Deutsche Südtiroler feiern bei Europeada gleich doppelt

Fußball-Europameisterschaft der Sprachminderheiten fand in Italien statt – ohne Rumäniendeutsche

Voller Stolz repräsentierten die Aromunen aus Rumänien auch ihre „Freunde“ in Albanien, Bulgarien, Griechenland und Mazedonien. Bis zu 250.000 Aromunen leben in diesen Ländern. In vier Jahren sollen auch Spieler von dort Teil der Mannschaft sein.
Foto: der Verfasser

„Balla Balla Balla, weil Fußball uns gefällt. Balla Balla Balla, es spielt die ganze Welt. Die Teams sind alle angereist, die Fans sind auch schon da, uns einigt die Begeisterung für die Europeada. Drum kommt ins schöne Südtirol, die Spiele fangen an. Dass jeder seine Sprache spricht, das ist das Schönste dran“, schallte es über den Brunecker Rathausplatz. Es sind die Zeilen der Hymne der Europeada, der Fußball-Europameisterschaft der autochthonen, nationalen Minderheiten. Vom 18. bis zum 26. Juni fand sie bereits zum dritten Mal statt. Ausrichter des alle vier Jahre stattfindenden Turniers ist die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) sowie ein lokaler Organisator in der Region des Gastgebers. Zur ersten Ausgabe trafen sich im Juni 2008, auf Einladung der FUEV, der rätoromanischen Kulturorganisation Lia Rumantscha sowie des Tourismusvereins Sedrun Disentis 17 Mannschaften im helvetischen Kanton Graubünden. Vier Jahre später lud die Domowina, der Dachverband der sorbischen Vereine und Organisationen, in die Lausitz ein und in diesem Jahr der Verband der Sportvereine Südtirols in das Gadertal und das Pustertal. Angemeldet hatten sich 24 Herren- und erstmals auch 6 Damenmannschaften. Kurzfristig absagen musste allerdings die Männermannschaft der Türken aus Westthrakien, einer Region im Norden Griechenlands.

Eröffnet wurde die Europeada mit dem Einzug der Mannschaften im Stadtzentrum von Bruneck, dem Hauptort des Pustertals, dort wo deutsches und ladinisches Südtirol zusammentreffen. Martha Stocker, Südtiroler Landesrätin und ehemalige FUEV-Vizepräsidentin, hieß die Teilnehmer willkommen und betonte, dass die Europeada mehr sei als nur ein Fußballturnier. Sie bietet die Möglichkeit, die Vielfalt von Völkern und Kulturen zu zeigen und offenbart die große Chance, Minderheiten sichtbar zu machen. Nach diversen kurzen Grußworten, unter anderem vom FUEV-Präsidenten Loránt Vincze, Angehöriger der ungarischen Minderheit in Rumänien, und Hartmut Koschyk, dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, eröffnete der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher das Turnier und Annika Borsetto stimmte ihr „Balla balla balla“ an.

Aromunen und Ungarn aus Rumänien dabei

Gespielt wurde auf den Sportplätzen von Ahrntal, Mühlwald, Niederdorf, Olang, Pfalzen, Sand in Taufers sowie den ladinischen Ortschaften St. Martin in Thurn/San Martin de Tor und St. Vigil in Enneberg/Al Plan de Mareo in sechs Gruppen bei den Herren sowie zwei Gruppen bei den Damen. Aus Rumänien waren die Aromunen angereist, die bereits 2008 in Graubünden dabei waren, sowie die Ungarn, die in diesem Jahr das erste Mal eine Mannschaft auf den Platz schickten. Sie fanden sich in Gruppen mit den Slowaken aus Ungarn, den Dänen aus Südschleswig/Deutschland sowie den Okzitaniern aus dem Süden Frankreichs, respektive den Ladinern und den Krimtataren aus Russland, deren Spieler allerdings fast alle im ukrainischen Charkiw wohnen, wieder. Die ungarische Mannschaft wurde vom Ungarnverband UDMR zusammengestellt, hinter der aromunischen Mannschaft stand die Nicht-Regierungsorganisation Armânamea Trâ Europa. Beide schickten sowohl Vertreter der eigenen Organisation als auch Amateurfußballer auf den Rasen.

