„Deutschland ist DAS Theaterland der Welt“

Interview mit dem Regisseur Alexandru Mihăescu

Alex Mihăescu

Ein paar Wochen vor der Premiere. Fotos: Zoltán Pázmány

Vor wenigen Tagen hat die jüngste Premiere am Deutschen Staatstheater Temeswar stattgefunden, „Europa“ nach einem Text von David Greig. Regie führte dabei Alexandru Mihăescu, ehemaliger Lenauschüler, Absolvent der deutschen Schauspielklasse an der West-Universität Temeswar und der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Schon einmal hatte er, vor vierzehn Jahren, an diesem Haus inszeniert. Damals war es ebenfalls ein Greig-Text: „Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau, die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte“. 2006 hat er ein Masterstudium für Regie in Bukarest in der Klasse von Prof. Alexa Visarion absolviert und war anschließend als Kulturmanager in Deutschland tätig, 2007 war er der Kurator des Tr@nsfusion Festivals im Kampnagel, Hamburg. Außerdem war er an mehreren Theater- und Filmprojekten beteiligt, als Schauspieler wie auch als Spielleiter. Über Theater in Rumänien und Deutschland, das Publikum und Erinnerungen an die Schule sowie an die NiL-Theatergruppe und vor allem, warum die Leute ins Theater kommen sollen, sprach Alex Mihăescu mit der Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu.


Wie haben Sie sich für dieses Stück entschieden?


Ich kenne diesen Autor schon seit 2006, damals habe ich einen Text von ihm am DSTT inszeniert. Ich mag diesen Autor sehr, weil er - wir sind irgendwie auch von derselben Generation, er ist ein bisschen älter als ich – ein gutes Gefühl hat, wie Europa sich in den letzten 20 Jahren verändert hat und was im kollektiven Bewusstsein passiert ist. Und was ich noch an dem Text mag, ist, dass er dies nicht plakativ macht, sondern eine schöne Geschichte hat, sehr reiche Charaktere erfindet, und dadurch kann man in diese Welt, in diese sehr komplexe Europa-Geschichte, einsteigen durch die sehr persönliche Geschichte jeder dieser Personen.

 

Das Thema ist gerade sehr aktuell, nicht nur durch die Europawahlen, sondern auch durch den ganzen Kontext. Was möchten Sie speziell vermitteln?

 

Freilich wollte ich das Stück jetzt machen, weil Rumänien auch die Ratspräsidentschaft innehat, ob es sie nun verdient, kann ich nicht so sagen, aber es ist nun mal so. Aber der Hauptgedanke im Stück ist, dass die Leute immer ihre Gedanken und Ideologien auf Europa projizieren, wie in einem Rorschach-Test (auch Tintenkleckstest, ein psychodiagnostisches Testverfahren – N. Red.). Auf Europa projizieren die Leute heute ihre eigenen Ideologien, die man aus verschiedenen Elementen zusammenbasteln kann. Das finde ich immer so merkwürdig, dass Leute zum Beispiel Monarchisten und zugleich unglaublich demokratisch sein können. Man kann sich eben diese Geschichten so zusammenbasteln. Es ist klar, dass Leute durch ihre Biographie zu einer gewissen Ideologie kommen.

 

Was soll der Zuschauer mit nach Hause nehmen, nachdem er der Vorführung beigewohnt hat?


Der Zuschauer wird sehen, dass das europäische Projekt nicht einfach ist, dass jeder ein bisschen darüber nachdenken muss, was er von Europa erwarten kann und was er nicht erwarten darf und deswegen nicht Europa zürnen muss, wenn es einem mal schlecht geht, wenn man in so eine Konjunktur kommt, wie in unserem Stück, wo der Bahnhof und die Fabrik geschlossen werden, die Leute auf der Straße stehen. Das hat weder mit Immigranten was zu tun, noch mit einem europäischen Projekt. Das hat vielmehr damit zu tun, wie die Welt heute funktioniert, das ganze System. Populisten versuchen, an die Macht zu kommen, aber im Grunde können sie nichts anbieten.

 

Sie waren lange Zeit in Deutschland. Bitte geben Sie uns einen Überblick von dem, was Sie dort gemacht haben.


