Banater Geschichte im Plural erzählt

Victor Neumann thematisiert die Interkulturalität des Banats vor allem in Temeswar

Anders als zu Siebenbürgen gibt es über das Banat nicht eben wirklich viel gute Literatur. Dabei gehört das Banat ebenfalls zu den Regionen Rumäniens, die die Völkervielfalt des Landes bis heute bestimmen und bereichern. Der Historiker Victor Neumann aus Temeswar beschäftigt sich nun in einem jüngst auf Deutsch erschienenen Band mit der multikulturellen – Neumann spricht von „interkulturellen“ – Geschichte und Gesellschaft des Banats. Er erzählt dabei die Geschichte des Banats ausdrücklich „im Plural“, womit er vor allem zum Ausdruck bringen will, dass jede Volksgruppe ihre eigene Geschichte in und mit der Region hat.

Der Autor illustriert seine Thesen zum Banat vor allem am Beispiel von Temeswar, obwohl der Titel einen stärkeren Blick auf das ganze Banat verspricht. Doch die Stadt an der Bega steht besonders im Fokus. Der ansprechend gestaltete Band bietet zunächst eine konzentrierte „Geschichte der Banater Bevölkerungsgruppen“ und „Grundzüge des Banater Schmelztiegels“, anschließend eine Darstellung zu „Temeswar in der Zwischenkriegszeit: zwischen ‚fiktiver Ethnizität‘ und offener Gesellschaft“, bevor „Mehrsprachigkeit und Interkulturalität im heutigen Banat“ und „Politische Veränderungen 1989“ thematisiert werden. Im Abschlusskapitel unterstreicht der Autor die „Bedeutung des Verstehens der interkulturellen Geschichte des Banats“.

Neumann präsentiert das Banat und vor allem die Metropole Temeswar als Modell für interkulturelles Zusammenleben. Er schreibt: „Die wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften von Rumänen, Serben, Deutschen, Ungarn, Juden, Bulgaren, Slowaken, Roma und Böhmen im Banat sind durch das Zusammenleben zu einem gemeinsamen Erbe geworden“ (S. 10). Dies führe zu einer „pluralen Identität“ und eben auch zu einer „pluralen Geschichte“. Mehrsprachigkeit sei für die Menschen in der Region entsprechend historische Praxis und im Alltag eine Notwendigkeit.

Die „Multi- und Interkulturalität des Banats“ kann nach Neumann mit ethnischen Konzepten nur schwer oder gar nicht erfasst werden und ist damit ein Gegenmodell zu ethnonationalen Modellen. Der multiethnischen entspreche die multireligiöse Vielfalt, wobei seine allzu optimistische Sicht einer „Mittlerrolle“ der griechisch-katholischen Kirche zwischen Orthodoxie und Katholizismus eher ein Wunschdenken als die Wirklichkeit abbildet, selbst wenn im Banat die Verhältnisse dadurch einfacher sind, dass die Orthodoxen die ihnen vom kommunistischen Staat 1948 übergebenen Kirchen nach der Wende auf Initiative des 2014 verstorbenen Metropoliten Nicolae den Unierten unmittelbar zurückgegeben haben.

Neumann behandelt die verschiedenen Banater Volksgruppen der Rumänen, Serben, Ungarn, Juden, Slowaken und Deutschen und stellt deren Geschichte, Wirtschafts- und Sozialstruktur und Religion dar. Er macht anhand der Siedlungsstrukturen deutlich, wie gut das Zusammenleben gelang, und geht dabei von der Reife der Volksgruppen aus: „Weniger die kaiserliche Autorität, als vielmehr die zwischenmenschlichen Beziehungen spielten eine außerordentliche Rolle bei der Entwicklung eines Raumes der Toleranz und der Interkulturalität.“ (S. 20). Er beschreibt und betont die Rolle der katholischen Kirche und der 1771 als eine der ersten Zeitungen in Mittelosteuropa gegründeten mehrsprachigen „Temesvarer Nachrichten“ für die ganze Region sowie des Erzbistums von Karlowitz (Sremski Karlovci) für die orthodoxen Serben und Rumänen.

