Blick unter die Haut: Roşia Montană

Über ein gigantisches Natur- und Kulturerbe, soziale Dramen und Alternativen zum Bergbau

Mehr als 15.000 Menschen demonstrierten vergangenen Sonntag geschlossen gegen das umweltschädliche Goldabbauprojekt in Roşia Montană.

Eugen David, Leiter der lokalen Widerstandsbewegung Alburnus Maior, schenkt den Demonstranten symbolisch 2 Hektar Land.

Architekt und Lektor Ştefan Bâlici

Workshop der ARA-Volontäre in Roşia Montană
Fotos George Dumitriu (2): ARA (2)

Geschickt bahnt sich der junge Mann vor mir den Weg durch die Menschenmassen am Bukarester Universitätsplatz. Hier kann man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Ein kleines Mädchen hält entschlossen ein Schild in die Höhe: „Auf rumänischem Boden will ich mich nicht vergiften lassen!“ Daneben ein Rentner mit bewegtem Gesicht. Alt und Jung, Arm und Reich, Menschen aus allen Schichten stehen solidarisch Seite an Seite! Banner mit markigen Sprüchen, informativ bis provokant, politisch bis ironisch, wie die Aufschrift einer riesigen Schachtel mit Schlitz: „Opferstock, damit auch wir uns Politiker kaufen können!“ Zur Sorge um die katastrophalen Umweltfolgen durch das Goldabbauprojekt der umstrittenen kanadischen Firma Roşia Montana Gold Corporation (RMGC) blubbern Sünden im Vorfeld der Verhandlungen wie stinkende Gasblasen an die Oberfläche: Korruption, Manipulation, Repressalien, Kauf der Presse. Politiker winden sich im Chaos eines Schlachtfelds, das ihnen zu entgleiten scheint. Der Konflikt um Roşia Montană droht das Volk zu spalten.

Während ich Ştefan Bâlici nacheile, schaue ich mir die Gesichter an. Sie sehen nicht wie „Berufsdemonstranten“ aus, sondern wie Rentner, Studenten, Familien. Im ruhigen Lehrzimmer der Fakultät für Architektur sitzen wir uns dann gegenüber. Besonnen und mit profundem Fachwissen erklärt der junge Lektor, warum  sich er und seine Mitstreiter gegen das Goldprojekt in Roşia Montană einsetzen.

Europäische Banken suchen Lösungen

Seit sieben Jahren verbringen sie im Rahmen der Organisation Architektur, Restauration und Archäologie (ARA) die Sommermonate in Roşia Montană. Auch wenn sie sich dort in erster Linie mit Restauration von Kulturerbe befassen, gingen die langjährigen Diskussionen um das umstrittene Goldprojekt nicht an ihnen vorbei. Zum einen, weil sie hautnah die lokalen Dramen erlebten: forcierte Verkäufe und Repressalien, der Widerstand der zum Bleiben Entschlossenen , die forcierten Pro-Goldprojekt-Proteste der von RMGC angeworbenen Demonstranten.

Aber auch, weil sie selbst die Argumente für den von Pro Patrimoniu unterstützten Antrag zur Aufnahme Roşia Montanăs ins Projekt „Die sieben Meistgefährdeten“ von Europa Nostra zusammentrugen. Die größte Organisation Europas zur Rettung von Kulturerbe, hinter der immerhin zwei der bedeutendsten europäischen Banken stehen, die Europäische Investitionsbank und die Entwicklungsbank des Europäischen Rates CEB, wie Architekt  Şerban Sturdza von Pro Patrimoniu betont. Das von Ştefan Bâlici und Virgil Apostol erarbeitete Dossier hatte Erfolg:  Roşia Montană wurde tatsächlich zu einer der sieben schützenswertesten Stätten für das Jahr 2013 erkoren! Für Oktober steht nun ein Besuch von Experten zum Lokalaugenschein bevor. Bis Ende Dezember wollen die Banken dann konkrete, nachhaltige Lösungen vorschlagen – einschließlich sozialer und wirtschaftlicher Perspektiven wie Kleinunternehmen für die lokale Bevölkerung. „Die würden sich nicht implizieren, wenn es keine Lösungen gäbe – es sind immerhin Banken!“ gibt Bâlici zu bedenken.

Warum liest man darüber kaum etwas in der Presse? Statt dessen kochen in der Öffentlichkeit Emotionen um etwa 600 Arbeitsplätze für beschränkte 17 Jahre hoch. Eine kurze Lösung für wenige. Und dann?

