Der Zusammenhalt hat Menschenleben gerettet

Das KZ Ravensbrück war das größte Frauenkonzentrationslager der SS

„Ravensbrückerinnen“ und ihre Kinder kurz nach der Befreiung des Konzentrationslagers im Frühjahr 1945.
Foto: Privatarchiv Zbigniew Stasiak

Wer am rechten Ufer des Schwedtsees steht, erblickt in der Ferne die idyllische Silhouette des Städtchens Fürstenberg an der Havel, eine malerische, friedvolle Landschaft, die nichts ahnen lässt. Doch nur wenige Schritte weiter steht das Krematorium. Vor Jahrzehnten wüteten hier Tod, Vernichtung, Erniedrigung, Willkür. Das Pflaster auf der heutigen „Straße der Nationen“ wurde von erschöpften, unterernährten Frauen gelegt. Der See selbst ist ein Friedhof.

Im KZ Ravensbrück, dem größten Frauenkonzentrationslager der SS, und seinen Außenlagern lautet die Bilanz der Kriegsjahre: 153.000 registrierte Häftlinge aus 40 Nationen, 30.000 Tote. Auf der anderen Seite des Todes: 1000 SS-Leute und 550 Aufseherinnen, von denen sich die meisten freiwillig für die Arbeitsstelle im KZ gemeldet hatten. Die Nachkriegsbilanz: ein Viertel der Ravensbrücker SS-Führer niemals strafrechtlich verfolgt. Eine Bilanz der zerstörten Menschenleben während und nach dem Krieg hat niemand erstellt.

Auf dem dunkelgrauen Gelände am Schwedtsee befindet sich heute die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Anstelle der Häftlingsbaracken breitet sich schwarze Schlacke aus, einige vertrocknete Baumstämme, kahle Bäume und verfallene Gebäude stärken beim Besucher das Gefühl der Leere. Auch die Skulpturen, die in der unmittelbaren Nähe des Krematoriums an die Frauen von Ravensbrück erinnern – das Mahnmal „Tragende“ und die Silhouetten der „Zwei Stehenden“ von Will Lammert und Fritz Cremer – sind dunkelgrau und trist. Die SS-Kommandantur, ein klotziges Gebäude, dient als Ausstellungsraum; in einem der ehemaligen „Führerhäuser“ wird eine Dokumentation zum SS-Personal gezeigt; die früheren Unterkünfte der Aufseherinnen – acht mehrstöckige, ununterscheidbare Bauten – sind gut erhalten und beherbergen die internationale Jugendbegegnungsstätte Ravensbrück.   

Alltag in der Todesfabrik

Vor sieben Jahrzehnten waren die Baracken von Ravensbrück derart überfüllt, dass die Lagerleitung zur Unterbringung der Häftlinge Zelte aufstellen ließ. Nur wenige Menschen überlebten hier den bitterkalten Winter. Es wimmelte von Ratten und Ungeziefer, und wer nicht an den hygienischen Umständen, an Seuchen oder Schwerarbeit zugrunde ging, der verhungerte oder wurde zum Opfer grauenhafter ärztlicher Experimente. Selbst unter den Rechtlosen gab es eine Hierarchie: Die Funktionshäftlinge, großteils asoziale Fälle und Verbrecher, wurden von der SS zu Kontroll- und Ordnungsaufgaben eingesetzt und waren unter den Mithäftlingen für ihre Bosheit und Hinterlist gefürchtet.

