Blick zurück auf ein Jahrhundert

100 Jahre seit Gründung der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien

Stadtpfarrer Dr. Daniel Zikeli hielt den Festvortrag über die evangelischen Gemeinden des Altreichs. Foto: Vlad Năstase

Die Veranstaltungsreihe „Gesichter-Grenzen-Geschwister“ zum Gründungsjubiläum der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien wurde mit der „Gesichter“ betitelten Ausstellung am Samstag, dem 10. November, in Bukarest eröffnet.
Auf einer vorausgehenden Pressekonferenz äußerte sich der Bischof der Evangelischen Landeskirche, Reinhart Guib, zur wichtigen Rolle, welche die evangelische Kirche durch die Erhaltung des rumäniendeutschen Erbes, durch die Gemeindefürsorge und die Stellungnahmen in wichtigen gesellschaftlichen Fragen spielt. Zu der Ausstellung sagte der Bischof: „Wir möchten unseren Glauben, unsere Liebe und Hoffnung durch die Antlitze derjenigen Menschen, die die Geschichte der vergangenen einhundert Jahre stark geprägt haben, neu gestalten“. Er wies auf die Erklärung des Nationalrats der Siebenbürger Sachsen vom 8. Januar 1919 in Mediasch hin, der dem rumänischen Volk zur Erfüllung seiner nationalen Ideale gratulierte und der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien zustimmte. Der Bischof betonte auch, wie wichtig die Freiheit und Demokratie für diese Erklärung gewesen seien, die in Siebenbürgen jahrhundertelange Tradition genießen. Die Gründung Großrumäniens bedeutete nach 1918 die Ausdehnung der Zuständigkeit der evangelischen Kirche in Siebenbürgen auch für die evangelischen Gemeinden im Banat, im Altreich, in der Dobrudscha, der Moldau und Bessarabien.

Dr. Stefan Cosoroabă begrüßte bei der Veranstaltung in der Bukarester Kirche Gäste wie Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums Östliches Europa, Potsdam, den deutschen Botschafter Cord Meier-Klodt, Mitglieder des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und der Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, den Großprior Dan Vasiliu, Träger des Großkreuzes des Templerordens in Rumänien, u. a. Unter anderem wurde festgestellt, dass bei dem 100-Jahre-Fest der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, das mit dem Jubiläum der Gründung Großrumäniens zusammenfällt, aus kirchlicher Sicht eigentlich der Beitritt der Gemeinden des Altreichs zur siebenbürgischen evangelischen Landeskirche und nicht das umgekehrte geopolitische Ereignis, nämlich die Vereinigung Siebenbürgens mit dem Altreich, gefeiert wird.
Die Veranstaltungsreihe „Gesichter-Grenzen-Geschwister“ wird ihren Weg durch Europa von 2018 bis 2021 fortsetzen. Mehrere Angaben dazu und das Programm sind unter www.ekr-gesichter.eu zu finden.

Den Festvortrag hielt der Bukarester Stadtpfarrer Dr. Daniel Zikeli zum Thema „Die evangelischen Gemeinden des rumänischen Altreichs: Von dem Synodalverband der evangelischen Gemeinden an der unteren Donau zu der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien“. Die Idee einer einheitlichen Evangelischen Kirche im Altreich keimte schon 1860 auf der ersten Pfarrkonferenz, die in Galatz stattfand, auf. 1907 wurde der Synodalverband gegründet, der zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls, zur gegenseitigen Beratung, Hilfe und Vertretung der gemeinsamen Interessen beitragen sollte. Der Arbeit des Synodalverbands war der Erhalt der evangelischen Gemeinden während des Ersten Weltkriegs zu verdanken, er traf auch den Beschluss, sich der selbstständigen Evangelischen Kirche in Siebenbürgen anzuschließen. Dieser Vorgang wurde 1920 beendet, als sich auch der Evangelische Oberkirchenrat aus Berlin von den Gemeinden in Rumänien trennte und erst 2017, anlässlich des evangelischen Kirchentags, durch den Abschluss eines Partnerschaftsvertrags die Kirchengemeinschaft wieder aufgenommen hat.