Was es zu retten gibt

„Wir haben uns bei der Argumentation für das Dossier auf das Gesamtbild gestützt“, erklärt Ştefan Bâlici. Drei Jahrtausende Bergbau seit der Bronzezeit bis 1948 machen den Ort zu einer weltweit einzigartigen Forschungsstätte: 150 Kilometer unterirdische Schächte, viele aus römischer und vorrömischer Zeit. Renommierte Wissenschaftler - darunter der Deutsche Theodor Mommsen - befürworten seit ihren Forschungen die umstrittene Idee, dass auch die Daker unterirdischen Bergbau betrieben. Entdeckungen in verschiedenen Stollen, wie die mit Wachs beschriebenen 25 Holztafeln aus dem 2. Jh., die in Vulgärlatein und Kursivschrift lokale Schürfrechte behandeln, könnten bei der Beantwortung ungeklärter Fragen – etwa zu Sprache und Schrift der Daker oder zur Zusammensetzung der kolonialisierten Bevölkerung – helfen. Wahrscheinlich ist , dass die Stollen noch weitere, ähnliche Überraschungen bereithalten.

Als Argument aus Sicht der Naturschützer zählt die außergewöhnliche Biodiversität in den einst für den Bergbau angelegten Stauseen. Heute führen sie sauberes, aber mit Mineralien stark angereichertes Wasser, auf dessen Basis sich  endemische Arten gebildet haben – also solche, die ausschließlich in diesen begrenzten Biotopen vorkommen. Auch die englischen Botaniker John Akeroyd und Andrew Jones, bekannt durch ihre Forschungen in Siebenbürgen im Zusammenhang mit Prinz Charles, entdeckten in Roşia Montană viele bedrohte Arten, die auf der Roten Liste stehen. Hinzu kommen Landschaftsformen, die einzigartig und schützenswert sind, aber auch architektonische Aspekte, die Eingang in das Dossier fanden.

Mit der Realisierung des geplanten Goldabbaus würde dies alles zerstört: Vier Berggipfel weggesprengt - und mit Ausnahme weniger Galerien dazwischen die Spuren von drei Jahrtausenden Bergbau und Zivilisation, eine einzigartige Fauna und Flora, sowie die Lebensgrundlage lokaler Einwohner vernichtet. Ein See mit Zyaniden und giftigen Schwermetallen würde eine Oberfläche von 300 Hektar bedecken. 12.000 Tonnen jährlich, 204 Millionen insgesamt. Nicht auszudenken, wenn der Damm bricht, wie 2000 in Baia Mare...
 
Volontäre mit gutem Beispiel voran

„Vor den forcierten Landverkäufen gab es 2600 Rinder in Roşia Montană“, räumt Stefan Bâlici mit dem Mythos auf, die Ortsansässigen seien vorwiegend arbeitslose Minenarbeiter. Heute gibt es immerhin noch 600 Rinder. Viele Bauern arbeiten mit traditionellen, die Biodiversität erhaltenden Methoden, und werden dafür mit EU-Geldern subventioniert. Eugen David, Leiter der lokalen Widerstandsbewegung Alburnus Maior, lebt ausschließlich von seiner Rinderfarm. Vom Bergbau will der ehemalige Kupferminenarbeiter heute nichts mehr wissen.

„Es gibt reale Alternativen“, erklärt auch Ştefan Bâlici. ARA leistet mit den Sommerlagern zur Restauration alter Häuser seit Jahren einen kleinen, aber konkreten Beitrag: Vier junge Leute aus dem Dorf wurden bereits zu Meistern ausgebildet, die traditionelle Handwerkstechniken erlernten. Gemeinsam mit Freiwilligen restaurieren sie nun fachgerecht Gebäude, die auf diese Weise Gewinn einbringen sollen – als Kulturzentrum, Dorfladen oder im Tourismus. Weil der Erfolg bereits sichtbar ist, vertrauen immer mehr Lokale den jungen Architekten und Archäologen, lassen ihnen freie Hand beim Austausch von Plastikfenstern und Zement gegen Holz und Kalkverputz. „Sogar einen römischen Steinaltar, der in einer Fassade eingemauert und später an ein Museum verkauft wurde, haben wir originalgetreu nachgebaut“, freut sich Bâlici. Wer das nachhaltige Projekt unterstützen möchte, kann Baumaterialien, Lebensmittel oder Geld spenden oder sich als Voluntär beteiligen (www.adoptaocasa.ro).