Die Ungarn konnten mit mehreren Spielern vom Viertligisten ACS Miercurea Nirajului/Nyárádszereda immerhin einen 6:1 Sieg in der Gruppenphase gegen die Krimtataren einfahren und qualifizierten sich als einer von zwei besten Gruppenzweiten für das Viertelfinale. Die Aromunen hingegen, bei denen immerhin die ehemaligen Profi-Fußballer Adrian Pitu (Steaua Bukarest), Stelian Carabaş (Naţional Bukarest) und Mihai Stere (FC Kronstadt/Braşov) aufliefen, mussten drei hohe Niederlagen hinnehmen und spielten letztlich nur um den 20. Platz gegen die Deutschen aus Nordschleswig/Dänemark. Dieses Platzierungsspiel gewannen die Aromunen allerdings mit 3:0. Die Ungarn wiederum mussten sich im Viertelfinale mit 6:1 den Deutschen aus Südtirol geschlagen geben und unterlagen auch im Halbfinale der Trostrunde mit 4:3 gegen die Deutschen aus Russland. Zum Spiel um Platz 6 gegen die Ladiner trat die Mannschaft dann nicht mehr an, da man sich bereits auf den Rückweg gemacht hatte.

Sprache ist das wichtigste Identifikationsmerkmal

Zu den exotischsten Teilnehmern gehörten die Zimbern, eine kleine Sprachminderheit deutschen Ursprungs in der italienischen Provinz Trient. Über ihre Einwanderung aus Bayern halten sich verschiedene Theorien. Die am häufigsten vertretene nimmt an, dass im 11. und 12. Jahrhundert aufgrund erheblicher Versorgungsprobleme ganze Sippschaften aus dem bairischen Stammesherzogtum in die abgelegenen, isolierten und oft auch klimatisch und landwirtschaftlich unattraktiven Gebiete der Südalpen zogen. Die historischen Landstriche der Zimbern umfassen drei zum Teil weit auseinanderliegende Gegenden. Die am besten erhaltene und aktivste Sprachinsel ist das rund 300 Einwohner zählende, jahrhundertelang extrem isoliert gelegene Lusern. Dort sprechen auch heute noch die meisten Einwohner im Alltag diese älteste und am besten erhaltene deutsche Mundart überhaupt – das Luserner Zimbrisch, das auf einem bairisch-alemannisch geprägten Mittelhochdeutsch des 11. bis 12. Jahrhunderts basiert. Bei der letzten, im Jahr 2001 durchgeführten Volkszählung erklärten sich in der Provinz Trient noch insgesamt 862 Personen als Zimbern.

In der Irischen See starb 1974 auf der Insel Man der vorerst letzte Mensch, der Manx zur Muttersprache hatte. Später haben Sprachaktivisten ihre Kinder einsprachig erzogen, sodass es heute wieder einige Dutzend Muttersprachler gibt und bis zu 2000 Personen, die des Manx mächtig sind. „Bunscoill Ghaelgagh“ ist die einzige Grundschule, an der in Manx unterrichtet wird. Der Kreis, aus dem sich die Mannschaft Ellan Vannins, manx für Insel Man, zusammensetzt, umfasst aller-dings alle rund 84.000 Einwohner. Sie repräsentieren die Insel und ihr keltisches Erbe. Doch bleibt zu hinterfragen, mit welcher Berechtigung die Mannschaft bei der Europeada teilnimmt. Als Vertreter der gesamten Insel Man, die als autonomer Kronbesitz weder Teil des Vereinigten Königreichs noch Britisches Überseegebiet ist, stellen sie gerade keine ethnische oder sprachliche Minderheit dar. Die Frage, wer tatsächlich eine sprachliche oder ethnische Minderheit ist, lässt sich auch bei anderen Teilnehmern aufwerfen. Denn geht es lediglich um die Abstammung, dann wäre auch eine  Mannschaft der Obotriten, Seweren oder anderer untergegangener Völker denkbar. Bei den Aromunen hingegen ist gerade die gemeinsame Sprache das wichtigste Identifikationsmerkmal. Aromune ist, wer Aromunisch spricht, so Maria Cucliciu, die Pressevertreterin der aromunischen Mannschaft „Pareia di Fotbal Armânamea“.