In der Zwischenkriegszeit erfuhr die neu gegründete Evangelische Kirche A.B. in Rumänien ihre Blütezeit, die sich gleich nach dem Verlust Bessarabiens und der Bukowina, als die Anzahl der Gemeindemitglieder stark schrumpfte, in eine Krise verwandelte. Unter dem kommunistischen Regime erlebte die evangelische Kirche neben dem Verlust zahlreicher Mitglieder die Konfiszierung von kirchlichem Eigentum, die Auflösung der deutschen konfessionellen Schulen und sogar den Abriss ihrer Kirchen in Jassy/Iași und Konstanza/Constanța. Dr. Zikeli beschloss seinen Vortrag mit der traurigen Bemerkung, dass die Arbeit in und mit den Altreichgemeinden immer von der Bewältigung neuer Aufgaben, von Unsicherheiten und Personalmangel, Verzweiflung, Enttäuschung und Überforderung geprägt geblieben sei. Doch die Worte des Dechants Honigberger, die er gleich darauf zitierte, mögen die Hoffnung wiederbeleben, denn „wir kämpfen für Gottes Sache und darum steht Gott gewiss auf unserer Seite: Ist aber Gott für uns, wer mag wider uns sein!“.

Das Event wurde mit einem Podiumsgespräch zum Thema „Der Weg der evangelischen Gemeinden in der Neuordnung Europas“ fortgesetzt. Daran beteiligten sich die Ehrengäste Bischof Dr. Pál Lackner (Budapest), Prof. Dr. Karl Schwarz (Wien) und Prof. Dr. Wilhelm Hüffmeier (Berlin) sowie Bischof Reinhart Guib (Hermannstadt) als Sprecher und Pfarrer Andrei Pinte leistete die Moderation. Es wurden Antworten gesucht auf Fragen zur Bedeutung der 1919 neu angeschlossenen evangelischen Gemeinden an die Kirche Siebenbürgens; zu den Folgen des Zerfalls Österreich-Ungarns für die evangelische Kirche in Österreich; zum Verhältnis der verbliebenen Evangelischen Kirche in Ungarn mit deren selbstständig gewordener Verzweigung, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien. Dargestellt wurden auch die Erlebnisse und Eindrücke eines Studenten der Theologiefakultät in Berlin, nachdem durch den Aufbau der Mauer der Zugang zu Gebäuden der Fakultät gesperrt war und sich eine neue Fakultät konstituieren musste. Während in Rumänien nach 1918 ein Zuwachs der evangelischen Gesamtgemeinde beobachtet werden konnte, gab es unterschiedliche Situationen in Ungarn, Österreich und Deutschland, in denen es eher der Fall einer Spaltung der Gemeinden war.

Am Abend bot Vlad N˛stase, Organist und Kantor an der evangelischen Kirche in Bukarest, ein ausgezeichnetes Orgelkonzert dar. Das abwechslungsreiche Programm enthielt sowohl kirchliche als auch weltliche Musik von Johann Pachelbel, Dietrich Buxtehude, Pablo Bruna, Alessandro Scarlatti und nicht zuletzt eine neue Komposition von Klaus Dieter Untch, dem siebenbürgischen Organisten aus Zeiden/Codlea, der auch anwesend war.
Am Sonntag, dem 11. November, dem Gedenktag des Waffenstillstands im Ersten Weltkrieg, gab es nach dem zweisprachigen Festgottesdienst einen Moment stillen Gedenkens an die Kriegsopfer. Darauf folgte die Besichtigung der in der Kirche eingerichteten Ausstellung „Gesichter“, die bezeichnende Persönlichkeiten vorstellt, welche die evangelischen Gemeinden außerhalb Deutschlands geprägt haben, und zwar jene aus Österreich, Slowenien, Schlesien, Tschechien, Ungarn, Italien, der Slowakei, Bessarabien, der Bukowina, dem Banat, Siebenbürgen und dem Altreich.

Im Anschluss daran wurden zwei Neuauflagen von Büchern, geschrieben von Hans Petri, einem norddeutschen evangelischen Pfarrer, der lange Jahr Stadtpfarrer in Bukarest war, präsentiert. Hans Petri hat sich der Erforschung der evangelischen Gemeinden in Bukarest und in der Dobrudscha hingegeben. Bei der Vorstellung der Monografien „Geschichte der Gemeinde zu Bukarest von den Anfängen bis 1938“ und „Geschichte der deutschen Siedlungen in der Dobrudscha. Hundert Jahre deutschen Lebens am Schwarzen Meer“ hat sein Enkelsohn Udo Acker noch manche interessante Einzelheiten über seinen Großvater erzählt.
Die Jubiläumsveranstaltung endete mit der Vorführung eines von der deutschen Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVR1 gedrehten Kurzfilms über die Bukarester evangelische Gemeinde und Kirche aus der Reihe „Deutsche Spuren in Bukarest“.