„Das, was mir passiert ist, wird mir niemand glauben!“

Gespräch mit Evelyn Probst, Leiterin der Migrantinnenorganisation LEFÖ aus Wien

Das Team der Migrantinnenorganisation LEFÖ
Fotos: LEFÖ

Evelyn Probst

LEFÖ ist die erste Opferschutzeinrichtung für Frauenhandelbetroffene in Österreich. Die Organisation wurde ursprünglich gegründet, um die lateinamerikanischen Flüchtlinge zu unterstützen. In den letzten 20 Jahren hatte man aber immer mehr mit Migrationsströmen aus Mittel- und Osteuropa zu tun. ADZ-Redakteurin Aida Ivan sprach mit der Leiterin der NGO, Evelyn Probst, über osteuropäische Frauen, die im Ausland ausgebeutet werden.

Wie groß ist das Phänomen der Migration jetzt und worin besteht die Arbeit der Organisation mit den Migrantinnen?

LEFÖ ist eine Organisation von und für Migrantinnen und wurde 1985 von exilierten Frauen aus Lateinamerika gegründet. Im Laufe der Zeit hat sich die politische Tätigkeit um ein breitgefächertes Beratungsangebot erweitert. LEFÖ hat zum Ziel, auf die unterschiedlichen Migrationsprozesse von Frauen und deren komplexe Bedürfnisse einzugehen. Unsere Perspektive verlangt nach einer Differenzierung unterschiedlicher Bereiche und nach einer Offenlegung der verschiedenen Interessen. Frauenhandel muss als solcher erkannt und bekämpft werden und darf kein Vorwand für repressive Maßnahmen gegenüber Migrantinnen und Sexarbeiterinnen sein. Betroffene von Frauenhandel – in der Prostitution oder als Hausangestellte – und Migrantinnen, die in der Sexarbeit tätig sind, zählen seit Beginn zu unseren Hauptzielgruppen. 1998 wurde die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels LEFÖ-IBF gegründet, um Frauen in ihren Rechten zu unterstützen und um auf das steigende Phänomen aufmerksam zu machen.

Wie viele Frauen (mit denen LEFÖ arbeitet) stammen prozentual aus Osteuropa, aus Asien oder Lateinamerika?

Unsere Statistik und die Analyse der Zahlen sprechen ausschließlich über vom Frauenhandel betroffene Frauen, die in Kontakt mit uns kamen und eindeutig als Betroffene erkannt wurden. Wir wissen aber, dass nicht alle betroffenen Frauen und Mädchen als solche erkannt werden. Viele Barrieren verhindern den erkennenden Blick und die unterstützende Handlung. Im Jahr 2013 haben wir 261 Frauen und Mädchen und deren Kinder beraten und betreut. Von den 261 Betreuten waren mehr als die Hälfte aus den neuen EU-Ländern, Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Zum ersten Mal sind die Betroffenen aus EU-Ländern mehr als 50 Prozent. 65 Prozent aller betreuten Frauen und Mädchen wurden in die Bereiche der sexuellen Ausbeutung gehandelt, dieser Anteil ist schon über längere Zeit gleichbleibend.

In unserer Notwohnung machen die Frauen aus den EU-Ländern, mit insgesamt 70 Prozent, den größten Teil aus. Wenn diese Zahl mit dem hohen Anteil an Frauen verbunden wird, die nur eine Woche in der Notwohnung verbrachten, lässt sich sagen, dass EU-Bürgerinnen kürzer in der Wohnung bleiben. Dies spiegelt sich auch darin wieder,  dass viele Rückkehrerinnen EU-Bürgerinnen sind. Gleichzeitig wird der Kontakt mit vielen dieser Rückkehrerinnen in andere EU-Länder weiter aufrechterhalten, da in Österreich der Prozess gegen die Täter oder Täterinnen weiter geführt wird. Ca. 20 Prozent der von LEFÖ-IBF betreuten Frauen stammen aus Asien, hier vorwiegend aus den Philippinen, und werden meist in der Landwirtschaft ausgebeutet.

Mit welchen Problemen werden die osteuropäischen Migrantinnen konfrontiert? Wie werden ihre Menschenrechte verletzt?

Wir können von Frauen sprechen, die beim Versuch, mithilfe von temporärer oder langfristiger Migration ihr Leben zu verbessern, ausgebeutet wurden. Im Rahmen unserer Tätigkeit kommen wir mit Migrantinnen aus Osteuropa, die einen erfolgreichen Weg gehen, nicht in Kontakt. Viele der Frauen, die wir kennen lernen, wollen ein neues Leben beginnen, endlich ausreichend Geld verdienen, mit dem sie sich selbst und/oder ihre Familien unterstützen können. In Österreich angekommen, oder manchmal schon am Weg nach Österreich werden sie geschlagen, unter Druck gesetzt oder bedroht. Sie müssen Tätigkeiten ausüben, die sie entweder nicht wollen oder zu Bedingungen, die menschenunwürdig sind. Im vergangenen Jahr kamen wir mit vielen Frauen aus Rumänien in Kontakt, die sexuell ausgebeutet wurden. Andere wurden im Rahmen der Saisonarbeit in der Landwirtschaft extrem ausgebeutet.

