Der 8. März

Prof. Constantin Cuza. Foto: Josef Balazs, 1987

Wie man sich damals, als es kein Handy und Internet gab, verabreden konnte, kann man sich heute schwer oder gar nicht vorstellen. Fakt ist, dass wir uns kurz nach dem Beenden der Hochschule – es war Juli 1975 – bei Corina getroffen hatten. Nachmittags zum Kaffee. Vier Jahre hatten wir uns nicht gesehen. Die Freude des Wiedersehens war groß, jeder wurde aufgefordert zu erzählen, was er studiert, wie es ihm geht, und das Wichtigste: wie es weitergehen soll. Damals hat der Staat für seine Jugend gesorgt; nach der Hochschule, je nach der erzielten Note, wurde man zugeteilt. Ich erzählte auch, dass ich als Deutschlehrer an einem Lyzeum unterrichten werde ... nur liegt diese Schule 400 km weit entfernt, auf der anderen Seite der Karpaten, und meine schwangere Frau ist Lehrerin in Kronstadt und ... na ja ...

Von Corina eingeladen, da er in der Nähe wohnte, war auch unser ehemaliger Rumänischlehrer anwesend. Mit großem Interesse verfolgte er unsere Erzählungen; haben doch einige von uns als Zweitfach Rumänisch studiert. Indirekt war es auch seine vierjährige Arbeit und sein Verdienst, dass wir zusammensaßen und fröhlich als junge Akademiker Kaffee tranken.
Ich merkte, dass er viel Gefallen für meinen Lebensweg zeigte. Er hat sich etwas gewundert, wie aus dem ehemaligen „byzantinischen Heiligen“, denn so geruhte er mich während der Schulzeit zu nennen, ein fast Heiliger geworden ist. Fast.

Er fragte mich, ob ich ihn am nächsten Montag mit meiner Frau im Lehrerzimmer des Lyzeums aufsuchen könne. Es sind Ferien und er habe in der Schule als einziger Dienst.
Der Montag kam, wir wurden vorstellig. Netter, höflicher Herr, der Professor Cuza. Er erzählte, nachdem er meiner Frau die Hand küsste, dass seine Tochter auch hochschwanger sei und ...
Warum er uns hergebeten habe? Er betonte, er versuche, tatsächlich nur versuche, versprechen kann er nichts, mir zu helfen. Ich solle doch am nächsten Tag zum Stadtarchiv gehen, zum Direktor; das Archiv suche einen Mitarbeiter, vielleicht, vielleicht ...

Nun, um es kurz zu machen, ich war wohl nicht der Richtige. Zwar sprach ich drei Sprachen, was in einer Stadt, wo drei Völker lebten, webten und schrieben, wohl wichtig war, mein Latein wäre vielleicht auch ausbaufähig gewesen, aber ... ich war nicht der Richtige ... vielleicht politisch, als ehemaliger byzantinischer Heiliger ...wer weiß?
Die Tatsache aber, dass mein Lehrer, den ich sehr verehrte, überhaupt versucht hat, mir zu helfen, habe ich nie vergessen. Eine noble Geste.

Heute noch, nach vielen Jahren, einmal pro Jahr, tritt er aus der Versenkung: am 8. März.
Damals, als wir den Sozialismus bauten, feierte man gerne auch die Frauen. Einmal im Jahr. Am 8. März. Und just an diesem Tag hatte auch Constatin Cuza, ein Mann also, Geburtstag. Also durfte er als einziger mitfeiern. Und er feierte sich gerne. Gleich in der 9. Klasse erklärte er uns am Frauentag, dass dieser Tag auch sein Tag sei und in dieser Rumänischstunde Ausnahmezustand herrsche. Also kein Unterricht. Er wolle uns aber etwas erzählen. Und er erzählte über seine Reisen mit dem VW-Käfer durch Europa. Jedes Jahr, am 8. März, wurde weitererzählt. So erlebten wir mit ihm zusammen Budapest, dann die Albertina in Wien, den Dogenpalast in Venedig, die Uffizien in Florenz, über Deutschland nach Skandinavien ...

Es war tatsächlich Ausnahmezustand, denn wir lebten – damals dort – hinter dem Eisernen Vorhang, und eine Reise ins Ausland war eigentlich unmöglich. Nicht für alle. Professor Cuza, denn die Lehrer trugen und tragen in Rumänien immer noch den Titel Professor, genoss dieses seltene Privileg zu reisen. Er reiste, kehrte immer zurück und erzählte ausnahmsweise nur über kulturelle Begegnungen ... über Dürer, Mozart, Botticelli ... und betonte, dass er an einem Buch über seine Reisen schreibe. Der Titel: „Europa auf vier Rädern“. Heute weiß ich, dass er dieses Buch als Manuskript hinterlassen hat; hinterlassen musste ... denn nach einer Publikation hätten wohl all zu viele reisen wollen, und das wollte wiederum der Staat nicht, also blieb das Geschriebene Manuskript.

WIR aber, seine Schüler von damals, hatten das große Glück, durch ihn, mit seinen Kenneraugen, ganz Europa zu besuchen, die großen Kunstwerke der westlichen Zivilisation zu bewundern.
Ich liebe heute noch den internationalen Frauentag, den 8. März.
Irgendwann kam der Augenblick, in dem ich auch reisen durfte. Ich suchte die alten Bekannten auf: Mozart, Dürer, Botticelli. Sie wiederum erzählten mir, dass vor vielen Jahren Professor Cuza sie besucht hätte ... und ich solle, falls ich ihn in Kronstadt treffe, grüßen.