Chronik eines Konflikts

Rumänische Bauarbeiter bei der Mall of Berlin

Johnny Hellquist erklärt die Position der FAU bei der Protestaktion in der Prinzessinenstraße

Rechtsanwalt Sebastian Kunz reicht die sieben Anklagen ein.

Bei der Protestaktion in der Prinzessinenstraße hat niemand gewusst, dass die Firma Metatec-Fundus längst umgezogen ist.
Fotos: Aida Ivan

Kühle herrscht am Vormittag in Berlin. Es ist Mitte März, als drei Männer zur U-Bahn-Haltestelle eilen. Sie gehen die Genthiner Straße entlang. Der Schatten des großen Gebäudes auf der linken Seite folgt ihnen beharrlich. Bei der Kreuzung vor einer roten gotischen Kirche halten sie kurz an: Dolmetscher Theodor Costea erklärt Ovidiu Mândrilă und Elvis Iancu, wie es weitergehen soll. Der nächste Treffpunkt: „Die Straße der Prinzessinen“, sagt Mândrilă. 

Die drei befinden sich auf dem Rückweg vom Arbeitsgericht, wo Ovidiu Mândrilă, Elvis Iancu und weitere fünf Rumänen ihren Lohn eingeklagt haben. Versprochen worden war ihnen ein Stundenlohn von fünf Euro für ihre Arbeit an der Baustelle zur Mall of Berlin. Diese Summe sei nicht vollständig bezahlt worden. „Theo, was weißt du über den Mindestlohn, wurde er hier eingeführt?“ Der junge Mann mit Brille gibt eine positive Antwort. „Und wieviel ist das?“ kommt als nächste Frage. „8,5 Euro pro Stunde für Festangestellte“, erwidert Costea.

Seit der Eröffnung der Mall voriges Jahr haben die Rumänen mehrere Demonstrationen in Berlin organisiert. Inzwischen wurden sie Mitglieder der Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union (FAU), die sie bis heute unterstützt.

Geschichte einer Anklage

Ein paar Minuten früher: Vor dem Arbeitsgericht in Berlin steht eine Handvoll Leute, die mit einem Mann im Anzug kreuz und quer durcheinander kommunizieren. Es ist ihr Rechtsanwalt Sebastian Kunz. Kunz spricht nur Deutsch, seine Mandanten nur Rumänisch. Nichts geht ohne den Dolmetscher.
Etwas abseits steht Ovidiu Mândrilă aus Bacău. Er ist schlank und unter seiner blauen Kappe beißt er sich auf die Lippen. Besonders gesprächig ist er nicht. Mândrilă habe auf der Baustelle der Mall of Berlin ab April 2014 gearbeitet. Diese Stelle habe ihm ein Moldauer angeboten, der ihm einen Arbeitsvertrag für die nächsten zwei-drei Jahre versprochen habe.

Mândrilă sei in den ersten Monaten alle zwei Wochen mit kleinen Verspätungen bezahlt worden. Als er im September schließlich gar keinen Lohn mehr bekam, ging er nicht mehr zur Arbeit. Er erzählt, es hätte noch wesentlich mehr Arbeiter gegeben, die ihren Lohn nicht bekommen und den gewünschten Arbeitsvertrag nie gesehen haben. Als sie nach den Protesten eine kleine Summe Geld ausbezahlt bekamen, seien die meisten nach Hause gefahren, denn es reichte gerade mal für die Fahrt. Jetzt sucht er hier eine andere Arbeitsstelle. Ob er sein  Geld noch bekommen wird? Er kann nur hoffen.

„Die Arbeiter haben angefangen, teilweise im Juli für die beklagte Firma zu arbeiten, teilweise später“, erklärt Sebastian Kunz. „Die versprochenen Löhne wurden nicht ausbezahlt, sie lagen außerdem unter dem Mindestlohn“, fügt er hinzu. Insgesamt geht es um 30.000 Euro. Welche  Chancen haben die Leute noch, ihr Geld zu bekommen? „Es ist schwer einzuschätzen, weil wir keine schriftlichen Dokumente als Beweismittel haben, nur die Möglichkeit des Zeugnisbeweises und ein paar Indizien. Es gibt auch ein paar Fotos“, erklärt der Rechtsanwalt.

„Wir wussten, etwas ist nicht in Ordnung“

Der 45-jährige Elvis Iancu kam für diesen Job aus Constanţa. Ein Bekannter hatte ihm gesagt, es gebe  einen festen Arbeitsplatz mit Vertrag und Unterkunft. Um auf der Baustelle der Mall zu arbeiten, kam er im Juli ins Land. Doch erst nach drei Wochen sei ihm eine stabile Unterkunft angeboten worden. „Am Anfang wussten wir nichts. Wir haben eine Weile im Auto geschlafen, auf einem Parkplatz. Als wir diese Unterkunft bekommen haben, schien es uns wie Luxus, dass wir endlich duschen konnten“, sagt Elvis.