Sorben gewannen neben dem Platz die Herzen

Mit mehr Fans als das zimbrische Dorf Lusern Einwohner hat, sind die Sorben aus der Lausitz angereist. Noch vor vier Jahren waren sie selbst der Gastgeber. Der sorbischen Identität hat dies einen enormen Aufschwung gegeben, sagt Janek Wowcer, Chefredakteur der „Serbske Nowiny/Sorbischen Zeitung“. „Die Leute liefen plötzlich wieder mit sorbischen Fahnen durch die Straßen und zu den Spielen kamen ganze Familien, die nie zuvor beim Fußball waren.“ In Südtirol unterstützen über 300 Sorben die „Wubranka“, also die sorbische Nationalmannschaft. Am Ende durften sie den fünften Platz ihrer Spielerinnen und den zwölften Platz ihrer Spieler feiern – der Fußball lebt eben auch durch seine Fans. Die Damen gewannen ihr Platzierungsspiel gegen die Rätoromaninnen und die Herren gegen die Nordfriesen. Da Letztere im Endscheidungsspiel verletzungsbedingt nur noch auf acht Spieler zurückgreifen konnten, streiften sich spontan Spieler von Ellan Vannin das nordfriesische Trikot über. Später tauchte sogar ein sorbischer Akteur in den Reihen der Nordfriesen auf. Eine bessere Werbung für das Turniermotto „Diversity Connects“ kann es gar nicht geben.

Frauen glänzen auf und neben dem Platz

Sportlich dominierten sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen die Deutschen aus Südtirol und die Okzitanier aus Süd-Frankreich, welche sich folgerichtig auch in den Finalspielen gegenüberstanden. Und, dies sei vorweggenommen, in beiden Spielen siegten die Südtiroler. Die beiden Frauenmannschaften trafen im Turnierverlauf sogar zweimal aufeinander. Durch Tore von Solène Barbance und Ròsa Lavau, die für Rodez Aveyron Football respektive AS Saint-Étienne in der ersten französischen Liga spielen, gewannen die Okzitanierinnen in der Gruppenphase mit 2:1. Ebenfalls in Frankreichs höchster Liga, bei Football Féminin Nîmes Métropole Gard, spielen Laurie Saulnier und Noémie Cuberes. Auf der anderen Seite konnten die Südtirolerinnen mit Desiree Righi, Verena Erlacher und Katrin Plankl vom CF Südtirol drei Akteure aus der ersten italienischen Liga aufbieten und darüber hinaus die erst 15-jährige Nadine Nischle, die in der deutschen B-Juniorinnen-Bundesliga Süd beim 1. FC Nürnberg spielt.

Auf diesem hohen Niveau konnte lediglich die russlanddeutsche Mannschaft mithalten, welche sich im Halbfinale erst durch einen Elfmeter zwei Minuten vor Spielende mit 1:0 den Südtirolerinnen geschlagen geben musste. Ganz von ungefähr kommt die Stärke der Russlanddeutschen allerdings nicht. Schon Ende April fanden in Moskau die ersten Trainingseinheiten der jungen Mannschaft statt, deren Spielerinnen aus den verschiedensten Ecken des Russischen Reiches, von Moskau bis Sibirien, stammen. Auch das Finale war ein langer Kampf. Schon in der vierten Minute gingen die Okzitanierinnen durch Laurie Saulnier in Führung, die kurz vor der Pause sogar noch auf 2:0 erhöhen konnte. Bei Temperaturen um die 30 Grad legten die Gastgeberinnen in der zweiten Halbzeit aber nochmal zu. Nach etwas über einer Stunde musste Mittelfeldspielerin Laura Asensio infolge einer Roten Karte den Platz verlassen. In Unterzahl wurden die Gäste nun noch weiter in die eigene Hälfte zurückgedrängt und nur zehn Minuten nach dem Platzverweis gelang Nadine Nischler in der 78. Minute der Anschlusstreffer. Weitere zwei Minuten später konnte Katrin Plankl sogar ausgleichen. Die Okzitanierinnen wurden zunehmend nervöser und Anna Katharina Peer gelang kurz vor Schluss sogar noch der Siegtreffer, sodass eine Verlängerung nicht mehr nötig wurde.

Ähnlich umkämpft wie das Frauenfinale war auch das der Männer. Bei leicht regnerischem Wetter fanden sich fast alle Mannschaften im Stadion von Sand in Taufers ein. Hier sollten nach dem Finale auch noch die Siegerehrung sowie die Abschlussfeier stattfinden. Das Spiel um Platz 3, welches vor dem Finale stattfinden sollte, musste allerdings ausfallen, da die Kroaten aus Serbien nach tätlichen Übergriffen auf den Schiedsrichter und die Gegenspieler von der Wettkampfleitung ausgeschlossen und auf den letzten Platz strafversetzt wurden. Rund 800 Zuschauer verfolgten schließlich das Finalspiel. Einziger Wermutstropfen: die meisten Zuschauer waren selbst Teilnehmer, das Südtiroler Publikum konnte hingegen nicht mobilisiert werden. Schade, denn die Südtiroler gewannen die ersten beiden Ausgaben der Europeada. Über mangelnde Unterstützung mussten sich die Spieler dennoch nicht sorgen, wurden sie doch lautstark von beiden Frauenmannschaften unterstützt.

