„Das Thema habe ich einfach geliebt“

Porträt einer ambitionierten Schülerin und jungen Philosophin

Anfang April 2015 gewann Ileana-Maria Vodă, Schülerin des deutschen Goethe Kollegs in Bukarest den ersten Platz in der landesweiten Phase der muttersprachlichen Deutscholympiade der Klassenstufe 11. Überdies wurde – eine Seltenheit – ihr Aufsatz mit vollen 15 Punkten bewertet. Für die ADZ Grund genug, die Schülerin vorzustellen und ihren philosophischen Essay zu veröffentlichen.

Ich verabredete mich mit Ileana und führte mit ihr ein Interview in einem kleinen Café auf der Calea Dorobanţilor. Etwas nervös – es war ihr erstes Interview – aber immer in prägnanten und klaren Worten stand sie mir Rede und Antwort. Schon auf meine erste Frage, wo sie denn so gut Deutsch zu sprechen gelernt habe, korrigierte sie mich: „Ich habe Deutsch nicht sprechen, ich habe es singen gelernt!“ Ileanas Vater hat schon im Kindergarten Deutsch gelernt und später auch etliche Jahre in Deutschland gearbeitet. So war die Sprache von Anfang an in Ileanas Leben präsent. Während im Familienalltag Rumänisch gesprochen wurde, lernte Ileana schon als kleines Kind viele deutsche Lieder von ihm, die sie mit Freude und Leidenschaft sang und immer noch singt. Im deutschsprachigen Kindergarten und durch den Unterricht im Goethe-Kolleg gelang es ihr, ihre Fähigkeiten weiter auszubauen.

Sprache und Musik, das scheinen zwei Leitmotive im Leben der Schülerin zu sein. Nicht nur, dass sie gern singt, sie spielt seit vielen Jahren Orgel, probt mehrmals pro Woche und nimmt inzwischen an Meisterkursen teil. Doch neben dem musikalischen Ausdruck nutzt sie auch die Literatur, um ihre Gedanken und Gefühle zu artikulieren: „Wenn ich schreibe, so ist es, als ob ich etwas los werde.“ Und es gibt vieles, was sie schreiben und anderen mitteilen will. Eine ihrer besten Freundinnen schenkte ihr dazu eigens ein „Gedankentagebuch“, in dem Ileana ihre Gedanken niederschreiben kann. Denn ein Publikum zu finden, zu dem man sprechen kann, sei nicht so einfach und überdies eine Herausforderung. Dafür müsse sie, so Ileana, noch stärker „die Angst vor dem Publikum überwinden“.

Gelegenheit dazu bekam Ileana-Maria in der Woche vom 6. bis 10. April in der Landesphase der Olympiade im Fach Deutsch als Muttersprache am Johann Ettinger Gymnasium in Sathmar/Satu Mare. Nach einer vielstündigen Bahnreise, die aber dank der schon bei den letzten Olympiaden geknüpften Kontakte und der vielen Gespräche schnell verging, konnte das umfangreiche Programm in Sathmar beginnen. Gemeinsam mit den anderen Finalisten und Finalistinnen nahm sie dort nicht nur am Wettbewerb, der am Mittwoch, dem 8. April stattfand, teil, sondern konnte auch das umfangreiche Rahmenprogramm miterleben. Vor allem der Besuch im Schwimmbad am Ende der anstrengenden Woche habe „allen gut getan“, so Ileana.

Die Auszeichnung in der diesjährigen Deutsch-Olympiade ist nicht die erste für die 1997 geborene Bukaresterin. Schon beim Wettbewerb der siebenten Klasse, zu der sie ihre damalige Deutschlehrerin motivierte, gewann sie den ersten Platz in der Landesphase, in den beiden Folgejahren immerhin Platz 3. Ein Schlüsselereignis war ihr – vergleichsweise – schlechtes Abschneiden in der 10. Klasse: Sie belegte Platz fünf. Ein Kommissionsmitglied habe ihr darauf hin gesagt, er sei zwar technisch sehr gut geschrieben, aber es mangele ihrem Text an Originalität und Authentizität. Ileana solle schreiben, was sie selbst denke, ohne sich zu sehr davon einschränken zu lassen, was andere vermeintlich von ihr erwarten.

