Der passende Stil und die richtigen Farben

Im Atelier eines Kunstgymnasiums wird ganze Arbeit geleistet

Zwischenfazit im Atelier mit Florin Viorel, der viel von seinen Schülerinnen erwartet.

Sieht einfach aus, geschieht aber nach bestimmtem Plan.

Verschiedene Interpretationen ein und desselben Modells. | Fotos: Klaus Philippi

Der graue Schädel eines Rinds, die weiße Büste eines unbekannten Philosophen der griechischen Antike, ein Zylinder, ein Würfel und zwei Kugeln. Sechs verschiedene Gegenstände in fast ebenso vielen unterschiedlichen Farben, und als Hintergrund ein weißes Leintuch mit schwachen bis starken Klecksen in dunklen Tönen, damit beim stundenlangen Arbeiten an den Staffeleien auch für eine lebendige Kulisse gesorgt ist. „Diese Objekte sind Anhaltspunkte, spielt damit!“, erklärt Florin Viorel acht Schülerinnen der 10. Klasse am Kunstgymnasium Hermannstadt/Sibiu. Sie lernen von ihm das Malen mit Wasser-, Acryl- und Ölfarben auf Leinwand, um später ein-mal ihren Lebensunterhalt als bildende Künstlerinnen stemmen zu können. Und weil das gute Leben überall auf der Welt sowieso nur noch teurer wird, müssen sie ihren Beruf tadellos beherrschen. Sein Einmaleins und seine Grundregeln vor allem. Mit ihnen fängt jede Spitzenkarriere an.

Kein gewöhnlicher Schultag steht den Wissbegierigen bevor, wenn es regelmäßig darauf ankommt, von morgens bis nachmittags mal nicht die Schulbank zu drücken und trockene Theorien zu pauken, sondern genau acht Stunden Zeit für das Malen eines Stilllebens zu haben, die Mittagspause eingeschlossen. Einfach auf einen Geistesblitz warten und danach den Pinsel in die Farben tauchen? Nein, so funktioniert das nicht. Sondern mit anspruchsvoller Kopfarbeit. Die ist es, wofür die Zehntklässler und überhaupt alle Begabten vom Kunstgymnasium Hermannstadt den Unterricht bei Könnern der Szene wie Florin Viorel um nichts in der Welt mit Angeboten anderer Schulen zu tauschen bereit sind. „Art is work“ – das schlagende Motto, mit dem besonders freiberufliche Künstler bald nach Ausbruch der Covid-Pandemie im Jahr 2020 für ihren Platz in der Welt zu werben begonnen haben. Lauter, stärker und aufdringlicher als jemals zuvor. Denn Kunst ist Arbeit. „Ohne Kunst & Kultur wird es still“, mit den drei Lettern „uns“ gesondert markiert.

Sehr surrealistisch ist die Aufforderung von Mentor Florin Viorel, den Kopf eines träumerisch blickenden Mannes und den Schädel eines Rinds auf ein und dasselbe Bild malen zu lassen. Tatsächlich hat es mit dem „Über-Wirklichen“ zu tun, zwei Gegenstände, die einander im Alltag fremder kaum sein könnten, als Akteure einer wie echt scheinenden Beziehung zu gestalten. Die bildende Kunst macht´s möglich. Die Auswahl dessen, was man sich für das Malen mit Pinsel und Farben vorknöpft, kann zwar noch zufällig getroffen werden, ansonsten aber gibt es Richtlinien, die recht streng befolgt sein wollen. „Porträts, nicht Expressionismus!“, lautet die Vorgabe von Florin Viorel im Atelier des Kunstgymnasiums. Augen, Ohren, Nase und Mund sollten unbedingt natürlichen Symmetrie-Achsen entsprechen. Künstlerisch gespielt werden darf gerne mit beinahe allem, ausgenommen die Sinnesorgane des Philosophen und seiner Skulptur.

Zumindest noch während der Anfangsphase einer Karriere. „Später irgendwann werdet ihr auch mit den Regeln brechen können“, sagt Florin Viorel seinen Schüle-rinnen, „vorerst aber ist es wichtig, dass ihr euch an sie haltet.“ Spannend dafür wird es bei Beachtung jener Grundregel, die vorschreibt, ein Bild absichtlich nicht gleichförmig auszugestalten: inhaltlich schwere Bereiche, in denen das Stillleben seine Stärke zeigt, dürfen und sollen sich mit eher Unbedeutendem abwechseln.

Die Tradition des Modernen

Wenn es etwas gibt, das zum Spielen geradezu einlädt, dann das Austarieren von Objekten untereinander. Der Surrealismus kennt nichts Festgefahrenes, provoziert das Autoritäre. Passend zu der eigenen Jugend, die gerne endlos dauern könnte, oder? Salvador Dalí, René Magritte und Meret Oppenheim nutzten nach Ende des Ersten Weltkriegs in Paris die Gunst der Stunde, als viel Traditionelles einbrach, um ihre künstlerische Idealvorstellung zu etablieren. Kaum eine andere Generation träumte besessener vom schönen Leben als sie, zu deren Idolen Sigmund Freud zählte, und die gleich zweimal einen Untergang erlebte – zu Ende des Ersten Weltkriegs und zu Anfang des Zweiten Weltkriegs. Phantastisch die 20 Jahre dazwischen. Und vielversprechend im Frühjahr 2023 das Üben der 10. Klasse am Kunstgymnasium Hermannstadt mit dem Surrealen.

