Das Verhängnis von „mein“ und „dein“  

Abram, der später von Gott in Abraham umbenannt wurde, und sein Neffe Lot waren beide Auswanderer aus Ur in Chaldäa und durchzogen als Nomaden das Land Kanaan mit ihren Schafherden. Sie lebten zusammen in bester Freundschaft, bis ihre Herden sich so stark vermehrten, dass es unter den Hirten zum Streit kam wegen des Weidelandes und der Wasserstellen. Im 1. Buch Mose, Kapitel 13,1-13 lesen wir, wie sich die beiden um des Friedens willen einvernehmlich trennen, wobei es geschrieben steht, dass Lot den Vortritt hatte und für sich die reichste Gegend erwählte. Es steht auch, dass es da einen Problemherd gab: die Leute jener Gegend, die Bewohner von Sodom, waren  böse und sehr sündig.
Die Trennung wegen Hab und Gut, mit besten Absichten vorgenommen, sollte für Lot und seine Nachkommen katastrophale Folgen haben. Solange er bei Abram war, stand er auch unter dem Segen Gottes, als er sich aber räumlich von ihm trennte, verließ er zugleich auch den Bereich der Gnade und geriet in den Strudel der politischen Fehden, der sozialen Zwänge sowie der kreatürlichen Begierden. Aus alledem errettete ihn Gott zwar um seiner eigenen Gerechtigkeit willen, aber um ihn herum war nur Zerstörung, Tod und Verfall (1. Mose Kap. 14 und 19), und zwischen seinen Nachkommen – den Ammonitern und Moabitern, und jenen Abrams – den Israeliten, kam es zu einer dauerhaften Feindschaft (5. Mose 23,4f).
Was wäre geschehen, wenn Abram und Lot nicht so viele Schafe gehabt hätten? Sie wären zusammen geblieben und Lot hätte teilgehabt an den Segnungen Abrams. Was, wenn sie die vielen Schafe nicht in „meine“ und „deine“ eingeteilt hätten? „Unsere“, also ihrer beider Herden und Hirten wären bestimmt auch ohne Trennung miteinander ausgekommen. Wir sehen also, dass Einteilung in „mein“ und „dein“ Schicksale verändert, Grenzen schafft und letzten Endes Feindschaft hervorbringt. Wir sehen auch, dass Gottes Segen lokalisiert und personalisiert ist; man kann ihn nicht mitnehmen, wohin man auch geht. Im vorliegenden Fall ist Abram gesegnet und wird anderen zum Segen. Wer ihn verläßt, verliert den Segen.
„Mein“ und „dein“ haben ihre Berechtigung in dem Bereich, den wir Komfortzone nennen. Außerhalb dieser Zone aber ist es giftig, von mein und dein zu reden. Zum Beispiel: Wenn auf jeden in der Familie ein Stuhl kommt, ist es angebracht, von meinem und deinem Stuhl zu reden. Wenn aber zu wenig Stühle da sind, ist es frech, und wenn überzählige da sind, ist es kindisch, „seinen“ Stuhl haben zu wollen. Direkt peinlich wäre es, wenn einer gleich mehrere Stühle sein eigen nennen würde. Aber was im Kleinen widersinnig erscheint, wird im Großen dennoch gut geheißen: Menschen erwerben sich häufig viel mehr Güter, als sie besitzen können, sehr oft zum Nachteil anderer. Da-rum redet Jesus vom ungerechten Mammon.
 Wieviel an Besitz ist also dienlich? Johannes der Täufer zieht für uns Christen die untere Linie der Komfortzone: „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.“ Die Obergrenze muss jeder für sich bestimmen: Was an Kleidern im Schrank ungetragen veraltet, was an Lebensmitteln in der Kammer verdirbt, was ich an Geld auf Zinsen anlege, ist überflüssig, macht mir Sorgen und gereicht mir auf lange Sicht zum Schaden. Es ist keine Entschuldigung, der Überfluss sei mir zugefallen, denn so wie ich Gott bitte, er möge den Ablauf der Dinge ändern und mir Gnade erweisen, so bin auch ich gehalten, meinen Überfluss zu steuern und den Mangel anderer auszugleichen.

Amen.