Das Land der Diebe

Von den Wächtern, ihren Rechten und dem Kunden, der König ist

Stehlen kann man vieles: Jemandes Herz, die Gedanken eines anderen und schließlich – am banalsten – irgendeinen Gegenstand. Bereits um 1500 vor unserer Zeitrechnung erklärt das ägyptische Totenbuch, wie ein Verstorbener sich vor dem Gerichtsvorsitzenden und seinen 42 Beisitzern im Jenseits zu rechtfertigen hat. Das sogenannte „negative Sündenbekenntnis“ schließt auch die Aussage „ich habe nicht gestohlen“ ein. Die besser bekannten „aseret ha-dibberot“ (die zehn Worte), die zehn Gebote, erklären in beiden Fassungen Diebstahl bzw. das Stehlen als verboten. Für den Sachdiebstahl sind im Alten Testament Ersatz- und Bußleistungen festgelegt. Der Koran ist da viel drastischer: Diebstahl ist haram (verboten) und die Strafe dafür ist das Abhacken der rechten Hand. Selbstverständlich sieht auch das moderne Recht im Diebstahl eine „gegen fremdes Eigentum gerichtete Straftat“, welche entsprechend geahndet werden muss.

Nun, warum erzähle ich das Ganze? Weil ich vor Kurzem meinen täglichen Einkauf in einem Geschäft einer österreichischen Warenhauskette in Hermannstadt/Sibiu erledigt habe. Wahrscheinlich ist der Zusammenhang für Sie nicht auf den ersten Blick erkennbar. Lassen Sie mich kurz erklären. Das besagte Geschäft befindet sich in unmittelbarer Nähe meines Hauses und dementsprechend besuche ich es sehr oft. Dieses Mal jedoch machte ich den Fehler, mit meinem Rucksack hineinzugehen. Sofort wurde ich von einem Wächter angesprochen, der verlangte, dass ich den Rucksack in einem der Schließfächer deponiere, weil ich die anderen Kunden mit diesem sonst stören könnte. Da in meiner Brieftasche kein Kleingeld vorhanden, das Geschäft beinahe leer war und ich an diesem Tag besonders widerspenstig aufgelegt war, weigerte ich mich, der Aufforderung Folge zu leisten. „Dann werden wir den Rucksack beim Hinausgehen durchsuchen“, bekam ich zu hören.

Unglücklicherweise für den Wächter bekam er dieses Mal den Falschen in die Finger. Bereits vor einer Weile, von der Frechheit und der Willkür der „special agents“ in fast jedem Geschäft in Rumänien angewidert, habe ich die Rechte der Wächter genauer unter die Lupe genommen. Und war überrascht, was sich der Normalverbraucher aufgrund seines Unwissens gefallen lässt. Die Internetforen sind voll von haarsträubenden Erzählungen über die Begegnungen der ehrlichen, gesetzestreuen Bürgerinnen und Bürger mit machtbesessenen Wächtern in verschiedenen Einkaufszentren. Insbesondere leidet das „schwache Geschlecht“ unter deren Willkür.

Um sich gegen die Übergriffe der Wächter zu schützen, muss man kein Anwalt sein. Es reicht, wenn man mit dem Wissen über zwei Gesetze und die Strafprozessordnung (codul de procedură penală) bewaffnet ist. Das Gesetz 333/2003 „Über den Schutz von Objekten, Gütern, Wertgegenständen und Personenschutz“ regelt u. a. auch die Rechte und Pflichten der privaten Wachunternehmen und –Männer/Frauen. Zu den Pflichten der Wächter gehört: „Aufhalten und Ausweisen von Personen, über die es Beweise gibt oder Verdacht besteht, dass sie Verbrechen oder andere illegale Handlungen in dem zu bewachenden Objekt begangen oder gegen die internen Regeln und Verordnungen verstoßen haben; im Fall von eklatanten Verstößen den Täter aufzuhalten und der Polizei zu übergeben“ (Artikel 48, d). Und das ist eigentlich alles, was ein Ottonormalverbraucher zu wissen hat. Mit keinem Wort erwähnt das Gesetz eine Leibesvisitation oder nur eine Kontrolle des Handgepäcks. Dafür sind entsprechend der Strafprozessordnung (StPO) nur die Polizeibeamten zuständig. Artikel 106 der rumänischen StPO stellt klar und deutlich die Zuständigkeit einer Justizbehörde (organ judiciar) beziehungsweise einer von dieser dafür designierten Person (Polizeibeamte) für die Leibesvisitation fest. Der Beamte ist dazu verpflichtet (StPO, Artikel 104, 1), sich im Voraus auszuweisen. Im Übrigen darf eine Leibesvisitation nur durch den Beamten desselben Geschlechts mit der zu untersuchenden Person durchgeführt werden.

