Das gelbe U-Boot, das Schwarze Meer und die weiße Möwe

Wen wundert’s, dass zu meinen absoluten Lieblinggsongs als Student „Yellow Submarine“ und „Octopus’s Garden“ gehörten. Die hatten die Beatles in den 60ern wohl extra für mich komponiert, ich liebte diese Songs nicht bloß als Beatles-Fan, sondern auch als Schwimmer, denn beide spielten sich ja wohl im Meer ab. Dass beide von Ringo Starr gesungen wurden, führte dazu, dass ich mich 1969 mit 19 plötzlich nicht mehr wie bisher John wie Lennon nannte, sondern nur noch Ringo wie Starr. Ringo war aber nicht bloß wegen seines Gesangs zu meinem Idol geworden, sondern auch aufgrund seiner cleveren Einfälle. Auf die Frage, wieso er auf jedem Finger ein bis drei Ringe trüge, entgegnete er einleuchtend, dies würde ihn daran hindern, sich die Finger in die Nase zu stecken. Dieses Statement machte ihn zu meinem großen Vorbild, denn er verstand es offenbar vorzüglich, sich glasklare, erstrebenswerte Lebensziele zu setzen, und außerdem wusste er auch, sie zu erreichen, und zwar im Handumdrehen.

Und überhaupt die Beatles: Paul, John, George und Ringo stellten Marx, Engels, Lenin & Co in einen undurchdringlichen Schatten, und selbst Gott hatte angesichts der Fabulous Four nichts zu lachen. Hatte Lennon nicht bereits in den 60ern unwiderruflich festgestellt, er und seine Kumpel seien populärer als Jesus?
Es heißt übrigens, Lennon habe sich bei der Aufnahme von „Yellow Submarine“ in den Abbey Road Studios in London eines mit Wasser gefüllten Glases bedient, in das er mit einem Strohhalm hineinpustete, um das Geräusch der aufsteigenden Luftblasen beim Untertauchen des U-Bootes zu imitieren. Meine Überzeugung: In Wirklichkeit war in diesem Glas gar kein Wasser, denn John trank zu dieser Zeit nur Gin, Wodka oder Whiskey. Aber egal, was für ein Drink sich in diesem Glas befand, er war bestimmt grün, da das Meer, in dem das gelbe U-Boot umherschiffte auch grün war, wie die Millionen von Dollarscheinen, die der Song im Nu einspielte.

Das erste Meer, das ich zu Gesicht bekam, war blau, obgleich es Schwarzes Meer hieß. Ich fuhr mit dem Zug, aus Reschitza kommend, nach Konstanza, und auf einmal war es da: Es glitzerte und funkelte blau-weiß in der Sonne, und ich war ganz von Sinnen, denn ich hatte noch nie soviel Blau und ein so intensiv-paradiesisches Licht gesehen. Aber plötzlich hatte ich ein Déjà-vu-Erlebnis und dann wusste ich auch wieso, denn es duftete wohltuend nach Algen, Meersalz und einer magischen Brise, also nach einem mir bereits wohlbekannten westlichen Deo. Bei uns in Reschitza bekam man es lediglich unter der Theke, durch Beziehungen, und dann höchstens eins davon, hier aber gab es diesen Duft in Strömen, für jeden, der ihn einatmen wollte, und zwar gratis und ohne dafür Schlange stehen zu müssen. Und als ich dann auch noch die Möwen erblickte, wie sie spitze Schreie ausstoßend anmutig umhersegelten, konnte ich nicht mehr an mich halten. Ganz außer mir vor Begeisterung riss ich das Zugabteilfenster auf, streckte meinen Kopf ins Freie und rief Christian Morgensterns Gedicht „Möwenlied“ glückselig in die Ferne:

„Die Möwen sehen alle aus
als ob sie Emma hießen.
Sie tragen einen weißen Flaus
und sind mit Schrot zu schießen.

Ich schieße keine Möwe tot,
ich lass sie lieber leben -
und füttre sie mit Roggenbrot
und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei
der Möwe Flug erreichen.
Wofern du Emma heißest, sei
zufrieden, ihr zu gleichen.“

Bereits eine Stunde später quartierte ich mich bei einem Bauer im Feriendorf Costineşti ein, zog meine Badehose an und ging ins Meer schwimmen.