Das trügerische Idyll des Postkarten-Sozialismus

Temeswarer Stadtansichten von vor 1989 vermitteln eine heile Welt

Anhand von Bildern aus der Postkartensammlung des Temeswarer Historikers Thomas Mochnacs stellt der eMedia-Verlag Temeswar zur Zeit des Sozialismus vor. Im Bild die ehemalige „Electromotor“-Fabrik in der Nähe des Temeswarer Nordbahnhofs.

Ein gestiegenes Interesse für die Geschichte der Stadt Temeswar verzeichneten die jüngsten Jahre. Es gibt zahlreiche Facebook-Seiten, die sich der Temeswarer (und Banater) Vergangenheit gewidmet haben. Es gibt ein paar Bürgervereine („Heritage of Timişoara“ zum Beispiel), die das geschichtliche, architektonische und kulturelle Erbe der Stadt bewahren wollen und sich unter anderem für die Sanierung der Altstadtviertel und für eine bessere Vermarktung des touristischen Angebots in Temeswar einsetzen. Und es gibt natürlich immer wieder Beiträge in den Lokalzeitungen, im Rundfunk und verstärkt in den sozialen Medien, die meistens anhand von Fotosammlungen die bauliche Entwicklung der Stadt dokumentieren und die Gegenwart kritisch begleiten.

Es ist diesem gestiegenen Interesse für die Temeswarer Geschichte zu verdanken, dass sich nun Postkartensammler, Hobbyhistoriker, Lokaljournalisten und andere Interessierte zusammentun und für Veröffentlichungen sorgen, die den Temeswarern die Gegenwart und die Vergangenheit ihrer Stadt etwas näher zu bringen versuchen. In diese Kategorie reiht sich auch ein vor Kurzem erschienener Bildband, der mehrere Dutzend Farb- und Schwarzweißfotos beinhaltet, die in Temeswar während der kommunistischen Epoche entstanden sind. Das Album trägt den Namen „Timişoara socialistă“, die bearbeiteten Fotos stammen aus der Postkartensammlung des Temeswarer Historikers Dr. Thomas Remus Mochnacs, die Texte hat der Lokaljournalist Stefan Both verfasst, für die Veröffentlichung des Albums kam der eMedia-Verlag Emil Banciu auf.

Zwar ist das Vorhaben durchaus lobenswert und den Initiatoren kann zweifelsohne gratuliert werden, die inhaltliche Gestaltung des Bandes lässt jedoch vielseitige Kritik zu. Ein Pluspunkt ist sicherlich die Grafik, die Postkarten sind technisch einwandfrei bearbeitet worden. Zu den schwer wiegenden Minuspunkten zählt die Tatsache, dass die gebotenen Bilder chronologisch kaum eingeordnet sind. Das bedeutet, dass nur ältere Temeswarer, die über mehrere Jahrzehnte hier gelebt haben, sich in der zeitlichen Reihenfolge der Fotos zurechtfinden können. Selbst jüngere Temeswarer werden sich keinen richtigen Eindruck verschaffen können, die Bilder hätte man problemlos zeitlich einordnen können. Hinweise gibt es bei wenigen Fotos, den meisten fehlen die entsprechenden Informationen.

Die Texte, die in erster Linie viel zu kurz sind, bezeugen ohne Zweifel eine gewisse Oberflächlichkeit, ja vielleicht sogar die ungewollt zur Schau gestellte Naivität jenes Journalistentyps, der, von guten Absichten beseelt, an einer dürftigen Allgemeinbildung zu scheitern verurteilt ist. So dürften sich auch die zu vielen Sprach- und Grammatikfehler erklären, die rumänische Sprache scheint nicht zu den Stärken des Autors zu gehören, der die Texte verfasst hat. Und dann noch ein Manko: Zwar merkt ein jeder, dass die sozialistischen Postkarten mit der Innenstadt beginnen, es folgen ihnen einige während des Kommunismus gebaute Plattenbauviertel, die Parks und Grünanlagen, ein paar Musterbetriebe der Planwirtschaft, die Naherholungsgebiete und die Freibäder, schließlich die Universitäten und die PECO-Tankstellen, aber von Kohärenz zeugt das nicht unbedingt. Vor allem dann, wenn es keine grafisch bemerkbare Einteilung des Bildmaterials gibt, die sicherlich ein bisschen geholfen hätte.

Wie dem auch sei, die Bilder, Musterbeispiele der Fotokunst im Sozialismus, bieten einen Eindruck vom damaligen Temeswar: In der Tat, die meisten Gebäude, auch in der Innenstadt, sehen gepflegt aus, die Grünflächen sind alle hergerichtet, die Straßenmarkierungen wie neu. Die meisten der abgedruckten alten Postkarten dürften somit Ende der 1960er Jahre, Anfang der 1970er Jahre entstanden sein, als der rumänische Sozialismus seine Sternstunde erlebt hat. Nicht zu übersehen: die leeren Straßen, die leeren Parkplätze, der lockere Verkehr. Ein paar Autos, ein paar Straßenbahnen, wenig Busse. Zeigt man die Fotos auf Facebook, werden gleich einige Autofahrer von heute den damaligen Zeiten nachtrauern und den gegenwärtigen Bürgermeister für sein Verkehrsmanagementkonzept verdammen.

Sieht man von den bereits dargestellten Minuspunkten des Bildbands ab, kann man den Herausgebern im Grunde genommen gerade dies vorwerfen: dass sie eine heile Welt darstellen, die keine war. Dass mit Ausnahme einiger Aufnahmen, die die mit dem Wappen der Volksrepublik geschmückte Opernfassade zeigen, nichts auf das totalitäre Regime hinweist. Klar, die abgedruckten Postkarten stellte das Regime her, sie sollten die Stadt von ihrer besten Seite zeigen. Aber man hätte problemlos die Veröffentlichung mit einer Einleitung versehen können, in der darauf hingewiesen wird, oder mit anderen Fotos ergänzen, zum Beispiel von den Schlangen vor den Lebensmittelläden, den überfüllten Trolleybussen der 1980er Jahre oder von den Anfängen der Revolution. Denn zur „Timişoara socialistă“ gehörte auch das alles und nicht nur der blaue, wolken- und sorgenlose Himmel über Opern- und Freiheitsplatz.