Die Zweizimmerwohnung, in der ungefähr 16 Leute unterbracht waren, kostete insgesamt 1800  Euro im Monat. „Dann haben sie uns gesagt, dass wir 150 Euro für die Anmeldung bezahlen müssen. Wir hatten wirklich kein Geld. So hatten sie einen Vorwand, die Herstellung von offiziellen Papieren zu verschieben“, erklärt Iancu. Den Arbeitern wurde eröffnet, sie sollen eine weitere Gebühr in Höhe von 130 Euro für die Anmeldung eines Gewerbes bezahlen. Die Anmeldung beim Einwohnermeldeamt ist in Wirklichkeit kostenlos - und die Gebühr für die Gewerbeanmeldung beträgt 26 Euro.

Die Situation der Arbeiter habe sich von Tag zu Tag verschlechtert. Die Löhne kamen immer später -  ein paar Tage später am Anfang, eine Woche danach, allmählich wurden es zwei. Dann gar nicht mehr. Dennoch wurden sie ständig vertröstet, das Geld noch zu bekommen, trotz Verspätung. Da die Mall rechtzeitig eröffnet werden musste, wurden auch Überstunden verlangt. Für diese wurden sie bezahlt. Erst als die Leute den Lohn seit drei-vier Wochen nicht bekommen hatten, wurde es ernst: „Wir hatten alles rechtzeitig fertigbekommen, die anderen verpackten die Bürocontainer und gingen weg. Da wussten wir, etwas ist nicht in Ordnung. Wir müssen Maßnahmen treffen“, erkannte Iancu, der die Protestaktionen bei der Mall of Berlin Ende August am Leipziger Platz initiiert hatte.

Aus der Wohnung seien die Leute rausgeschmissen worden, weil sie kein Geld für die Miete hatten. „Ich hätte auch darauf verzichten können. Ich habe unter dem freien Himmel auf der Baustelle geschlafen. Vor den Büros haben wir ein paar Platten ausgelegt und jeder hatte eine Decke dabei, so haben wir eine kleine Unterkunft improvisiert“, erinnert sich der Mann. „Es gab noch zu tun, aber wir wollten nicht mehr arbeiten. Da wir das Geld nicht mehr bekommen haben, haben wir protestiert“, so Iancu. Irgendwann erhielten sie dann doch noch jeder 300 Euro. Doch das Vertrauen war erschöpft. Viele sind nach Hause zurückgekehrt. Andere sind geblieben, schliefen auf der Baustelle in einem Bau-Container.

Protestaktion Ende März

„Mall of Shame: Bezahlt die Arbeiter! Gegen die Ausbeutung migrantischer ArbeiterInnen“ - Es ist ein riesiges blaues Banner, fast so hoch wie ein Mensch. An einem Nachmittag Ende März wird eine neue Kundgebung organisiert. Die Demonstration ist klein: Heute sind nur wenige Leute gekommen, denn die meisten konnten es sich nicht leisten, in Berlin zu bleiben und weiter auf den Lohn zu warten. Dieselben Arbeiter haben sich vor einem anderen Gebäude versammelt, diesmal in der Prinzessinenstraße. Ein halbes Jahr nach der Eröffnung des Einkaufzentrums haben sie immer noch kein Geld gesehen. Ihre Lohnforderungen machen sie gegenüber dem Subunternehmen Metatec-Fundus GmbH geltend.

An der Seite der Bauarbeitern haben sich auch Vertreter der Gewerkschaft FAU eingefunden.  Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel, als Johnny Hellquists Stimme durch das Megafon erklingt: „Die Ausbeutung muss ein Ende haben: Die FAU Berlin setzt die gewerkschaftlichen Proteste auch 2015 fort und unterstützt die Kollegen dabei, nun auch vor dem Arbeitsgericht Berlin zunächst Klage gegen die Subunternehmen zu erheben.“ Johnny Hellquist und Tinet Erganzina von FAU erzählen anschließend, wo frühere Protestaktionen organisiert wurden. Die Situation bei der Mall of Berlin sei auch kein Einzelfall: „Es kommt auf ganz vielen Baustellen in ganz Deutschland vor“, sagt Erganzina. Im Nachhinein erfahren die Demonstranten: Die Firma hat den Sitz in der Prinzessinenstraße längst aufgegeben.  

Kein Ende abzusehen

Das entmutigt die beharrlichen Rumänen dennoch nicht: Eine neue Kundgebung wird für Ende April organisiert. „Es gab Zwei-Dreihundert Menschen – weniger als ich erwartet habe. Es ist zu lange her, vielleicht haben die Menschen diesen Fall vergessen“, kommentiert Iancu. In den sieben Klageverfahren haben inzwischen Termine für eine Einigung zur Güte stattgefunden, erklärt der Rechtsanwalt Sebastian Kunz. Die Angeklagten waren an den meisten Treffen nicht anwesend. An den anderen Terminen habe sich ein Anwalt beteiligt, der „kaum Angaben zur Sache machte und rundheraus das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses bestritt“, so Kunz.

Der Prozess wurde für manche auf Juni, für andere auf September verschoben. Von dem Unternehmen gebe es kein Zeichen, so Iancu. Er pendelt jetzt zwischen Deutschland und Rumänien, nimmt an Veranstaltungen rumänischer und deutscher Gewerkschaften teil. In Bukarest macht man sich Gedanken darüber, wie solche Situationen vermieden werden können. Innerhalb von FAU wird diskutiert, wie der Kampf nun weitergehen soll.