Was passiert, wenn das Goldprojekt genehmigt werden sollte? „Sie können sich vorstellen, was geschieht, wenn im Intervall von 15 Minuten 300-Tonner durch das historische Dorfzentrum donnern - und  dies 17 Jahre lang. Hinzu kommen unterirdische Sprengungen. Den Vibrationen hält die alte Architektur ganz sicher nicht stand.“

Scharfe Kritik am Kulturminister

Warum eigentlich ist Roşia Montană nicht längst UNESCO-Welterbe? Ştefan Bâlici klärt auf: Bereits 2009 hat ARA einen Antrag im Kulturministerium eingereicht, der 2011 von der nationalen Expertenkomission befürwortet wurde. Die Akten für UNESCO waren komplett, es fehlte nur noch die Unterschrift des Ministers. „Dann wurde auf einmal alles politisch...“

Auch das Thema UNESCO ist seit zwei Wochen Gegenstand der öffentlichen Proteste. Am 14. September 2013 verfasste ARA daher einen offenen Brief an den Kulturminister, unterzeichnet von 40 renommierten nationalen Experten (www.simpara.ro). Darin wird nicht nur die Unterzeichnung des Dossiers gefordert, sondern auch der Rücktritt von Kulturminister Daniel Barbu, der öffentlich erklärt hatte, das Goldprojekt stelle kein Risiko für das Kulturerbe dar.

Auch  hierzu schweigt die Presse nahezu geschlossen...

Menschenschicksale...

Während die Volontäre, die meist  bei lokalen Familien wohnen, Einblicke in menschliche Dramen erhalten, die sich durch den Druck der RMGC zum Verkauf von Grund und Boden abspielen, täuscht letztere mit bezahlten Demonstranten zivilen Gegendruck vor. „Jeden Tag kommen Busse nach Roşia Montană, mit aus umliegenden Dörfern angeworbenen Arbeitern“, erzählt Bâlici. Im Zentrum werden sie ausgekarrt und mit Aufgaben wie Mähen, Kehren oder dem Instandhalten von Gebäuden beschäftigt, um einen guten Eindruck zu erwecken. Auch demonstrieren für das Goldprojekt gehört zu ihren Pflichten.

Doch so mancher gab bei einem Bier in der Dorfkneipe zu, von RMGC bezahlt zu sein. „Zahlt uns mehr und wir schlagen uns auf eure Seite“, sollen falsche Demonstranten lokalen Projektgegnern angeboten haben. Etwa 300 solche „Angestellte“ soll RMGC derzeit an der kurzen Leine halten, hört man vor Ort. Gekaufte Zivilcourage. Immer wieder werden sie durch neue ersetzt, dann wieder kurzfristig eingestellt. Mit Versprechungen und Hinhalten schafft man  sich möglichst viele Abhängige.

Unvorstellbar hingegen die Dramen unter den zum Bleiben Entschlossenen: Die Frau, die statt dem Grab ihres Vaters nur ein gähnendes Loch im Friedhof fand. Der Bruder hatte sein Land verkauft und den Leichnam umbetten lassen. Die Familie, die ihr Heim von Bulldozern umzingelt sah. „Wenn ihr jetzt nicht verkauft, bekommt ihr nichts mehr“, hieß es, und man begann, die bereits verlassenen Nachbarhäuser abzureißen. Familien entzweiten sich im Streit um Bleiben oder Gehen. Verkaufsbereite Bauern fanden sich ratlos in einer Großstadtwohnung wieder. Wovon sollten sie dort leben?

Mutige lokale Initiative: Alburnus Maior

„Seit 15 Jahren leben diese Menschen täglich mit diesem Druck“, verdeutlich Ştefan Bâlici. Weil die lokalen Behördenvertreter – auch die der Nachbargemeinden – längst von RMGC gekauft seien, weil sich all die Jahre niemand jemals für die Belange der etwa 2000 hartnäckig ums Bleiben Kämpfenden einsetzte, haben sie sich in der Vereinigung Alburnus Maior (www.rosiamontana.org) zusammengeschlossen. Der Kuhbauer Eugen David, mittlerweile versiert im Umgang mit der Öffentlichkeit, organisiert all ihre Aktionen. „Viele Prozesse haben sie bereits gegen den rumänischen Staat gewonnen“, bemerkt Bâlici anerkennend.

Auch zur Demonstration in Bukarest war der entschlossene Widerständler mit seiner Tochter angereist. „Ich schenke euch zwei Hektar Land“, hatte der Bauer mit dem Strohhut die Demonstranten überrascht, und sie symbolisch aufgefordert, nun für ihren eigenen Grund in Roşia Montană zu kämpfen...