Der unfehlbare Wecker

Symbolbild: sxc.hu

Viele fragen mich, wie ich es schaffe, meinen Tag zeitig und gutgelaunt zu beginnen, ein opulentes Frühstück und ausgiebiges Bad inklusive. Nun, lassen sie es mich so sagen: Ich besitze einen einzigartigen Wecker. Lange Jahre lebte ich in den Tag hinein, bis mir das Schicksal eine Katze zuführte. Man soll die Dinge nehmen, wie sie kommen, also zuckte ich mit den Schultern und beschloss, ein guter Katzenvater zu werden. Bis eines Tages die Katze beschloss, Struktur in mein Leben zu bringen.
Es begann damit, dass es am Wochenende im Morgengrauen von meinem Nachtkästchen schnurrte. Nicht das Schnurren einer zufriedenen Katze, eher das offensive Schnurren des Tigers, bevor er sich auf die Antilope stürzt. Ein Blick auf das Handy zeigte: Es war 6 Uhr 11. Da ich von rascher Auffassungsgabe bin, tappte ich in die Küche und öffnete ein Päckchen Katzenfutter. Am nächsten Morgen half das Schnurren nicht mehr, so musste die Katze zu gröberem Geschütz greifen. Das tat sie auch. Zuerst schob sie ein wenig meine Uhr über das Nachtkästchen. Erst links-schraps, dann rechts-schraps. Danach fegte sie sie mit einem energischen Schwung hinunter. Als das Handy nachfolgte und in sämtliche Einzelteile zerflog, stand ich auf. Die Uhr zeigte wieder 6 Uhr 11. Ich öffnete brav das Katzenfutter.

Am nächsten Morgen hatte ich schlecht geschlafen. Als die Katze begann, eine vergessene Münze über den Parkettboden zu schieben, packte ich sie am Pelz, warf sie raus und Schluss der Vorstellung. Dachte ich. Nach einem kurzen Lecken ihres Fells fand sie treffsicher das einzige Parkettstück an der Türschwelle, das nicht fest in seinem Bette saß, und begann es mit der Kralle rauszufingern. Zuerst klick, dann klack, dann im raschen Wechsel, klick-klick-klick und klack-klack-klack. Das Geräusch war derart nervenzerfetzend, dass ich mich geschlagen gab. Ich servierte Kitekat mit Lachs. Am Abend sah ich ihr direkt in die Augen: „Katze“, sprach ich, „es geht ums Prinzip. Du oder mein Morgenschlaf. Klar?“ Die Katze sagte nichts, sie sah mich nur aus ihren unergründlichen grünen Augen an.

Am nächsten Morgen, als sie die Klaue nach meiner Uhr ausstreckte, war ich schon wach: Ich packte sie und warf sie auf den Korridor, schloss zwei Türen und schlief weiter. Als ich um zehn aufstand, um ihr Futter zu geben, betrat ich ein Schlachtfeld. Als die Katze merkte, dass sie das Gewünschte nicht zur vorgeschrieben Uhrzeit bekam, kühlte sie sich ihr Mütchen am größten Kaktus den ich besaß, ein fast zwei Meter hohes Biest mit langen Stacheln. Der Kaktus lag zerbrochen und zerfetzt  in der Ecke. Als Mensch, der das Leben gesehen hat, wusste ich sofort, was das zu bedeuten hat. Das war ein Stellvertreter-Mord nach Mafia-Art, der signalisieren sollte: Du bist der nächste! Also streckte ich die Waffen und wir einigten uns auf friedliche Koexistenz. Wenn das erste Schnurren vom Nachtkästchen ertönt, stehe ich brav auf und reiche das Gewünschte. Im Gegenzug habe ich entdeckt, wie schön die zarte Morgenröte ist. Wie es sich anhört, wenn die Stadt erwacht. Wie angenehm es sich anfühlt, am Morgen Zeit zu haben. Und wenn ich beschwingt und zufrieden das Haus verlasse, blinkert mir die Katze zu. Sie ist zufrieden mit mir.