„Denken, Entwerfen und Entwickeln – das sind die europäischen Stärken“

Gespräch mit Egbert Rühl, Leiter der Hamburg Kreativ Gesellschaft

Foto: Hamburg Kreativ Gesellschaft

Eine Wirtschaftsbranche macht sich langsam auch in Rumänien bemerkbar. Es sind kreative Menschen mit unternehmerischen Fähigkeiten, die Dienste leisten und die verschiedensten Objekte herstellen und diese erfolgreich auf den Markt bringen: von Kuscheltieren aus Socken und kreativ wiederverwerteten Schmuckstücken bis hin zum „Glücklichmacher für Hemden“ (Hemden bügeln). All diese genießen immer größere Sichtbarkeit in der virtuellen Welt und lassen sich dem umfangreichen Konzept von Kultur- und Kreativwirtschaft unterordnen. Es ist ein Wirtschaftszweig, in den die EU viel investiert, der aber hierzulande in Kinderschuhen steckt. In Ländern wie Deutschland gibt es hingegen diese Branche seit gut 20 Jahren, es gibt auch Einrichtungen, die zur Förderung der Kreativwirtschaft gegründet wurden.
Die Hamburg Kreativ Gesellschaft ist eine Regierungsagentur, eine der ersten Einrichtungen ihrer Art in Deutschland. Mit ihrem vielfältigen Angebot versteht sie sich als zentrale Anlaufstelle für alle Akteure der Hamburger Kreativwirtschaft. Seit März 2010 ist Egbert Rühl ihr Geschäftsführer. Zuständig in seiner Funktion ist er für Strategie, Anleitung und Moderation sowie den Kontakt zu Politik und Verwaltung. Mit Egbert Rühl führte ADZ-Redakteurin Aida Ivan ein Gespräch.


Sie haben Geschichte und Soziologie in Frankfurt studiert. Jetzt sind Sie der Leiter der Hamburg Kreativ Gesellschaft. Wie haben Sie diesen Übergang geschafft?

Bevor ich nach Hamburg gegangen bin, habe ich mein gesamtes Berufsleben in der Kulturvermittlung gearbeitet. In dieser Zeit habe ich begonnen, mich mit dem Bereich der Kreativwirtschaft zu beschäftigen, das erschien mir als ein sehr spannendes Feld. Diese Stelle wurde in Hamburg ausgeschrieben und ich habe mich beworben. Ich war immer im Kulturbereich tätig.

Was ist der Unterschied zwischen Kulturmanagement und Kultur- und Kreativwirtschaft?

Die Herausforderung in Hamburg war, dass es kein Vorbild für diese Gesellschaft gab. Hamburg war das erste Bundesland in Deutschland, wo eine Gesellschaft gegründet wurde, die sich mit dem Thema Kreativwirtschaft beschäftigt. Wir hatten ein ungeschriebenes Blatt, keine Pläne und konnten tun, was wir wollen. Mit etwas wirklich Neuem zu starten ist eine große Herausforderung, aber es ist eine Riesenchance, die man in seinem Leben nicht so oft hat. Wichtig ist der Hintergrund – im Kulturbereich gearbeitet zu haben und ein gutes Verständnis zu haben, wie Kultur funktioniert. Kulturmanagement hat mit dem, was wir jetzt machen, fast nichts zu tun. Es ist aber eine gute Grundlage.

Welche sind Ihre konkreten Aufgaben im Bereich der Kreativwirtschaft?

Es war von Anfang an klar, dass wir mit vielen kleinen Strukturen arbeiten werden, mit Selbstständigen, Freiberuflern, aber auch mit kleinen Unternehmen, die oft fachlich sehr gut ausgebildet sind. Sie sind beispielsweise gute Musiker, gute Tänzer, gute Architekten, die aber über-haupt keine ökonomische Qualifikationen haben. Eine wichtige Frage war, welche Angebote man für für unsere Klienten schaffen muss, damit ihre wirtschaftlichen Kompetenzen steigen. Von Anfang an haben wir unsere Angebote in Abstimmung mit unseren Kunden entwickelt: Wir haben uns nicht alleine etwas ausgedacht, sondern mit unseren Kunden gesprochen und tun das weiterhin, um maßgeschneiderte Angebote vorzustellen. Es gibt vier zentrale Bereiche. Der erste ist die Qualifizierung, wo es immer darum geht, die wirtschaftliche Professionalität zu verbessern. 

