Billigwohnungen als Motor der Marktentwicklung

Gratwanderung zwischen Insolvenz und Profit / Zum Jahresbeginn 2017: 4000 Baugenehmigungen für Wohnhäuser

In den vergangenen fünf Jahren sind die Investitionen in den Wohungsbau stetig angewachsen. Vor allem der Bereich der Billigwohnungen vom Typus „Prima Casă“ hat sich als Motor der Entwicklung im Marktbereich Wohnungsbau erwiesen, melden die Analysten von KeysFin. Allerdings wird der „Appetit“ der Kunden für dieses Segment des Wohnungsbaus als „zweischneidig“ bezeichnet. Zweischneidig sei es vor allem für kleine Bauunternehmen, die zu einer „Gratwanderung zwischen Insolvenzdrohung und Profitperspektiven“ verdammt seien. Ausserdem gibt es zunehmend Beanstandungen bezüglich der Qualität dieser Wohnungen – sowohl betreffs verwendetes Baumaterial, als auch bezüglich des Wohnkomforts und der Finnissagen. Trotzdem bleibt der Wohnungsbau nach wie vor der Motor des Baugewerbes, meinen die Leute von KeysFin. Dieser Bereich liege weit vor dem Segment des Immobilienbaus für Büros oder Handelsräume, während der Tiefbau und die Infrastrukturarbeiten „weiterhin“ als „Aschenputtel des rumänischen Bauwesens“ dastehen (kein Wunder, schaut man sich die „Jahresleistungen“ im Autobahnbau an. Hauptsächliche Herausforderung und Wackelfaktor dieses Wirtschaftsbereichs bleibe die Finanzierung, egal wer als Investor auftrete und welches Segment man betrachtet.

Immobilien sind Zukunftssicherheit

Die gegenwärtigen Tendenzen im Bauwesen Rumäniens haben sich nach der Finanzkrise von 2007 - 08 herausgebildet. „Die Sicherheit des morgigen Tages war das Schlüsselwort einer Vielzahl der Bürger Rumäniens, deren Schlussfolgerung nach der Krise von 2007 - 08 es war, dass Immobilien einen „Sicherheitsgurt“ im (finanziellen) Bedarfsfall darstellen können. Normalbürger oder Investoren, alle haben gleichermaßen versucht, die, im Vergleich zu den Jahren vor der Krise, günstigen Immobilienpreise zu nutzen. So wurde ‘Prima casă’ zu einem wichtigen Instrument des Marktes“, schreiben die Analysten von KeysFin. Die relative Preisstabilität (auch als Folge der staatlich vorgeschriebenen Grenzen bei der Bankgarantie für die Kreditierung des Wohnungskaufs – eins ist aufs andere zugeschnitten) und die steigende Nachfrage brachten einen nachhaltigen Schwung in den Wohnungsbau.

2016 ist der Gesamtumsatz im rumänischen Wohungsbau auf rund 80 Milliarden Lei geschätzt worden. 2015 lag die Schätzung bei 76,7 Milliarden Lei, 2012, vier-fünf Jahre nach der Krise, noch bei 72,8 Milliarden Lei. Die Steigerungen des Umsatzes am Wohnungsmarkt werden als „sehr konstant“ gewertet. Das sei die Lektion gewesen, die die Bürger Rumäniens gelernt hätten aus der von einigen Banken künstlich produzierten Immobilienblase, dem Grund der Finanzkrise: Zwei-Zimmer-Wohnungen, für die, beispielsweise in Bukarest, vor 2007 um die 100.000 Euro als Kaufpreis gefordert wurden, wurden nach der Krise zu 35.000 bis 55.000 Euro angeboten – und gekauft. Zur Stunde sind sie – wie fast alle Wohnungen in Rumänien, gegenüber dem Jahresanfang 2017 um bis zu zehn Prozent teurer. Spitzenreiter im Immobilienhandel waren – vor und nach der Krise – (in dieser Reihenfolge) Bukarest, Klausenburg, Temeswar, Kronstadt und Ploieşti.

Statistik der Baufirmen

2015 waren im Baugewerbe in Rumänien 61.715 Firmen beschäftigt, geht aus einer Übersicht des Statistikamtes hervor. Die selbe Quelle meint, dass das allmähliche Schrumpfen der Zahl der Bauunternehmungen ein Anzeichen für die „Reife des Marktes“ darstelle und positiv zu sehen sei. Weniger dürfe, auch hier, als mehr gewertet werden. Allein in Bukarest waren 2015 12.003 Baufirmen tätig, in Klausenburg 3.993, im Verwaltungskreis Temesch 2.808, in Prahova/Ploieşti 2.638, im Verwaltungskreis Kronstadt/Braşov 2.404, in Bihor 2.276, in Konstanza/Constanţa 2.138 und in Ilfov (wohl auch wegen der Nähe zu Bukarest – 2.093).
2010 lag der Operativprofit der Baugesellschaften Rumäniens noch bei -3,24 Prozent. Fünf Jahre später lag er mit beachtlichen 5,86 Prozent im positiven Bereich. Das spricht für die „Geschäftsprofitabilität an sich“ in der Baubranche, sagen die Experten. Und es spricht für das (Zukunfts-)Potenzial des Geschäfts mit dem Wohnungsbau. Auch für 2017 identifizieren die Marktanalysten durchaus positive Tendenzen auf dem Immobilien- und Wohnungsbaumarkt. Das äussert sich auch durch die Zahl der seit Jahresbeginn 2017 neugegründeten Baufirmen. Das Handelsregister meldet, dass allein im Januar-Februar 2017 rumänienweit 1.671 neue Baufirmen registriert wurden – wobei im gesamten Jahre 2016  insgesamt 8.741 neue Baufirmen per Handelsregister veröffentlicht worden sind.