2015 tat Ileana dann genau das: „Es war das erste Mal, dass ich die Normen gebrochen habe“, sagt mir die Schülerin im Gespräch. Sie meint, dass sie vorher immer gedacht habe, man erwarte eine Geschichte von ihr, eine Geschichte, die nichts mit ihr persönlich zu tun haben soll. In diesem Sinne erübrigte sich auch meine Frage, ob in ihrem Text ein lyrisches Ich oder die Autorin selbst spräche: „Ich war ich selbst. - Ich habe das Thema einfach geliebt.“ Und so schrieb Vodă in diesem Jahr eben keine Geschichte, sondern eine sehr persönliche, fast intime Reflexion: „Diesmal waren es meine Gedanken.“

Da mir beim Lesen ihres Aufsatzes an einigen Stellen Ähnlichkeiten mit bekannten Autoren aufgefallen sind, fragte ich, ob sie denn für diesen Text - oder generell - literarische Vorbilder habe, die ihr besonders wichtig sind. Sie betonte nachdrücklich, dass dieser Aufsatz tatsächlich ihre eigene Position widerspiegelt, generell aber Mihai Eminescu für sie eine wichtige Inspirationsquelle ist: „Er schreibt, was er fühlt, und er schreibt so schön, dass man in seiner Dichtung immer ein Zitat findet, das zu einem passt, oder das einem Trost spendet.“ Er hat, so scheint es, in Ileana-Maria Vodă eine gute Schülerin gefunden, die freilich die überlieferten Ideen eigenständig weiterdenkt.

Als wir auf ihre Zukunftspläne zu sprechen kommen, werde ich überrascht: Medizin will Ileana in Bukarest studieren. Medizin? „Ja, ich bin ein Mensch, der anderen helfen will, und Medizin  ist für die körperliche Hilfe sehr wichtig.“ Der Mensch bestehe aus Körper und Geist, und so wie die Medizin notwendig sei, um dem Körper zu helfen, sei Musik und Literatur wichtig, um die Seele zu heilen. Daher will sie auch ihre musikalischen Ambitionen weiter pflegen, und hofft, nach Abschluss des Medizinstudiums nach Salzburg gehen zu können und am dortigen Mozarteum zu studieren. Schon jetzt bereitet sie sich mit ihrer Orgellehrerin auf die Aufnahmeprozeduren vor.

Auch wenn Ileana-Maria Vodă keine professionelle schriftstellerische Karriere anstrebt, wird sie doch auch in Zukunft ihr „Gedankentagebuch“ mit Reflexionen und Geschichten füllen: „Klar werde ich weiter schreiben!“.


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Ich suche meinen Sinn

Von Ileana-Maria Vodă

Man stellt sich im Leben viele Fragen und das seit Ewigkeiten, könnte man glauben. Doch es gibt ein paar von ihnen, die sich jeder mit gesundem Menschenverstand in dieser Welt stellt, wie zum Beispiel:

Was ist das Leben?
Was bin ich?
oder
Wer bin ich?
Welches ist mein Schicksal?

Das ist nichts Neues, jedenfalls. Permanent nagen diese Fragen an uns, an unserem Verstand. Latent tun sie es sogar. So grübelt man in sich hinein, jedoch bekommt und findet man keine Antworten. Man lässt es also sein, sonst wird man noch verrückt, oder?

Aber ich denke dies immer. Denke ich es nicht, quäle ich mich selbst – ich spüre so ein dringendes Verlangen nach diesen Gedanken. Denke ich es doch, wird die Qual zu gleicher Zeit herrlich und unerträglich.

