„Der größte Schatz in Siebenbürgen“

Studie gibt Unterstützung und Anregungen zu Erhalt und Umnutzung von Kirchenburgen

Bei der Vorstellung des Projektes im April 2012 in Hetzeldorf: Annemarie Rothe und Philipp Harfmann von der Leitstelle Kirchenburgen, Hauptanwalt Friedrich Gunesch und Landeskirchenkurator Friedrich Philippi (v.l.)
Foto: Holger Wermke

Die bei dem Projekt angelegte Datenbank wird bereits für die Bewerbung von Kirchenburgen genutzt. Mit der App „Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen“ können Besitzer eines Smartphones mit GPS-Funktion von überall Informationen zu etwa 100 südsiebenbürgischen Kirchenburgen abrufen (kostenloser Download). Die Studie enthält zudem Hinweise zu weiterführender Literatur sowie Vereinen und Stiftungen mit Blick auf Kirchenumnutzung in anderen Ländern sowie eine Übersicht von in Siebenbürgen tätigen Reiseveranstaltern.

Wie ist es um die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen-Ensemble bestellt und wie kann ihr Erhalt langfristig gesichert werden? Diesen Fragen gingen Mitarbeiter der Leitstelle Kirchenburgen zusammen mit dem Lehrstuhl Denkmalpflege am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin (TU) nach. Von September bis November 2011 fand die Feldarbeit in Siebenbürgen statt, im vergangenen Jahr wurden die Ergebnisse ausgewertet und in der Studie „Strategien zur Erhaltung des europäischen Kulturerbes der Kirchenburgen in Siebenbürgen“ zusammengefasst. Unterstützt wurde das 80.000 Euro Projekt durch eine Finanzierung des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien.

Zunächst einmal vorweg: Der momentane Zustand vieler Kirchenburgen ist besser als erwartet, stellen die Autoren der Studie, Prof. Gabi Dolff-Bonekämper und Architektin Annemarie Rothe, fest. „Es gab kaum Einstürze ganzer Kirchen, auch akut einsturzgefährdete Kirchen sind eher selten.“ Dennoch sei gerade jetzt eine grundlegende Debatte über den zukünftigen Umgang mit dem gebauten Kulturerbe dringend erforderlich, denn eine Verschärfung der Situation in den nächsten 10 bis 15 Jahren ist absehbar – besonders in den südsiebenbürgischen Landgemeinden, mit denen sich die Studie befasst.

Überalterung und fehlende Identifikation

Wo liegen die Probleme? Aufgrund der Überalterung der sächsischen Gemeinschaft und der Konzentration der Sachsen in den Städten fehlt in absehbarer Zeit die Beaufsichtigung der Baudenkmäler in den Dörfern. Die Autoren rechnen mit einem Nachlassen des Engagements der Heimatortsgemeinschaften der ausgewanderten Sachsen in den kommenden Jahrzehnten, da der Generationenwechsel zu schwächeren Bindungen mit Siebenbürgen führen wird.

Ein Engagement des rumänischen Staates sowie der Kreise und Kommunen für das Kulturerbe der Sachsen findet nur punktuell statt bzw. scheitert an mangelnden finanziellen Mitteln. Zudem identifizieren sich die jetzigen Bewohner in den einst sächsischen Dörfern nicht oder nur wenig mit dem baulichen Erbe. Vor diesem Hintergrund verstehen die Autoren ihre Studie als Anregung und Unterstützung für die Handlungsträger in der evangelischen Kirche, den Umgang mit dem gewaltigen baukulturellen Erbe zu planen.

Grundlage der Studie bildet eine Erfassung von 75 repräsentativen Kirchenburgen, deren Nebengebäuden und Wehranlagen sowie einer Dokumentation der jeweiligen Dorfsituationen in den Kirchenbezirken Hermannstadt/Sibiu, Kronstadt/Braşov, Mediasch, Mühlbach/Sebeş und Schäßburg/Sighişoara. Im Untersuchungsgebiet (ohne Stadtgemeinden) gibt es insgesamt 178 Landgemeinden, davon 14 Orte ohne Mitglieder (in der Gesamtstatistik des Landeskonsistoriums mit 286 Gemeinden sind es 40).