Auch die Pflege ist ein Bereich, in dem Migrantinnen aus Osteuropa Verletzungen ihrer Menschenrechte erleben. Egal in welchen Bereich, gemeinsam ist: Die verletzbare Situation der Frauen wird ausgebeutet, sie befinden sich in einem für sie unbekannten Kontext, sie verstehen die Sprache nicht, wissen über ihre Rechte nicht Bescheid, und glauben, dass ihnen niemand helfen kann, da sie das Erlebte sich selbst zuschreiben. Sie fühlen sich schuldig, weil sie in die Situation geraten sind. Immer wieder hören wir: „Das, was mir passiert ist, wird mir so und so niemand glauben!“

Unter welchen Formen erscheint Frauenhandel? Welche sind die häufigsten Formen der Ausbeutung?

Frauenhandel bedeutet nicht nur Handel in die Prostitution. Dabei geht es um Ausbeutung, Gewalt, Täuschung. Das kann in vielen Arbeitsbereichen passieren. Der Fokus auf die Sexarbeit verschleiert andere Ausbeutungsverhältnisse. Eines dieser ungeschützten Arbeitsverhältnisse rückt nun vermehrt in den Blickpunkt: Hausarbeit. Dadurch, dass betroffene Frauen hier sehr isoliert sind, ist es besonders schwer, an sie heranzukommen. In den letzten Jahren versucht die Interventionsstelle verstärkt, auch andere Formen der Arbeitsausbeutung von Migrantinnen in den Bereichen Ehe, Pflege, Landwirtschaft und in der Tourismusindustrie als Frauenhandels sichtbar zu machen.

Können die Betroffenen im Zielland gesetzlich unterstützt werden? Gibt es ein (rechtliches) internationales System, das den Frauen behilflich sein kann?

Alle Betroffenen haben ein Recht auf bedingungslose Unterstützung und Betreuung, sie haben Recht auf Zugang zum Justizsystem und auf Rechtsvertretung. All das ist in der EU-Richtlinie aus dem Jahr 2011 geregelt und muss in allen EU Staaten umgesetzt sein. Sie haben ein Recht darauf, dass die Strafverfolgung aufgenommen wird, und bei Verurteilung ein Recht auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Sie haben Recht auf Zugang zu minimalen Sozialleistungen und Zugang zu Arbeit und Bildung. Einige dieser Rechte sind in der Praxis umgesetzt, für andere braucht es die starke Lobby von Opferschutzeinrichtungen, die sich um jeden einzelnen Fall kümmern und darauf achten, dass die betroffenen Frauen ihre Rechte in Anspruch nehmen können.

Mit welchen Problemen wird die Organisation dabei konfrontiert?

Gravierend ist das fehlende Bewusstsein für unterschiedliche Formen des Menschenhandels bzw. des Frauenhandels. Immer wieder erfahren wir erst im Nachhinein, dass es Opfer im strafrechtlichen Sinne gab, die ihre Rechte z. B. auf Prozessbegleitung nicht wahrnehmen konnten, da sie als solche nicht erkannt wurden.

Eine Migrantin aus Rumänien
Evelyn Probst erzählt eine Fallgeschichte ohne Happy End

Im Juni 2013 nahm die Caritas mit uns Kontakt auf, da eine Betroffene von Frauenhandel im Bereich der Pflegearbeit – die rumänische Staatsbürgerin Frau L. – um Unterstützung anfragte. Frau L. wurde in Rumänien durch eine Annonce im Internet auf eine Vermittlungsagentur aufmerksam, die Pflegepersonal für Familien in Österreich sucht. So lernte sie den Vermittler Herrn K. via Mail kennen, mit dem sie schließlich vereinbarte, in Österreich als Pflegekraft bei durch ihn vermittelte Familien zu arbeiten. Als er sie vom Bahnhof in Salzburg abholte, um sie gleich zur ersten Familie zu bringen, gab es noch keine vertraglichen Vereinbarungen. Herr K. nahm der Frau ihre persönlichen Dokumente ab und versprach, sie damit sowohl bei der Wirtschaftskammer als auch bei der Wiener Gebietskrankenkasse anzumelden und ein Konto für sie zu eröffnen. Außerdem erklärte er ihr die Entlohnungsmodalitäten: Das Geld für ihre Leistungen überweist die Familie an ihn, worauf er Frau L. im zweiwöchigen Abstand ihren Lohn überweisen würde.