An den Lageralltag im Jahre 1944 erinnert sich Brygida Czekanowska aus Danzig/Gdansk, die damals als Fünfzehnjährige mit ihrer Mutter infolge des Warschauer Aufstandes inhaftiert wurde. Nach den Stationen Buchenwald und Bergen-Belsen erreichten sie Ravensbrück, wo sich der jungen Brygida vor allem der „Willkommensgruß“ mit furchterregenden SS-Männern und aggressiven Hunden einprägte. „Wir mussten uns für die sogenannte ‘ärztliche Prüfung’ nackt ausziehen und viele von uns wurden kahlgeschoren. Für die älteren Frauen war das eine unvorstellbare Demütigung. Wir waren keine Menschen mehr, wir waren Nummern“, entsinnt sich die Polin. Später gelangten sie und ihre Mutter in den Rüstungsbetrieb Kleinlinden in Klein-Machnow bei Berlin, und als die Front näher rückte, wurden sie nach Sachsenhausen evakuiert, dann auf den Todesmarsch geschickt. „Alle waren wir bereits sehr schwach, doch es gab unter uns Frauen, die überhaupt nicht mehr gehen konnten. Wir mussten sie tragen“, sagt Brygida Czekanowska. „Wir gingen ununterbrochen von frühmorgens bis spät und durften um keinen Preis aus der Reihe heraus schreiten oder uns einen Augenblick ausruhen. Wer es trotz Verbot tat, wurde erschossen.“

Ältere „Ravensbrückerinnen“, wie sich die ehemalig gefangenen Frauen untereinander nennen, erinnern sich noch an die niederträchtigsten Lagergräuel überhaupt: die  pseudomedizinischen Experimente, an denen auch Heinrich Himmlers Leibarzt Karl Gebhardt beteiligt war. Er ließ den Häftlingen Verletzungen und Infektionen zufügen und testete an den eiternden Wunden die Wirkung verschiedener Mittel. Es wurden willkürliche Operationen an gesunden Frauen, Sterilisationen und Verstümmelungen durchgeführt, die angeblich zur „Übung“ des Ärztepersonals dienten.

Menschen wurden verwertet

Die KZ-Regel „Ausbeutung und Vernichtung durch Arbeit“ galt auch hier: Innerhalb der Lagermauer entstanden Produktionsstätten für traditionelle Frauenberufe wie Schneidern und Weben; unweit des KZ-Geländes ließ das Unternehmen Siemens & Halske Werkhallen errichten, in denen Häftlinge täglich bis zu 14 Stunden Zwangsarbeit leisten mussten. Wer dem Betrieb nicht mehr nützlich war und keinen Gewinn mehr erbrachte, wurde ermordet – die Asche der Toten ruht auf dem Grund des Schwedtsees.

Es überrascht nicht, dass von den 900 Kindern, die von 1939 bis 1945 im Lager zur Welt kamen, nur knappe drei Prozent überlebten. Viele wurden nach der Geburt von Aufseherinnen getötet oder verhungerten, weil die Mütter sie nicht versorgen konnten. Überlebende berichten aber, dass es unter den Gefangenen auch Frauen gab, die sich freiwillig der Kinder in den jeweiligen Baracken annahmen, sie nach Möglichkeit ernährten und vor der Willkür des Wachpersonals schützten, solange die Mütter in der Fabrik arbeiteten. Allein dieser Zusammenhalt konnte das Leben der Neugeborenen retten.

Zu den Kindern, die überlebten, gehört auch Zbigniew Stasiak. Seine Mutter wurde aufgrund ihres Engagements im polnischen Untergrund verhaftet und musste im KZ Ravensbrück für Siemens arbeiten. Hier kam er im Februar 1945 zur Welt. „Meine Mutter hat mir weinend erzählt, dass ich ohne die Solidarität der Frauen in Ravensbrück nicht überlebt hätte“, sagt Zbigniew Stasiak, der heute in Plock, Polen, lebt. „Aus Kleidungsfetzen wurde ein Anzug für mich genäht, ich wurde tagsüber von fremden Häftlingen mit dem Nötigsten versorgt. Die Frauen in unserem Block freuten sich sogar, als ich geboren wurde, weil ich unter vielen Säuglingen der einzige Junge war.“ Das KZ Ravensbrück wurde vor 68 Jahren, am letzten Apriltag, von sowjetischen Einheiten erreicht. Die Häftlinge, die sich bereits auf dem Todesmarsch befanden, konnten Anfang Mai von den Truppen eingeholt und befreit werden.