Blutsauger

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Niemand lässt sich gerne von Mücken stechen. Doch Hand aufs Herz: Die juckenden Quaddeln oder das bisschen Blutverlust sind nicht wirklich das Problem. Was einen zum Wahnsinn treibt, ist der Gesang! Leise tönt es ans Ohr: „Zzzzzüüü“ – und das Nervensystem gerät in Alarmbereitschaft. Wo ist das Biest? Trotz angestrengten Umguckens mit weit aufgerissenen Augen einfach nicht auszumachen. Da! – Huschte da nicht eben ein Schatten durch die Luft? Klatsch! – Daneben. Verharren in atemloser Starre. Zwei Minuten, drei. Nichts. Paradiesische Ruhe. Ist der Blutsauger weg? Na, dann kann ich mich ja wieder meiner Tätigkeit zuwenden...
„Zzzzzüüü!“ geht es da augenblicklich wieder los, nun direkt an meiner Lauschmuschel! Patsch, eine Selbstohrfeige. An meiner Wange klebt kein Blut, stelle ich enttäuscht fest – dafür eine dicke Quaddel am Hals. Hinterlistiges Mistvieh! Natürlich längst weg.

Leider haben Mücken nicht die Angewohnheit, sich beim ersten Biss gleich zu sättigen. Nein, sie verspeisen einen häppchenweise. Genussvoll – und musikbegleitet. Diese nervt vor allem nachts, wenn man die Wahl hat: Entweder unterm Laken schwitzend die ganze Nacht wachliegen oder den Kopf an die Luft strecken, erschöpft einnicken und alle naslang wegen des ewigen „Zzzzüüü“ hochschrecken. Was trotzdem nicht verhindert, dass man morgens ein Gesicht wie einen Hefekuchen zuschminken darf. Interessanterweise passiert dies auch dann, wenn der Göttergatte völlig aufgedeckt neben einem liegt – im Tiefschlaf schutzlos ausgeliefert ein Nahrungsangebot wie ein offenes Buffet: fleischige Beine, saftiger Bauch, zarter Hals... Doch wenn die Beute nicht zuckt, reizt sie den Jäger wohl nicht.
Interessant ist, dass Mücken ihr Opfer zielsicher auch im Dunkeln finden. Sie orientieren sich dabei an ausgeatmetem Kohlendioxid und Buttersäure im Schweiß, werden aber auch durch liebliche Düfte wie Deo und Parfüm angezogen. Auch Wärme spielt bei der Orientierung eine Rolle. Am besten mundet Mücken übrigens nicht süßes Blut, sondern fettes: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen mit hohem Cholesterinspiegel bevorzugt gestochen werden, Diabetiker hingegen nicht. Auch Knoblauch im Blut spielt erst bei extrem hohen Konzentrationen eine Rolle. Die Zusammensetzung des Blutes vermittelt den Vampirinsekten wiederum der Körpergeruch. Gerüche, die Mücken abstoßen – etwa Gewürznelke, Melisse oder Zitrone – überlagern diese lebenswichtigen Informationen nur schwach und haben daher begrenzte Wirkung.

Tagsüber lockt auch die Farbe der Kleidung stechwillige Mücken an. Je heller der Stoff, desto unsichtbarer ist der darunter versteckte Mensch. Gelb können sie kaum wahrnehmen, deshalb versprechen gelbe Kleidung und Lampen mit gelbem Licht einigermaßen Schutz. Was das lästige und für die Mücke gefährliche Summen betrifft – sie kann es gar nicht abstellen! Es entsteht nämlich ganz automatisch beim Flügelschlag. Männchen summen höher, mit einer Frequenz von 600 Hertz, Weibchen nur auf 550 Hertz, weil sie langsamer flattern. Die Differenz hilft ihnen bei der gegenseitigen Erkennung zur Fortpflanzung. Mit anderen Worten: Mückenmännchen finden den für uns so nervigen Gesang unwiderstehlich sexy! Geräte, die Mücken auf der Basis solcher Schwingung anlocken und damit vom Opfer ablenken sollen, sind hingegen völlig wirkungslos. Denn stechfreudig sind nur die befruchteten Weibchen, weil sie eine eiweißreiche Blutmahlzeit für die Reifung der Eier benötigen – diese aber haben kein Interesse mehr an „Kerlen“. Unbefruchtete weibliche Mücken und ihre Männchen ernähren sich friedlich vegetarisch, von Nektar und Pflanzensäften. Will man den Fortpflanzungszyklus der Mücken in der eigenen Umgebung unterbrechen, hilft es, Wassergefäße nach jedem Regen zu leeren und keinen Müll herumliegen zu lassen, denn auch darin bilden sich für die Brut geeignete Pfützchen.

Hochinteressant ist es, eine Mückenlarve unter dem Mikroskop zu betrachten: Ihr schlauchförmiges Herz sieht man im transparenten Körper schlagen – noch eindrucksvoller unter polarisiertem Licht (zwischen zwei um 90 Grad verdrehten Polarisationsfiltern), wo es dann hell aus dem dunklen Hintergrund herausleuchtet. Larven findet man in Pfützen und Tümpeln, wo sie an einem Schnorchel unter der Wasseroberfläche hängen. Ach ja, wozu Mücken überhaupt gut sein sollen – oder warum Noah die beiden Exemplare, die auf seiner Arche vorstellig wurden, nicht gleich erschlagen hat? Auch hierauf gibt es eine Antwort: In der Tundra üben Mücken eine wichtige Naturschutzfunktion aus, weil sie in riesigen Schwärmen Rentiere vertreiben, die dann in gebirgige Gegenden ausweichen und die Ebene vor Überweidung bewahren. So ist der lästige Blutsauger manchmal doch ein ganz interessanter Teil der Natur. Findet man, zumindest bis zum nächsten „Zzzzüüü“...  
Klatsch!
Na endlich.