In 51 Prozent der Ortschaften bzw. 91 Dörfern leben noch zwischen 1 und 20 Mitgliedern (135 bzw. 47 Prozent). In 58 Dörfern gibt es laut Statistik zwischen 21 und 100 Gemeindeglieder (84) und in 15 Dörfern mehr als 100 (27). In den kommenden Jahren wird die Zahl der Kleinstgemeinden weiter zunehmen, wobei die Autoren hervorheben, dass die Gemeindegröße keinen Rückschluss auf die Aktivität bei der Bewahrung des Kulturerbes zulässt.

Verwertungsprozess im Gange

Oftmals steht die Kirche im alleinigen Mittelpunkt der Erhaltungsbemühungen, während zum Ensemble gehörende Gebäude wie Pfarrhäuser, Schulen, Kultursäle etc. separat behandelt werden. „Es lässt sich keine einheitliche Linie im Umgang mit den restituierten Gebäuden erkennen“, kritisieren die Autoren. Der Prozess der Verwertung ist im Gange, ohne dass erkennbar werde, nach welchen Kriterien dieser erfolgt.

Zudem gibt es auch bei diesem Prozess zahlreiche Probleme: Gebäude bleiben nach Verkauf oder Vermietung ungenutzt, die Kirche kämpft mit Mietschuldnern, die vereinbarte Bauunterhaltung wird nicht vorgenommen etc.

Die Kirche muss sich klar werden, welche Nutzungen in obsolet gewordenen Kirchen und Nebengebäuden denkbar und tolerierbar sind. Die Autoren geben zu bedenken, dass die Kirchen auch früher vielfältige Nutzungen als Verkündigungsort, Versammlungsstätten, Fluchtorte, Wohnorte oder Aufbewahrungsorte besaßen. Anregungen bietet der Blick nach Deutschland, England oder die Niederlande.

„Die Kirchenburgen sind das Vermögen der evangelischen Kirche und der Sachsen im realen, vor allem aber im ideellen Sinn. Sie sind neben der Natur der größte Schatz der Region Siebenbürgen“, schreiben die Autoren. Es wird notwendig sein, für jede Kirchenburg einen individuellen Ansatz unter Einbeziehung der Nebengebäude zu entwickeln. Empfohlen wird eine Gruppierung von Kirchenburgen, z. B. mit Blick auf eine ausgewogenen räumliche Verteilung von Nutzungen, gegenseitige Unterstützung inhaltlich ähnlicher Projekte oder die Etablierung von Markenzeichen von bestimmte Arten von Kirchenburgen.

Individuelle Ansätze nötig

Erstrebenswert wäre eine dauerhafte Nutzung durch die jeweiligen Dorfbewohner, beispiels-weise als Kindergarten, Bibliothek, Kinderkino oder als Versammlungsraum. Denkbar, und in Nordsiebenbürgen mehrfach realisiert, ist die Übergabe evangelischer Kirchen an anderskonfessionelle Gemeinden. Dies ist im Moment in Südsiebenbürgen jedoch eher unerwünscht bzw. gibt es keinen Bedarf.

Als touristisch geeignet benennen die Autoren aufgrund einer Recherche bei Reiseanbietern neben den „Unesco-Kirchenburgen“, die Kirchenburgen im Burzenland sowie weitere 15 Anlagen, die aufgrund von Fresken, Wehranlagen u. ä. interessant sind – insgesamt etwa 25 Ensembles. Zur Belebung der Kirchen können kulturelle Veranstaltungen beitragen, bereits jetzt werden in einigen Kirchen regelmäßig Konzerte organisiert, denkbar sind auch Theatervorstellungen, Ausstellungen oder Lesungen oder soziale Nutzungen.

Unter den Vorschlägen finden sich auch weiter gehende, die eine gottesdienstliche Nutzung der Kirchen nicht mehr zuließen, u. a. die Einrichtung von Depots für kirchliches Kulturgut oder Werkstätten für Restauratoren. Nicht zuletzt muss sich die Kirche auch mit der geordneten Aufgabe und dem systematischen Abriss von Gebäuden befassen.
Der Prozess des Nachdenkens über eine Strategie kann eine Zeitlang dauern, dessen sind sich die Autoren bewusst, und warnen gleichzeitig vor Aktionismus. „Die Kirchenburgen haben 600 Jahre und schlimmere Zeiten überdauert.“ Wichtig sei eine laufende Instandhaltung, bis trag- und konsensfähige Lösungen gefunden werden.