Bereits nach drei Tagen musste Frau L. die Arbeitsstelle bei der ersten Familie verlassen. Als Herr K. die Frau zur nächsten Familie fuhr, händigte er ihr einen Arbeitsvertrag in deutscher und rumänischer Fassung zur Signatur aus. Abgesehen von der Tatsache, dass beide Verträge unterschiedliche Klauseln enthielten und somit nicht identisch waren, verstand Frau L. die Inhalte nicht genau. Aufgrund ihrer verzweifelten Lebenssituation als alleinerziehende Mutter mittleren Alters und mangels alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, unterschrieb sie dennoch. Bei ihrer neuen Arbeitsstelle erwarteten sie dann schreckliche Arbeitsbedingungen: Die Familie behandelte sie sehr schlecht, sie durfte keine Pausen machen, musste rund um die Uhr arbeiten, durfte ausschließlich die zum Teil bereits verfaulten Essensreste zu sich nehmen und wurde von der Außenwelt isoliert. Mehrmals versuchte sie, Herrn K. telefonisch auf ihre Situation aufmerksam zu machen, dieser aber ignorierte ihre Beschwerden und verweigerte jegliche Unterstützung. Nachdem über zwei Wochen verstrichen waren und sie weder über ihr angeblich eingerichtetes Konto informiert wurde noch das versprochene Geld bekam, konfrontierte sie den Vermittler damit. Herr K. fand immer neue Ausreden dafür, warum er augenblicklich keine Zeit bzw. Möglichkeit hätte, sich darum zu kümmern – sie solle sich gedulden. Seitens der Familie auf Hilfe zu hoffen, war ebenfalls aussichtslos. Die Zeit verging und an der misslichen Lage von Frau L. änderte sich nichts.

Als sie aufgrund einer Lebensmittelvergiftung nach langem Ringen mit der Familie schließlich eine Ärztin aufsuchen konnte, entdeckte sie, dass sie noch immer nicht versichert war. Frau L. erzählte der Medizinerin ihre Geschichte, diese behandelte sie daher kostenlos und riet ihr, die Polizei zu kontaktieren. Aufgrund der Befürchtung, dadurch gar keinen Lohn mehr zu bekommen und daher die Miete und Nahrung für ihren 14-jährigen Sohn in Rumänien nicht mehr bezahlen zu können, wagte Frau L. diesen Schritt nicht. Nach wie vor hoffte sie, dass sich doch noch alles zum Besseren wenden würde. Leider trat dieser Fall auch einen Monat später nicht ein. Von dem versprochenen Geld bekam sie nur einen Bruchteil, die Anmeldungen bei Krankenkasse und Wirtschaftskammer waren immer noch ausständig. Als Frau L. zu einer neuen Familie umziehen sollte und den Vermittler auf die fehlenden Leistungen aufmerksam machte, versprach er erneut, dies bald zu erledigen.

Keine seiner Versprechungen erfüllte sich, was die Frau veranlasste, sich an die Polizei zu wenden. Die Beamten kamen zum Wohnort der Familie, wo Frau L. und Herr K. waren. Herr K. holte plötzlich Geld hervor und behauptete, Frau L. würde verrückt sein, es ginge doch alles mit rechten Dingen zu. Die Beamten vertrauten darauf und zogen wieder ab. Bei der neuen Familie angekommen, wandte sich Frau L. auf Empfehlung einer Bekannten ans Bezirksgericht, an die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) und schließlich an die Arbeiterkammer (AK). Bei der AK teilte man ihr mit, dass die vorgelegten Verträge nichtig seien, da ihr Vermittler keine Gewerbeberechtigung hätte. Sie rieten ihr, aufgrund eines klar vorliegenden Betrugs zur Polizei zu gehen. Also ging sie zur Polizeistation und erstattete Anzeige, bevor sie sich an die Caritas wandte, um weitere Unterstützung anzufordern.
Bei uns angekommen, berieten wir sie, begleiteten sie zur Anwältin und standen während des Verfahrens an ihrer Seite.

Leider erhielten wir wenig später die Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft über die Einstellung des Verfahrens. Da der Vermittler zwar zu den Beschuldigungen einvernommen wurde, Frau L. dazu aber nicht weiter befragt und sofort das Verfahren eingestellt wurde, entschied sich die Klientin zur Beantragung eines Fortführungsantrags. Das Verfahren wurde also wieder aufgenommen, Frau L. erneut einvernommen und mithilfe unserer Prozessbegleitung die Anzeige bis ins Detail vertieft. Es waren nun genügend Informationen bereitgestellt, um damit die Fortführung des Verfahrens zu begründen. Zu ihrem Leidwesen erreichte uns aber wieder in allzu kurzer Zeit ein Brief über die Verfahrenseinstellung. Begründung: Man könne dem Beschuldigten keinen Vorsatz nachweisen.