kunstbereiche vorgestellt. Neben Street Art auch Comickunst, Mode-Design, Werbung, Film und vieles mehr.Seit drei Jahren findet auch im Herbst ein internationales Street Art Festival in Temeswar statt. Künstler aus der ganzen Welt malen in Temeswar. Im letzten Herbst dauerte das Festival fast zwei Monate.

Der aktive und bekannte Graffiti-Künstler Alex Neculai hat sich auch als Lehrkraft versucht. An der deutschsprachigen Nikolaus-Lenau-Schule unterrichtete „Karm“ Kunst. „Als Lehrer wollte ich meine Aktivitäten als Sprüher Geheim halten. Die Schüler hatten aber davon schnell Wind bekommen. Ich konnte es eine Zeit lang verheimlichen. Dann platzte die Bombe und  die Schulleitung drückte ihre Bedenken aus. Man fürchtete, ich würde einen schlechten Einfluss ausüben, obwohl ich nur gute Absichten hatte. Darum habe ich es auch schnell sein lassen.“

Jugend lernt Graffiti als Kunst kennen

Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) aus Stuttgart veranstaltete trotz Kontroversen eine Graffiti-Werkstatt. Schüler von der Nikolaus-Lenau-Schule   arbeiteten zusammen mit  Schülern von der Adam-Müller-Guttenbrunn-Schule aus Arad und dem Berliner Künster Malik an einem gemeinsamen Graffiti.„Ich freue mich an dieser Veranstaltung teilzunehmen.  Ich mache seit vier Jahren Graffitis. Die Freiheit und die Tatsache, dass es illegal ist haben mein Interesse geweckt.  Die Gefahr reizt mich“, so R²zvan Maseck (14) von der Nikolaus-Lenau-Schule. „Über diese Veranstaltung wurde ich von meiner Kunstlehrerin informiert. Gewöhnlich nehme ich nicht an solchen Veranstaltungen teil, weil ich davon nur schwer erfahre. Bei einem Graffiti-Fest war ich noch nicht, aber ich habe vor, in den nächsten zwei Jahren  an einem teilzunehmen“. Auch  die 17-jährige Alexandra Pavel aus Arad ist begeistert: „Graffiti habe ich zuvor noch nicht gemacht, aber jetzt läuft alles ganz gut. An Graffiti gefällt mir eher das Zeichnerische mehr als das Writing. Ich nehme jetzt zum ersten mal an einer  solchen Veranstaltung teil und würde auch im nächsten Jahr mitmachen, falls das noch einmal organisiert wird.“

Der für die Schüler verantwortliche Künstler Malik, ist auch leidenschaftlicher Comiczeichner. Graffiti war für den Berliner einfach nur der nächste Schritt. Sein Künstlername „Malik“ ist türkisch und bedeutet „König“.  Malik  über die Graffiti-Szene in Berlin: „Es gab schon immer Sprüher, die es einfach illegal betreiben wollten, aber  da bin ich der falsche Ansprechpartner. Wenn es ums illegale Sprühen geht,  müsst ihr die Leute fragen, die es auch machen. In Berlin gibt es verschiedene Events. Es treffen sich Künstler von überall. Der Urban Art Clash ist so eine Veranstaltung.“

Über die Vorurteile von Temeswarern gegenüber Graffiti meint er: „Es mag vielleicht falsch sein, auf Privateigentum zu sprühen. Aber sind überdimensionale Werbeplakate besser? Ich finde es ästhetisch furchbar, wenn ich eine monströse Auchan-Reklame auf dem Opernplatz sehe, die  toleriert wird, weil Auchan dafür zahlt, den öffentlichen Raum zu besetzen. Allein die Farbenkombination finde ich scheußlich: rot, weiß und grün. Das geht gar nicht. Jahre lang hat die Deutsche Bahn Unsummen ausgegeben, um die Graffitis von den Zügen zu entfernen mit der Begründung, man könne nicht mehr aus dem Fenster schauen. Heute kleben sie selber die Fenster zu und zwar mit Reklame. Inzwischen sind die Züge eine einzige Werbefläche. Graffitis kosten nichts. Kosten entstehen erst, wenn man sie wegmachen will. Und das Argument, Graffitis würden einem die Sicht versperren, ist kein wirkliches Argument. Nicht mehr.“ Das Projekt „Polke macht weiter“ wurde von der ifa-Regionalkoordinatorin,  Monica Kovats, initiiert. „ Das ifa hat im Februar 2014 eine Ausstellung mit 40 Gouachen Sigmar Polkes veranstaltet. Mit diesem Graffiti-Projekt wollen wir daran anknüpfen. Insgesamt neun Schüler beteiligen sich an dieser Werkstatt. Drei stammen aus Arad und sechs aus Temeswar. Polkes Werke dienten als Inspirationsquelle für die Schüler. Am 15. Juni wollen wir noch so eine Veranstaltung organisieren, dann aber auf der  Mărăşti-Straße. Die Graffitis, die bei diesen Veranstaltungen entstehen, werden dann in Temeswar und Arad ausgestellt.“