Wort zum Sonntag: Aus Opfer wird Verlust

Abrahams Versuchung oder die Opferung Isaaks, wie sie noch betitelt wird, die in 1. Mose 22 steht, ist eine der aufwühlendsten Geschichten der Bibel. Um dazu Amen sagen zu können, muss man viele Wesenszüge Gottes, wie sie uns aus dem Evangelium  vertraut sind, beiseite lassen. Glaube und Gehorsam sind hier scheinbar Gegensätze: Der Glaube verheißt Abraham, seine Nachkommen würden ein großes Volk werden, während der Gehorsam ihn zwingt, dieser Verheißung entgegen zu handeln. Doch Abraham lässt sich nicht zerreißen, er glaubt und gehorcht. „Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer“, antwortet er Isaak, ohne zu wissen, wie die Aktion ausgehen wird, aber in vollem Vertrauen zu Gott.

Es ist nicht so, als ginge es auf dem christlichen Weg um weniger als Leben und Tod, aber in Jesus Christus steht Gott den Gläubigen nicht mehr prüfend gegenüber, sondern geht voran und ruft ihnen zu: Folgt mir nach! Der Versuchung haftet immer etwas Schulmäßiges an: in einer speziell dafür geschaffenen Situation soll  gezeigt werden, wie gut man ist, und bei Versagen gibt es ein nächstes Mal. Demgegenüber stehen Christen im Ernstfall, sie müssen sich im einmaligen Vollzug des Lebens bewähren. Wer treu im Gehorsam verbleibt, der wird wachsen im Glauben und für weitere Kämpfe gerüstet sein, wer aber den Bedrohungen und seinen Gelüsten nicht widersteht, der wird denselben Kampf immer wieder verlieren.

„Siehe, das ist Gottes Lamm!“ spricht Johannes der Täufer, als Jesus zu ihm kommt. Der Sohn ist nun das Schlachtopfer und nicht mehr ein Widder, der wie zufällig zur Hand ist. Gottes Sohn ist das vollkommene und letztgültige Opfer für die Sünde der Welt, sein eigenes Blut wird vergossen zur Reinigung und ewigen Erlösung aller, die ihre Knie vor ihm beugen. Durch seinen Tod tritt das Neue Testament, der neue Bund Gottes mit der Menschheit in Kraft. Gott ist auch weiterhin unverändert Herr des Lebens: er gibt es und er fordert es zurück, wie es ihm passt. Diese Verfügbarkeit bleibt eine Konstante in der Beziehung zu Gott, das bekräftigt auch Jesus, als er zu seinen Jüngern sagt: „Ich sende euch wie Lämmer unter die Wölfe.“

Mit dem Raub des Lebens und der Freiheit, wie auch aller materiellen und ideellen Güter um ihres Glaubens willen, müssen Christen allezeit rechnen, das heisst, sie müssen zum Verzicht darauf bereit sein. Aber nicht mehr als ein Opfer, das sie vor Gott angenehm macht, sondern als einen unumgänglichen Verlust um des größeren Erbes willen, das auf sie wartet. Es gibt nämlich auf dem irdischen Lebensweg Grenzübergänge, die nur zu schaffen sind, wenn die geforderte Zollgebühr entrichtet wird. Die kann unter Umständen sehr hoch sein, wie Luther singt: „Nehm’n sie uns den Leib, Gut, Ehr‘, Kind und Weib, lass fahren dahin.“ Das gibt innere Kämpfe, die nur mit dem Beistand des Heiligen Geistes positiv entschieden werden können. 

Anstelle des rituellen Opfers treten im Neuen Bund der Verlust und der Verzicht, beide von Fall zu Fall verschieden, geregelt allein durch die Gebote der Schrift und den persönlichen Gehorsam. Letzten Endes steht jeder allein für sich selbst vor Gott, aber in einer Wolke von Zeugen, die Ähnliches durchgemacht haben und in der Gemeinschaft der Heiligen, wo einer den anderen stützt und erbaut. Vom Heiland, der selbst das finstere Todestal durchschritten hat, sollen wir keine Schonung erwarten, denn er drängt geradewegs zum Martyrium: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ Und: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Solcher Rat ist nicht von Menschen. Amen.