Danach kommen die Immobilien. In einer Stadt wie Hamburg gibt es Bedarf an geeigneten Arbeitsräumen, sowohl an kleinen Büros für Grafikdesigner, aber auch an Musikprobe- oder an Ausstellungsräumen. Ein anderes großes Problem ist der Zugang zur Finanzierung. Die Künstler gehen immer mit immateriellen Kapital um, mit Ideen und Konzepten und für immaterielles Kapital gibt es kein Geld auf dem Markt, niemand investiert ausschließlich in Ideen.

Wir schaffen Finanzierungsinstrumente: Wir sammeln Geld und machen eine Crowd-Funding-Plattform, die relativ erfolgreich ist. Es gibt auch einen Finanzierungsfinder, eine Möglichkeit online zu schauen, wo es vorhandene Finanzierungsmöglichkeiten gibt. Es gibt sehr viele Angebote, aber man findet sie extrem schwer. Das vierte Thema ist Networking, wir versuchen die Schnittstellen zwischen den Teilmärkten zu stimulieren. Das ist nicht so ganz einfach, das ist eher ein heterogenes Feld. Ein fünftes Thema wäre vielleicht, wie wir in Diskussionen in den Medien das Thema Kreativwirtschaft voranzubringen versuchen. Ich befürchte, man ist in Rumänien vielleicht zwei Jahre zurück, was die Aufmerksamkeit betrifft. Aber diese wächst.

Müssen die Künstler, die sie unterstützen, Gebühren bezahlen?

Fast alle unsere Leistungen sind kostenlos. Workshops kosten zum Teil Geld, da haben wir auch weniger Teilnehmer, aber ansons-ten sind alle unsere Angebote kostenfrei.

Kann man irgendwie messen, was für eine Wirkung diese Veranstaltungen haben? Können Sie eine Art Bilanz ziehen und sagen, welche ihre Resultate sind? Oder lässt sich das nicht so genau messen?

Wir existieren jetzt seit dreieinhalb Jahren, eine relativ kurze Zeit, in der wir relativ viel gemacht haben. Da gibt es aber auch Effekte, die wir gar nicht beeinflussen können, so wie internationale Wirtschaftskrisen. Wir können natürlich zählen, wie viele Quadratmeter wir vermittelt haben, wie viele Arbeitsplätze wir gesichert haben. Wir können sagen, wir haben in diesen drei Jahren physikalisch 250 Arbeitsplätze geschaffen, nicht als neue Arbeitsplätze, die Menschen haben davor irgendwo zu Hause gearbeitet. Aber wir werden versuchen, diese Dynamik abzubilden, die Bedeutung der Kreativwirtschaft im Ganzen, was Umsätze oder Arbeitsplätze betrifft.

Wurden Veränderungen verzeichnet, was die Qualität oder Quantität der geschaffenen Kunst angeht? Was für eine Wirkung hat Ihre Unterstützung auf die Künstler, sind manche dadurch erfolgreicher geworden? 

Wenn man eine Kunstdiskussion führt, kann man über Qualität reden. Wir in der Kreativwirtschaft reden nicht über Qualität. Wenn ein Musiker zu uns kommt und wir seine Musik anhören, spielt es keine Rolle, ob es uns persönlich gefällt oder nicht. Wir helfen natürlich auch Leuten, von denen wir denken: „Oh, oh, ist das furchtbar!“. Manchmal haben die Dinge von minderer Qualität größeren wirtschaftlichen Erfolg als diejenigen, die hohe Qualität haben. Der wirtschaftliche Erfolg hat mit Qualität nicht unbedingt etwas zu tun, oder? Jeden-falls wurden mit unserer Unterstützung mehr Projekte realisiert als ohne uns. Man kann schon sagen, dass Hamburg für Künstler und Akteure der Kreativwirtschaf attraktiver geworden ist, aber das kann man schwer messen.