Das Banat kenne viele Besonderheiten in Mentalität und gesellschaftlich-kultureller Entwicklung, vor allem aufgrund der doppelten Universalität der Bevölkerung, der postbyzantinischen aus Südosteuropa und der österreichisch-deutschen aus Zentraleuropa. Neumann betont: „Die Gelehrten des Banats bedienten sich unabhängig von ihrer Muttersprache bei den selben kulturellen Quellen.“ (S. 31) Das Zusammenleben und auch der kosmopolitische Charakter der Bewohner des Gebiets hätten auch jeden „Ethnonationalismus“ obsolet gemacht, alle seien sich des Reichtums des gemeinsamen kulturellen Erbes bewusst gewesen.

Trotz der Magyarisierungspolitik Budapests zwischen 1867 und 1918 sei der Dialog zwischen den Volksgruppen aufrechterhalten worden. Die Banater Städte wie Temeswar, Arad, Lugosch oder Reschitza hätten ihre kulturelle Vielfalt nie aufgegeben. Dass es Stadtteile nach Ethnien gegeben habe, habe die Einheit nie zerstört. Die unterschiedlichen Gruppen hätten ein komplexes, intensives und funktionierendes Beziehungssystem aufgebaut.

Besondere Betonung legt der Autor auf seinen Heimatort Temeswar. Er fragt nach der urbanen Identität der Stadt nach dem Ersten Weltkrieg und zeigt auch Probleme der späteren Besiedlungsentwicklung auf. Er weist an mehrsprachigen Medien, Büchern und Ansichtskarten, dem Kulturleben oder auch dem Sport nach, dass selbst in der Zeit nach dem Anschluss an Rumänien und der Einführung der rumänischen Verwaltung 1919 die interkulturelle Tradition aufrechterhalten wurde, auch wenn „die vielfachen Kulturen und Geschichten (…) keine Entsprechungen in den einsprachigen und monokulturellen Orientierungen des ethnonationalen Staates“ hatten (S. 45).

Für den Autor ist es nur konsequent, dass Temeswar zum Ausgangspunkt des von ihm ausführlich beschriebenen Aufstands gegen die monokulturelle Ideologie des Kommunismus wurde und die Stadt bis heute einen charakteristisch höheren Lebensstandard vorweisen kann. Ein umfangreicher Anhang mit statistischem Material (S. 117-138) und eine Auswahl historischer und aktueller Bilder schließen den Band ab.

Neumann bietet eine gut aufbereitete und dokumentierte Darstellung, die allerdings an einer gewissen Einseitigkeit leidet: Bei Personen würde man von einer Tendenz zur Hagiografie sprechen. Der Autor spricht das (alte!) Banat und Temeswar fast schon heilig. Man hätte zudem eine ausführlichere Darstellung etwa von Städten wie Arad, Lugosch, Großsanktnikolaus oder Reschitza erwartet. Und auch die Dörfer, die ja das von Neumann exzellent dargestellte mentale, kulturelle, historische und gesellschaftliche interkulturelle Spezifikum der Region im Großen und Ganzen bestätigen, hätten mehr Berücksichtigung verdient. Bei aller Wehmut über die schönen vergangenen Zeiten ist seine Kritik an den rumänischen Neusiedlern im 20. Jahrhundert in Temeswar manchmal wirklichkeitsfremd bis überheblich. Keine Stadt oder Region lässt sich als Reservat kultivieren. Er bietet eben doch ein „Plädoyer für eine ideale Vergangenheit“, auch wenn er genau dies bestreitet (S. 114).

Nichtsdestotrotz kann der Band als Grundlagenliteratur jedem, der sich mit dem Banat beschäftigt, nur wärmstens zur Lektüre empfohlen werden. Ein Band, der zum Reisen animiert.

Victor Neumann: „Die Interkulturalität des Banats“, Berlin: Frank & Timme Verlag 2015, 164 S., 31 S/W-Abbildungen, ISBN 978-3-7329-0116-6, 24,80 Euro (= Forum: Rumänien, Bd. 25)