Der Kreislauf der Gentrifizierung

Stefan Rusu zeigt Berlins Künstler, die kaum noch Platz zum Arbeiten finden

Der Regisseur Stefan Rusu vor der Aufführung von „Reclaiming the City“ in Bukarest. Auch in der rumänischen Hauptstadt könnte bald Gentrifizierung stattfinden.
Foto: Elisa Werner

Ein altes Bahnhofsgebäude, der stillgelegte Flughafen Tempelhof, besetzte Altbauten in einem der neuen Szeneviertel: Stefan Rusus Dokumentation „Reclaiming the City“ („Die Stadt zurückerobern“) führt die Zuschauer in Gegenden Berlins, die Touristen normalerweise nicht als Erstes zu sehen bekommen. Nur gelegentlich rücken Sehenswürdigkeiten, wie der Reichstag oder der Potsdamer Platz, vor die Kamera.
In Rusus Porträt der deutschen Hauptstadt kommen vor allem ansässige Künstler zu Wort, die Berlin seit jeher das Image als Mekka der Kreativszene bescherten. Doch die Kunstschaffenden, die Stefan Rusu und sein Kamerateam durch die heute so angesagten Viertel führten, sind unzufrieden mit ihrer Situation. Sie beklagen vor allem die Gentrifizierung, durch die sie kaum mehr Platz zum Leben und Arbeiten finden.
Gentrifizierung nennt man den Strukturwandel in großstädtischen Vierteln, welcher durch den Anstieg des Mietniveaus und der Kaufkraft verursacht wird. Im Klartext heißt das: Künstler, die sich wegen niedriger Mieten in einem Viertel niederlassen und dieses neu beleben, werden verdrängt, weil ein zahlungskräftigeres Publikum in das Viertel drängt und dadurch die Mietpreise wiederum steigen. „Es ist ein Kreislauf, der weiter und weiter geht“, beschreibt Rusu den Prozess.

Berlin behandelt seine Kreativen schlecht, das ist der Tenor der Künstler, Kuratoren, Architekten, Forscher und Aktivisten, die sich in der Dokumentation zu Wort melden. Gebürtige Berliner sind die wenigsten von ihnen, die meisten sind Zugezogene, die sich entschieden, in den Vierteln Prenzlauer Berg, Neukölln oder Kreuzberg, auf denen das Hauptaugenmerk der Dokumentation liegt, zu leben und zu arbeiten. Dies ist kein Zufall, hat doch der Regisseur selbst keinerlei Verbindung zu der Stadt.
„Ich bekam die Einladung von der Berlin Biennale, eine Dokumentation über Berlin zu machen“, erklärt Rusu, der in Bukarest und Chişinău lebt und arbeitet. „Sie wollten die Stadt aus der Sicht eines unbekannten Beobachters sehen, aber erst die Expats brachten das Problem der Gentrifizierung in den Film hinein.“ Man wollte keinen Berliner haben, der eine Dokumentation über die Stadt dreht – vielleicht fürchtete man einen weiteren Werbefilm darüber, wie angesagt und kreativ Berlin doch ist.
Ein Jahr hatte Stefan Rusu Zeit für seine Dokumentation, nicht viel, wie er findet. Als sie 2012 bei der 7. Biennale lief, warf sie zudem einige Fragen auf: Warum ein externer Regisseur? Warum dieses Thema? „Die drei Viertel im Fokus des Films, Prenzlauer Berg, Neukölln und Kreuzberg, haben wir deswegen ausgewählt, weil sie von historischer Bedeutung sind – durch sie führte die ehemalige Grenze zwischen Ost- und Westberlin“, erklärt Rusu. „Außerdem sind sie natürlich bis heute noch Teil des Gentrifizierungsprozesses.“

Auf die Frage, ob es seiner Meinung nach auch in Bukarest zu solchen Prozessen kommen könnte, kann Rusu keine klare Antwort geben. „Es gibt durchaus Parallelen zwischen Berlin und Bukarest, standen doch beide Städte, zumindest teilweise, unter dem starken Einfluss des Sozialismus“, erklärt der zur Zeit in Zentralasien wohnhafte Regisseur. „In Deutschland und Rumänien leben nun kapitalistische Gesellschaften und es herrscht eine liberale Politik. Eventuell werden wir also auch Gentrifizierungsprozesse in Bukarest sehen.“
Die Verlierer der Gentrifizierung sind immer die Künstler oder ärmere Bevölkerungsschichten – so könnte das Fazit von Rusus Dokumentation lauten, wenn er nicht auch jene gezeigt hätte, die dem Prozess trotzten, sich ein Stück von der Stadt zurückeroberten. Jene, deren Plakate und Protestaktionen erfolgreich waren. Doch der Kreislauf geht weiter: Heute sind es andere Stadtviertel, aus denen die Künstler aufgrund steigender Mieten wegziehen müssen.