Wie identifizieren Sie den Bedarf der Kulturschaffenden?

Wir sprechen tatsächlich mit sehr vielen einzelnen und wir sind mit vielen Verbänden im Austausch. Für die Musikwirtschaft gibt es z. B. in Hamburg fünf Verbände, da gibt es den Interessenverband der Unabhängigen, das Jazz-Büro, das Rock-Büro – wir sind mit all diesen im Austausch. Wir machen ganz viele Veranstaltungen und man weiß, dass man uns sehr leicht erreichen kann. Alle Mitarbeiter in unserem Team kommen aus unterschiedlichen Bereichen der Kreativwirtschaft: Es gibt einen Musiker, wir haben jemanden aus dem Bereich Architektur und jemanden aus dem Bereich Theater. Sie bringen einfach mehr Erfahrung aus ihren Leben mit.

Welche Methoden oder Strategien werden benutzt, um diese Gesellschaft zu vernetzen? Wie findet man die Künstler?

Ganz am Anfang haben wir elf Veranstaltungen organisiert, haben Akteure aus allen diesen Teilmärkten – also die bildenden Künstler, die darstellenden Künstler, die Musiker – einfach eingeladen und wir haben uns vorgestellt. Wir haben ihnen gesagt, was wir vorhaben, und sie sollten uns sagen, was sie von uns wollen. Wir sind die Dienstleister für die Kreativwirtschaft, aber wir sind nicht die Kreativwirtschaft. Da gab es die Idee, dass die Menschen, die für die Kreativwirtschaft arbeiten, einen gemeinsamen Verein gründen, eine Lobbyeinrichtung für sich selbst, eine Interessenvertretung.

Die große Herausforderung für die Kreativwirtschaft ist die Anpassung der sozialen Systeme.
In der Kreativwirtschaft wird anders gearbeitet, da viele selbstständig sind und es schwierig ist, eine gemeinsame Organisation zu finden. Die Frage ist, wie man eine Plattform schaffen kann, wo die Journalisten mit den Filmemachern, mit den Autoren, mit den Musikern, mit den Tänzern zusammen nicht nur arbeiten können, sondern eine Vertretung haben, die sich auf ein paar Interessen einigt, nämlich soziale Systeme oder den Umgang mit dem Urheberrecht. Ich finde das wichtig, das ist aber nicht unsere Aufgabe. Da können wir nur sehr begrenzt agieren.

Was zeigen die Statistiken?

In Hamburg sind es mindestens 80.000, wahrscheinlich 100.000 Menschen, die in der Kreativwirtschaft arbeiten, Selbstständige, aber auch Angestellte, Freiberufler, aber auch kurzfristig Beschäftigte, acht Prozent aller Erwerbstätigen in Hamburg – das ist schon viel. Der Umsatz 2012 liegt bei 10,5 Milliarden Euro, ich denke, es sind 6,7 Prozent des Gesamtumsatzes in Hamburg. Das ist schon viel. Und es wächst.

Welche Rolle spielt die Kreativität in diesem Zusammenhang?

Wir kümmern uns nicht um die Kreativität, sondern um die Schaffung der richtigen Bedingungen.
Um die Frage, wie man mit der Kreativität seine Existenz sichern kann. Wir schauen auch nicht, was man tun muss, damit die Künstler kreativer werden.

Wir haben z. B mit fünf verschiedenen Hochschulen eine Serie von Seminaren gemacht, wobei es um wirtschaftliche Basis geht. Es geht um einen Vortrag über Steuern, der eine Stunde dauert.
Da sitzen Absolventen, die einen Masterstudiengang hinter sich haben, die 26 sind und sich noch nie mit der Frage der Steuern beschäftigt haben. Jeder Künstler müsste sich überlegen, wie er sich nach dem Abschluss zurechtfindet.