Was denke ich denn?

Das Leben kann man auf verschiedene Art betrachten – es kann für uns ein Spiel sein, wir setzen es manchmal dem Schicksal gleich, es kann auch ein Theaterstück sein oder eine Lektion. Wir suchen dafür Vergleiche, um es erfassen zu können. Zur gleichen Zeit will der Mensch auch den Sinn der Welt und seinen eigenen Sinn erfassen. Ich will es auch. In meinen dunklen Stunden faulenze ich in Arroganz oder in einem Gefühl, mit mir selbst zufrieden zu sein – Momente der Selbstverherrlichung. Ich betrachte mich als Absolut, als Maßstab und verehre mich. Doch ich liebe mich dabei nicht. Welch’ elender Zustand! Dann denke ich, als Absolut, dass alles meins ist, dass ich alles verdiene, dass ich in meiner eigenen Fantasiewelt glücklich bin. Kurz gefasst spüre ich, dass das Leben mir gehört, dass es mein Eigentum ist und dass es so auch richtig ist.

Es gibt aber auch Augenblicke, da erlebe ich einen wahrhaftigen seelischen Aufstand. Dinge passieren, Dinge, die ich nicht will, dann weiß ich, dass das Leben nicht mir gehört, dass mein Schicksal irgendwie bestimmt wird. Und wie ich es dann hassen kann,  mit all meiner Kraft! Ich will es nur für mich, ich denke, ich habe ein Recht dazu, alles vorher zu wissen, ich will nicht, dass jemand mich an irgendwelchen Fäden zieht, verdammt noch mal!

So schwanke ich zwischen diesen Gegensätzen. Die Fragen existieren noch, genau wie ich. Sie sind bereits ein Teil von mir. Ich denke: Wie ungerecht ist es doch, dass ich mein Schicksal nicht kennen darf! Dabei stellt sich noch die Frage, ob ich es verdient habe, es zu kennen. Vielleicht hat es einen Sinn. Ich kenne es nicht aus einem bestimmten Grund. Aber diese Einstellung beruhigt mich nicht.

Viele sagen, dass das Leben ein Spiel sei. Das Ziel ist einfach nur zu überleben, solange man es noch kann. Jemand hat die Kontrolle – „dort oben!“, wie man es so schön und voller tiefer Ignoranz sagt – und wir, die Menschen, sind die Spielfiguren, jedoch nicht die Protagonisten. So ergeben sich zwei Varianten – entweder ist alles eine Sache des Glücks (man kann an Würfelspiele denken), oder wir werden gezielt und entschlossen geleitet (wie beim Schach). Wo liegt aber der Haken? Nie kann man vorher wissen, wie das Spiel ausgeht. Es hängt vom Spieler und vom Gegner ab – klar, nicht von uns. So müsste eine noch größere Macht die Spieler, die uns im Griff haben, überwachen und alles vorher wissen. Welches wäre dann der Sinn dieser Sache? Sind die Spieler Gott und der Teufel, darf es keine noch höhere Macht geben, da Gott unser Schöpfer sein muss. Vielleicht denke ich zu religiös, aber so denke ich eben. Deshalb kann man von keinem Spiel reden; das Leben hat einen tieferen Sinn.

Leben als Theaterstück oder als Lektion klingt auch nicht ganz überzeugend – jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt, schließlich lebe ich noch und kann das Ganze nicht vollkommen erfassen.