Wohnen weg von den Ballungszentren?

Erfreulich: Die Neugründungen von Baufirmen sind ziemlich gleichmäßig auf alle Wirtschaftsregionen Rumäniens verteilt. Parallel dazu stieg – allerdings in gesteigerterem Rhythmus - auch die Zahl der Baugenehmigungen, beispielsweise um fast 52 Prozent im Februar gegenüber dem Januar 2017. Von den 2.367 Baugenehmigungen des Februars 2017 waren 69,2 Prozent für Wohnungsbau im ländlichen Raum ausgestellt, was die Vermutung aufkommen lässt, dass auch die Bürger Rumäniens (ähnlich wie vor drei - vier Jahrzehnten jene Westeuropas) zunehmend sich auf Wohnen-weg-von-den-Ballungszentren hin orientieren. Die höchsten Zuwächse an Steigerungen von Baugenehmigungen, gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahrs, gab es zum Jahresanfang in der Nordostregion (dem mol-dauischen Oberland oder, geographisch in etwa, der Bukowina, +247), in der Nordwest-Region (+132), der Südost-Region (+109), in Muntenia-Süd (+93) und in Siebenbürgen (+80).

„Prima Casă“ - Finanzierung auch 2017 garantiert?

Trotzdem: die Steigerungen sind „gedämpfter“ als 2016. Das führen die Marktanalysten von KeysFin auf Zweifel der Baubranche bezüglich der Finanzierung des Jugend-Wohnungsbauprogramms „Prima Casă“ in diesem Jahr zurück, wo nahezu jeder kühle Analyst des rumänischen Finanz- und Haushaltswesens Zweifel anmeldet an den Grundlagen der Geld- und Budgetpolitik der PSD-ALDE-Regierung. „Wir bezweifeln, dass, trotz gegenteiliger Behauptungen seitens der Regierungsvertreter, in diesem Jahr, bei der eingeschlagenen Richtung in der Finanzpolitik, auch noch Geld übrigbleibt für die Stützung des Wohnungsbauprogramms vom Typus „Prima Casă“, bei so vielen finanziell-bugetären Herausforderungen ans Regierungsprogramm“, heisst es in der Baubranche. Inzwischen steht fest: man hat einiges an Tricks aus dem Zylinder gezogen, um doch auch etwas Erstes-Haus-Unterstützung bereitstellen zu können – auch wenn die Zahl der Restriktivmassnahmen, die die Regierung vorgibt, gestiegen ist. Andrerseits: die Banken beginnen in diesem Kreditierungsprogramm, nach ihrem Geschmack zurechtgestutzt, eine Geschäftschance zu sehen.

Auf der anderen Seite, geben die Marktanalysten zu bedenken, sei der Verschuldungsgrad der Baugesellschaften – vor allem im Raum Bukarest-Ilfov – bei über 50 Prozent angelangt, was heisst, dass ihnen akut eine Finanzierungsblockierung droht. Bei einer durchschnittlichen Einsammelzeit ausstehender Gelder, die bei 362 Tagen liegt, und einer durchschnittlichen Rückzahldauer für Kredite (durch die Baufirmen) von 700 Tagen sei die Lage der Baubranche in manchen Wirtschaftsregionen Rumäniens mehr als bedenklich. Deshalb sei jedermann gut beraten, wenn er vor dem Abschluss eines Vertrags mit einer Baufirma erst deren finanziellen Status gründlich überprüfen lässt. Ihre finanzielle Gesundheit ist, trotz Bauboom, oft bedenklich. Vor allem Vorauszahlungen sollten gründlich und möglichst mehrfach abgesichert werden. Und wenn die Baufirmen in Gerichtsprozesse verwickelt sind, egal in welcher Position, sei allergrößte Vorsicht geboten. Neuerdings gibt es auf dem Beratermarkt eigens für solcherlei Situationen ausgearbeitete Überprüfungsprodukte. Auch KeysFin bietet etwas von dieser Sorte an.

Banken springen in die Lücke

Die positive Nachricht: Die Banken haben auch ihre Bedenken bezüglich der Durchfüphrung des „Prima Casă“-Programms 2017 und haben, wie gesagt, selber Alternativangebote ausgearbeitet, mit denen sie in die potenzielle Lücke springen möchten. Einerseits weichen sie die Kreditierungsbedingungen auf, andrerseits bringen sie selber neue Produkte in diesem Bereich auf den Markt. Etwa „La Casa Mea“ der BRD-Bank, ein sehr treffend und auf die rumänische Mentalität glänzend zugeschnittener Titel. (Man denke bloß daran, was ein Bukarester versteht, wenn er sich wie nebenbei brüstet, „La Casă“ zu wohnen...).
Auch der Baumaterialmarkt hat bereits reagiert. Alle Anbieter kommen laufend – auch in massiven Werbekampagnien – mit neuen und nicht aus der Hand zu schlagenden Angeboten. Und sie eröffnen dauernd neue Baumärkte. Ihre Kataloge sind inzwischen hunderte Seiten stark. Die Eröffnung, im Frühjahr in Jassy, eines Mathaus-Marktes durch die Arabesque-Gruppe (eine 10-Millionen-Euro-Investition, bei der man sich doch etwas gedacht haben muss...) ist nur ein Beispiel dafür. Man wendet sich betont deutlich an private Personen als Käufer.