Auf dem Platz ging dieses Mal der Gastgeber in Führung. Schon kurz nach Anpfiff traf Elmar Haller vom fünftklassigen Oberligsten St. Martin in Passeier zum 1:0. Technisch und taktisch war das Spiel nicht besonders sehenswert, doch es war umkämpft und lebte von der Spannung. In der zweiten Halbzeit wurde es auch zunehmend ruppiger und die Okzitanier konnten nach etwas mehr als einer Stunde durch Brice Martinez ausgleichen. Nur zehn Minuten später kam der Südtiroler Mat-thias Bacher im Strafraum zu Fall. Den fälligen Elfmeter verschoss Thomas Piffrader vom Oberligisten ACS St. Georgen allerdings. Kurz vor Ende der regulären 90 Minuten hatten die Gastgeber noch Chancen auf die Entscheidung, konnten diese jedoch nicht mehr herbeiführen. Es ging also in die Verlängerung, in der es weiter sehr hitzig zuging. Erst wurde der Okzitanier Guillaume Lafuente mit einer Gelb-Roten Karte zum Duschen geschickt, danach musste auch noch der heißblütige Trainer Didier Amiel in die Kabine. Nach einer Unterbrechungspause – die Okzitanier hatten sich minutenlang beim Schiedsrichter beschwert, das Stadion sich hingegen schon auf das anstehende Elfmeterschießen eingestellt – war es Thomas Piffrader, der einen Eckball direkt verwandelte und die deutschen Südtiroler zum dritten Mal in Folge zum Sieger der Europeada schoss.

Nach der nicht enden wollenden Siegerehrung wurde im Festzelt noch bis in die Nacht gefeiert. Die Aromunen waren da allerdings schon nicht mehr anwesend. Sie machten sich umgehend nach der Siegerehrung auf den Rückweg nach Rumänien. Trotz des drittletzten Platzes war es für die Spieler ein unvergessliches Erlebnis. „Das Turnier war sehr gut organisiert und die Gegend ist wunderschön. Ich bin froh, dass wir hierhergekommen sind“, so Viorel Crăciun, Spieler und Engagierter in der aromunischen Gemeinschaft. Vom rumänischen Staat werden die Aromunen bekanntlich nicht als nationale Minderheit anerkannt. Ihnen stehen damit weder ein Sitz im Parlament noch finanzielle Hilfen der Regierung zu. Die Vertretung der rund 30.000 Aromunen in Rumänien, die in ihrer Mehrzahl in den Kreisen Constan]a und Tulcea leben, einige auch in Slobozia und Bukarest, übernimmt die Nicht-Regierungsorganisation Armânamea Trâ Europa. Weit mehr Aromunen leben allerdings auf dem westlichen Balken. Ihre Zahl wird auf bis zu 250.000 geschätzt.

Verlässliche Zahlen gibt es nur aus Mazedonien, wo die rund 8700 Aromunen als nationale Minderheit anerkannt werden. Der rumänische Staat bezeichne sie abschätzig als „Rumänen aus aller Welt“ und negiere damit ihre eigenständige ethnische Identität, sagt Maria Cucliciu, die Pressevertreterin. Verfolgt haben die Spiele der aromunischen Mannschaft auch „unsere Freunde“ in Albanien und Mazedonien, so Crăciun. „Wir hatten zwar den Plan, eine Mannschaft von Aromunen aus allen Ländern zusammenzustellen, doch aufgrund unseres kleinen Budgets war dies nicht möglich.“ Auf die Frage, ob die Mannschaft mit Gheorghe Hagi als Trainer besser abgeschnitten hätte, musste Crăciun lachen. „Vielleicht in vier Jahren, wenn er Zeit hat.“ Trainiert hat die Mannschaft während des Turniers übrigens nicht. Maria Cucliciu verriet, dass der Trainer der Ansicht war, würden die Feierabendfußballer auch noch trainieren, dann hätten sie gar keine Energie mehr für die Spiele. Das ließe sich mit Gică auf der Trainerbank sicherlich ändern. Abschließend bleibt die Frage: Wo waren wir? Gibt es wirklich keine Sachsen, Schwaben oder Zipser im fußballfähigen Alter mehr? Der Gastgeber für 2020 steht noch nicht fest. Die Schleswiger Dänen und Deutschen bemühen sich genau wie die Kärntner Slowenen um die Ausrichtung. Schön wäre es doch, wenn auch wir dann eine Mannschaft entsenden würden und bei diesem die Völker verbindenden Turnier dabei wären.