Lasst es mich sagen, dass ich sehr wohl daran glaube, dass alles vorherbestimmt ist, jedoch ist es uns zum Zeitpunkt, wo wir uns befinden, (noch) unbekannt. Das Leben gehört dem Menschen, das Schicksal aber der Seele – damit man beide Begriffe nicht verwechselt. Dazu aber später. Ich sagte: Zum Zeitpunkt, wo wir uns befinden,  wird die Zeit in diese Reflexion gebracht. Die einzige wahre Zeit ist die Gegenwart, die Zeit der Entscheidungen, der Moment, der Augenblick. Die Vergangenheit ist bereits ein Teil von uns und die Zukunft tragen wir ebenfalls in uns, nur ist es uns nicht so klar, sie folgt nämlich – aber beide sind Teil der eigenen Existenz. Die Zeit ist aber allumfassend. Wir bekommen sie und bearbeiten sie, doch sie gehört uns nicht. Als Teil von uns ist es doch logisch, dass dieser bekannt sein möge. Nur die Gegenwart entscheidet wirklich, der Rest hat nur manche Auswirkungen auf uns.

Es stellt sich noch folgendes Problem als Teil des Gesamten: der Mensch und die Seele. Der Mensch hat ein Leben und dazu eine bestimmte Zeit. Die Seele hat aber das ganze Schicksal und die ganze Zeit. Sie ist ewig und frei. Was ist aber der Mensch? Diese ist die geeignete Frage, denn das „wer“ bestimmt jeder für sich. Hat der Mensch eine Rolle, eine bestimmte Rolle? Ja. Wie kann sie aber eine Rolle sein, wenn sie vorherbestimmt ist und wenn man sie nicht ablehnen kann? Wo bleibt die Wahl? Man kann einen Kompromiss vorschlagen – ich, als Mensch (als zukünftiger Mensch, noch wäre ich eine Seele), nehme das Leben an (als ob ich es ablehnen könnte), dafür will ich ab und zu den weiteren Verlauf vorher wissen – nicht immer, nur ab und zu. Ist alles vorbestimmt, kann man es sowieso nicht ändern, das habe ich schon verstanden, aber man kann vorbereitet sein. Man kann es nicht ändern, sich selbst kann man dafür aber ändern, um angepasst zu sein, um zu wissen; wir Menschen mögen Überraschungen nicht so wirklich.

Dies ist eigentlich nicht gerade günstig, dann fühlt man sich noch mehr wie eine Marionette. Man ist doch frustriert genug, ein Selbstbild als Marionette wäre doch das Allerletzte.

Man muss hier klarer denken, wieso man das alles vorher wissen will. Ich weiß, ich bin neugierig und das ist nun wirklich nicht ein edler Grund. Ich will es einfach wissen. Wer schert sich noch um den Sinn, es geheim zu halten? Ich will es wissen!

Keine überzeugende Motivation, oder?
Dabei sucht man nicht tief genug in sich selbst.

Ich habe folgendes erkannt:

Das Leben ist kein Spiel – so ist hier nicht und kann auch nicht die Rede von „fair“ und „unfair“ sein, Dinge passieren einfach, das „Gerechte“ empfindet jeder sowieso subjektiv. Das Leben ist einfach nur ein Traum der Seele. Ich trage also alle Zeiten in mir, ich trage die Welt in mir, ich trage das Schicksal in mir, ohne dass sie mir eigen sind, jedoch sind sie da. Wüsste ich alles, was auf mich zukommen wird, bereits, so könnte ich nicht mehr leben.

Finde ich mich selbst, finde ich meinen Sinn, so brauche ich das begrenzte Wissen nicht mehr, ich werde dann tatsächlich zum Absolut – ich bin die Seele, ich bin die Zeit, die Welt, das Schicksal, so brauche ich es gar nicht zu wissen. Ich erfahre es, indem ich es lebe. Für mich lebe. Oh, welch’ eine herrliche Art, es zu erfassen! – ohne Frustration, ohne einen seelischen Aufstand, ohne jedwelche Verneinung oder Ablehnung meines Ichs oder meiner Existenz und ohne Reue. Und sowieso – wo bleibt denn der Spaß am Leben, wenn einem sein Weg als absolut und unvermeidbar dargestellt wird? Nein, meine Lieben, ich spiele hier nicht und brauche auch kein Drehbuch!

Lasset mir meinen Frieden – ich lebe!