Gibt es inzwischen mehrere Gesellschaften in Deutschland, die das gleiche Ziel haben?

Es gibt eine Bundesinitiative, in Berlin hat man eine Initiative zur Förderung von Kreativwirtschaft gegründet. Es gibt in Thüringen und im Saarland eine vergleichbare Agentur, inzwischen in vielen Städten eine vergleichbare Einrichtung. Manchmal sind sie anders eingerichtet, nicht alle haben dieselben Aufgaben. Wir haben unsere Aufgaben selbst gewählt. Wir gucken auf die Kreativwirtschaft in Hamburg, sprechen mit den Leuten und sehen, was sie brauchen. Sie haben uns gesagt, worum wir uns kümmern sollten: Räume, Qualifizierung, Finanzierung. Und wir machen das für alle elf Teilmärkte, weil sie alle in Hamburg existieren und stark sind. Sie sind nicht alle gleich stark, natürlich. Es gibt kleinere Städte, wo man sagt, bei uns ist Architektur bedeutend oder Musik. Da hat man einen schmaleren Fokus.

Man kann es also nicht nach einem Schema machen, sondern muss sich die Situation vor Ort anschauen. Unsere Angebote müssen so flexibel sein wie die Bedürfnisse unserer Kunden.

In Rumänien waren Sie jetzt zum ersten Mal. Wie denken Sie, dass sich die Situation hier entwickeln wird?

Ich habe den Eindruck, dass Bukarest eine ziemlich junge Stadt ist. Es gibt schon eine große Herausforderung, aber es gibt auch den Wunsch, das auch zu lösen, damit umzugehen, das zu bearbeiten. Dazu gibt es auch eine große positive Energie. Ansonsten muss ich sagen, dass manche Projekte, die ich hier kennengelernt habe, ihr Pendant in Hamburg haben. Man muss klar sein: Diese ganze Energie ist von jungen Frauen getrieben; Kreativwirtschaft ist auch in Deutschland weiblich. Wir haben individuelle Beratung gemacht, ich glaube wir hatten 65 Prozent Frauen. Und hier sind es noch mehr.

Wie sieht es auf europäischem Niveau aus?

Ich weiß, dass die EU sich wirklich intensiv mit diesem Thema befasst. Es gibt Staaten, die vergleichbar mit Rumänien sind, und die sich mit diesem Thema intensiv auseinandersetzen, so wie die baltischen Staaten oder Polen. Da ist ein richtiger Fokus, die Kreativwirtschaft ist ein wichtiger Geschäftszweig, gerade für die jungen Menschen.

Kreativwirtschaft ist etwas für die eher jungen Mitglieder der EU. Auf politischer Ebene bedeutet das nur, dass die Politik bereit sein muss, bestimmte Risiken einzugehen. Politik muss ja entscheiden, was im Land gefördert wird. Kreativwirtschaft ist neu, alles anderes als Industrie, trotzdem sehen wir Potenzial.

In der neuen Wirtschaft starten alle Staaten auf einem ziemlich gleichen Niveau. Und wenn wir ein bisschen schneller sind, dann überholen wir den Rest. In einer globalen Welt ist Industrieproduktion nicht mehr etwas, was wir in Mitteleuropa haben. Die Arbeitskräfte sind so teuer und werden auch in Rumänien teurer, sodass man anderswo produzieren muss. Aber Denken und Entwerfen und Entwickeln – das sind die europäischen Stärken und da muss man auch schauen, dass man sie beibehält. In diesem Bereich haben wir keinen Bedarf: Unsere jungen Menschen sind genauso gut gebildet wie überall auch. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist nicht eine Industrie, für die man wahnsinnig viel Investitionen braucht. Man muss nur ganz andere Instrumente und den Mut haben, etwas  zu tun.