Schließlich hat die Geschäfts-Security kein Recht, das Gepäck zu durchsuchen. Dies ist wiederum ausschließlich den Polizeibeamten vorbehalten, wie das Polizeigesetz 218/2002 festlegt. Bei der Durchführung seiner Aufgaben im Rahmen des Gesetzes wird der Polizeibeamte mit der Ausübung öffentlicher Gewalt beauftragt und hat folgende Rechte und Pflichten: „Rechtmäßige Ausübung von Durchsuchungen der Personen und des Gepäcks sowie der Fahrzeuge, wenn es solide Hinweise auf ein Verbrechen oder einen möglichen terroristischen Akt gibt“ (Artikel 31, f).
Vergessen Sie nie, dass jeder Wächter eine Privatperson ist, genau wie Sie, und folglich dieselben Rechte und Pflichten im Verhalten gegenüber den anderen Bürgern hat.

Das Zuwiderhandeln gegen die Verpflichtungen, welche im Gesetz 333/2003 verankert sind, stellt die Verletzung desselbigen dar und wird geahndet (Artikel 60, e) – bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung (Artikel 57). Keinem wird es in den Sinn kommen, einen Fremden in der eigenen Tasche wühlen zu lassen. Warum dann erlaubt man es einem Wächter? Denn, und das sollte man auch nicht vergessen, die Tasche und ihr Inhalt stellen Ihr Privateigentum dar. Der Wächter kann also nur hoffen, dass Sie ihm gegenüber freundlich gesinnt sind und einen Einblick in die Tasche oder den Rucksack gewähren. Sie müssen es aber nicht tun.

Werden Sie von einem „Schrank“ in Uniform angehalten und aufgefordert, die Taschen zu zeigen oder, schlimmer noch, findet ein Versuch statt, Sie einer Leibesvisitation zu unterziehen, denken Sie nicht lange nach und wählen 112. Vorausgesetzt natürlich, Sie haben keine Schuld auf sich geladen. Lassen Sie sich nicht durch das gefährliche Aussehen der Wächter oder den Hinweis auf die „internen Regelungen“ einschüchtern. Die Ersten wollen im Normalfall keine Schwierigkeiten mit dem Gesetz und die Letzteren stehen nicht über den Gesetzen des Landes.

Der rumänische Verbraucherschutz empfiehlt sogar eine Klage bei der Polizei gegen die Wächter einzureichen, wenn diese ihre Rechte überschreiten. Selbstverständlich ist auch eine Beschwerde bei der Geschäftsleitung einzureichen.
Dieselben Gesetzesauszüge, nur etwas kürzer und aufgeregter, teilte ich dem Wächter im Geschäft mit und stolzierte mit meinem Rucksack davon. An der Kasse angekommen, hatte ich sicherheitshalber das Handy in der Hand, jederzeit bereit, die Polizei zu rufen. Es war jedoch nicht nötig. Eigentlich sind die Wächter dazu da, um das Eigentum des Unternehmens zu bewachen und nicht die Däumchen vor dem Ausgang zu drehen. Meinen Rucksack wird auf jeden Fall kein Wächter je durchsuchen können. Und jeder ehrliche Bürger dieses Landes sollte genau so handeln, wenn er es satt ist, in jedem Geschäft als potenzieller Dieb und nicht als Kunde, der bekanntlich König ist, angesehen zu werden.