Nicht nur im Malen, sondern auch grafisch und bildhauerisch werden die Schülerinnen und Schüler für das Arbeiten in dieser Stilrichtung ausgebildet, bei der sich die Trennlinie zwischen Traum und Realität verwischt, am besten unkenntlich wird. Oder wenigstens so, dass die Exponate ihre Betrachter foppen, sie auf die Schippe nehmen. Constantin Fîntînă hat Zugang zu einem eigenen Atelier im Kunstgymnasium, wo unter seiner Aufsicht das Werkeln mit Metall, Holz und Lehm gelernt und geübt wird. Der mit Wasser lösliche und am einfachsten in Form zu bringende Stoff liegt hier säckeweise bereit.

Zum Einweichen dient eine uralte Badewanne aus Gusseisen, wie sie vor etwa hundert Jahren noch überall auf der Welt in klassisch bürgerlichen Familienhäusern üblich war. „Unnütze Objekte“ hat Constantin Fîntînă als Thema gewählt, das von den Jugendlichen möglichst erfinderisch in die Tat umgesetzt werden soll. Eine sehr selbstbewusste Schülerin, die bei Abwesenheit des Lehrers sofort den Ton angibt, ohne anderen das Wort abzuschneiden, bastelt an zwei Tassen, deren Henkel ineinander verschlungen sind, während ein stiller Mitschüler unter seiner Kapuze überzeugt schmunzelnd einen Damenschuh mit hohem Absatz kreiert, in dessen Fußbett er zig Haltelöcher etwa für Blumenstängel oder Schreibstifte einsticht. Ein dritter Nachwuchs-Bildhauer wiederum probiert, eine Torte zu kneten, die im wirklichen Leben praktisch nicht aufgetischt werden könnte.

Städte und Zubehör auf dem Prüfstand

Bildhauer finden das Rohmaterial für ihr künstlerisches Arbeiten gelegentlich auch einfach auf der Straße oder draußen in der von Menschen unberührten Natur. Ganz anders hingegen erlebt sich eine Suche nach Öl- und verlässlichen Acrylfarben. Längst nicht alles, was im Schreibwarenhandel Acrylfarbe heißt, eignet sich für das berufliche Malen auf Leinwand. Richtig gute Acrylfarben dürfen nicht ausfärben, auch wenn der Pinselstrich noch so lange geführt wird. Das ist wie mit der Butter am Frühstückstisch – sie soll gelb statt weiß sein und keinen einzigen Tropfen Wasser enthalten, der beim Schmieren aufs Brot vom Messer weg spritzt. Professionell taugliche Acrylfarben in einem Hermannstädter Fachwarenladen? Fehlanzeige, meinen die Schülerinnen im Kunstgymnasium-Atelier von Florin Viorel.

Also ist der Online-Markt ihr Einkaufsnetz für sämtliches Zubehör der Spitzenklasse, das Hermannstadt nicht vorrätig hat. Auch eine Möglichkeit zum Studieren von Kunst kann Hermannstadt leider nicht bieten. Wer das möchte, geht nach dem Abitur nach Bukarest oder Klausenburg/Cluj – die Stadt, in der Florin Viorel studiert hat und wo auch die von ihm trainierten Zehntklässlerinnen unbedingt hin wollen. Obwohl, wie der Vorsitzende der Filiale Hermannstadt des Rumänischen Künstlerverbands es unterstreicht, Bukarest sich „sehr stark“ verändert habe. Aber es ist doch schön, in der Region bleiben zu wollen, oder? Die Klausenburger Universität für Künste und Design (UAD) hat ebenfalls einen exzellenten Ruf. Außerdem gibt es auch am Kunstgymnasium noch jede Menge zu lernen. Wie man sich auf das „Attest“ vorbereitet, zum Beispiel. Die Prüfung in der 12. Klasse zum Berufskünstler hat nicht den gleichen Wert wie das Abschlussexamen an einer Berufsfachschule, aber ihr Bestehen berechtigt zur Anstellung in einem Betrieb, ohne studiert haben zu müssen.

Florin Viorel fände es schade, wenn seine Schüle-rinnen und Schüler auf das Attest verzichten. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass ohne Unterstützung keine Kunst ihr Publikum erreicht, und lädt begabte Jugendliche vom Kunstgymnasium ein, sich mit ihren Arbeiten an Gruppenausstellungen zu beteiligen. Die Lange Nacht der Galerien (Noaptea Albă a Galeriilor, NAG) im Herbst 2021 in Hermannstadt war so ein Augenblick.

Auch Arbeit an sich selbst ist Kunst

Bald steht der 7. Juni in Bukarest an, wo zehn Jugendliche, die bei Florin Viorel lernen, ihre Bilder während einer Sonderausstellung Mitgliedern des Parlaments verkaufen werden, wobei der Erlös bedürftigen Kindern im Hermannstädter Raum zugute kommen soll. Den Kunstprofis von morgen aber geht es um mehr als nur Kohle. Sie wollen sich zuvorderst auf ihre Arbeit verlassen können und verziehen keine Miene bei Kritik. „Das Barbarische an der Figur gefällt mir gut, aber ihr Skelett wackelt, und die Gestaltung erst recht.“ Halbzeitpause im Atelier. Florin Viorel gibt Anweisungen für den Nachmittag: „Du hast dich entschieden, nur die Konturen zu malen. Überlege dir genau, wie du fortfahren möchtest.“ Und „du führst den Pinsel etwas schroffer, architektonischer, was sehr gut ist. Behalte das.“ Platz für Überschwänglichkeit im Loben und zorniges Schimpfen bei Fehlern? Nein. Das eine der alten Kulturen, die heute niemand mehr möchte. Ihr Gegenteil aber zielt ebenso an der Kunst vorbei. Auch das Kunstgymnasium Hermannstadt sucht die Mitte.