Der Mitbewohner

Schon morgens beim ersten Augenaufschlag grinste er mir frech ins Gesicht: der neue Mitbewohner, der sich fortan täglich zeigen sollte. Behände glitt er den Leitungsschacht hinunter, als wäre es eine Rutschbahn. Vorbei an der einladend ausgelegten Brotrinde, dem Schokostückchen, dem Speckwürfelchen, appetitlich drapiert in der tödlichen Falle. Ob wir es für den kleinen Gourmet lieber mal mit französischem Edelpilzkäse und einem Gläschen Rotwein dazu versuchen sollten? Letzteres bekommt man bloß so schlecht in die Falle.  Zwei Stunden später traf ich ihn erneut an, als er aus einem Jackenärmel fiel, in den ich gerade meinen Arm stecken wollte. Das ist doch die Höhe! Wozu hält man sich eine Katze? Frustriert schielte diese vom Holzstoß in der Sonne, in den sich der kleine Kerl gerade verdünnisiert hatte. Bestimmt nicht, ohne sich vorher umzudrehen und ihr hämisch die Zunge rauszustrecken. Es war Ende letzten Sommers, als mir klar wurde, jetzt kommt die kalte Jahreszeit wieder. Denn nichts ist im Herbst so allgegenwärtig wie: Mäuse.

Zumindest auf dem Land hört man es nachts in den Wänden, am Dachboden oder unter dem Parkett unheilvoll nagen. Bis vier Uhr morgens – ist sie immer noch nicht durch? Am nächsten Tag ist das Kekspaket angebissen und die Nudeln rollen im Schrank herum, doch das Loch, durch das der ungebetene Essensgast hereingekommen ist, kann man nirgendwo ausmachen. Mäuse zwängen sich durch den kleinsten Spalt. Woher kommen bloß die Schokostreusel her? Schmecken ein wenig abgestanden... Oh nein!! Das kommt einer Kriegserklärung gleich. Doch – womit?
Im Internet google ich: Nonlethale Waffen. Mauskleber! Theoretisch ist es ganz einfach. Man bestreicht ein Stück Karton mit dem klebrigen Zeug und versucht, es nicht auf die Finger zu bekommen. Wie man den Klebefaden zwischen Tube und Zielobjekt trennt? Keine Ahnung. Man zieht und zieht und muss unwillkürlich an den ekligen Altersheim-Witz denken, wo zwei Senioren um viel Geld wetten, wer sich traut, einen kleinen Schluck aus dem Spucknapf zu nehmen. Der erste setzt mutig an und trinkt in einem Zug aus. Warum? „Ich konnte nicht mehr abbeißen!“

Nachdem man also mit dem unweigerlich zum Einsatz kommenden Finger die total verklebte Tube endlich in die klebrige Schachtel zurückbefördert hat, legt man die Todesfalle, bestückt mit einer Rosine in der Mitte, am besten unters Sofa. Fangerfolg garantiert! Zuerst war es meine Katze, die wie wild miauend mit dem Pappendeckel am Rücken ins Freie schoss. Dann der dreijährige Junge meiner Freundin, der den Kleber mit dem Fuß im ganzen Haus verteilte, in dem Bemühen, das lästige Objekt überall abzustreifen. Der nächste Fang war tatsächlich eine Maus. Mitten in der Nacht hörte ich, wie sie verzweifelt um ihr Leben kämpfte. Was tun? Die ganze Nacht schlaflos zuhören? Sie ablösen und laufen lassen? Doch klebt sie dann nicht am erstbesten Gegenstand fest? Die Arme! Mit der Endlösung der genialen Falle hatte ich mich, zugegeben, noch nicht wirklich befasst... Ratlos trat ich ins Freie – und der strömende Regen löste meinen Konflikt. Ich legte die Falle vor die Türe. Am nächsten Morgen hatte sich das Problem buchstäblich aufgelöst. Und – welche Erleichterung: Der kleine Kerl mit den Knopfaugen grinste wieder unversehrt und munter vom Leitungsschacht herunter.