Ich war hauptsächlich zum Studium in Deutschland, als Schauspielstudent an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock, zwischen 1999 und 2003. Dann war ich ein Jahr lang engagiert an der Neuen Bühne Senftenberg, als Schauspieler. Dann war ich wieder in Temeswar, habe hier am DSTT gespielt und zur gleichen Zeit habe ich Regie studiert in Bukarest und dann noch ein Kulturmanagementstudium an der Robert Bosch Stiftung in Deutschland gemacht. Und 2007 habe ich meine Studienzeit dann endlich fertiggebracht und seitdem bin ich als freier Schauspieler, Regisseur und Kulturmanager in Rumänien tätig. Deutschland war eine sehr wichtige Zeit für mich, wegen der Ausbildung, und ich bin sehr froh, dass es eine sehr gute Schule war.

 

Wenn Sie nun einen Vergleich zwischen deutschen und rumänischen Bühnen ziehen sollten, worin liegen die größten Unterschiede?

 

Das ist immer schwer. Ich würde sagen, Deutschland ist DAS Theaterland der Welt. Es gibt über 360 staatliche Bühnen und etliche unabhängige Bühnen, sie haben diese sehr lange Theatertradition und Theater spielt immer noch eine sehr wichtige Rolle in den Leben der Menschen, meistens sind die Säle voll. Aber ich würde auch sagen, dass Rumänien im Vergleich zu anderen Ländern noch ein Theaterland ist, da wird noch viel Theater gemacht, auch viel subventioniert. Der Vergleich zu Deutschland würde jedem Land schwer fallen, theatertechnisch. Rumänien hat immer noch sehr gute Leute, die Theater machen, ich würde es nie abschreiben.

 

Und was das Publikum betrifft?


Das Publikum könnte ein bisschen kritischer sein in Rumänien, es könnte mehr Niveau fordern. Es gibt hier immer noch sehr viel leichtes Theater. Die Leute müssen nicht bei allem klatschen, und hier sehe ich, dass sie immer klatschen, egal was geboten wird.

 

Und wie wirkt das DSTT auf Sie, da Sie nun zurückgekehrt sind?


Das DSTT hat jetzt in den letzten Jahren ein großes Ansehen erworben. Was noch anders ist als an anderen Bühnen, ist, dass es noch immer wenig Schauspieler in verschiedenen Alterskategorien gibt, die man als Regisseur braucht. Es sind vorwiegend jüngere Schauspieler, man bräuchte auch mehr ältere, das ist ein hartes Problem. Das Gute am DSTT ist, dass man die Freiheit hat, dass man auch mit Deutschland was zusammen machen kann, auch andere Theaterformen explorieren kann, die Truppe ist sehr offen für Experimente.

 

Sie haben beides ausprobiert, Schauspieler und Regisseur zu sein. Was gefällt Ihnen besser?


In letzter Zeit bin ich mehr Regisseur gewesen, aber ich nehme das an, was auf mich zukommt - meistens. Das hat mich auch gewundert, dass ich, als ich angefangen habe, Regie zu machen, immer weniger Rollenangebote bekommen habe. Ich hätte schon mehr gespielt. Ich würde schon mehr spielen.

 

Welche Rolle, in der Sie aufgetreten sind, hat Ihnen am besten gefallen?


Alle Rollen. Die härteste aber war im Film „Die roten Handschuhe“ von Radu Gabrea, ich spielte die Hauptrolle (Felix Goldschmidt – Anm. d. Red.). Es war eine sehr lange Vorbereitungszeit, eine sehr intensive Drehzeit und eine sehr große Verantwortung für mich. Es war schon die härteste Rolle, dadurch hat sie sich auch eingeprägt.

 

Sie sind an Temeswar auch anders gebunden, Sie waren hier Schüler an der Lenauschule. Was verbindet Sie heute mit der Schule?


Die Sprache vor allem. Ich treffe auch ein paar Kollegen, ab und zu auch Lehrer, dann freue ich mich immer, dass ich sie sehe. Ansonsten war ich nicht mehr in der Schule seit dem Schulabgang. Aber… Die NiL-Theatertruppe… Ich war in der ersten NiL-Theatertruppe dabei, wir haben den Namen sogar erfunden.

 

Wie war das damals?


Der Schauspieler Christian Bormann kam in eine Deutschstunde und fragte, ob jemand mitmachen will. Einige haben dann die Hand gehoben, ich habe mich umgeschaut und gedacht, okay, ich auch. Dann waren wir plötzlich diese NiL-Truppe. Es war eine sehr schöne Zeit für uns als soziale Gruppe und wir waren auf Tourneen durch ganz Rumänien, in Deutschland, wir sind einander sehr verbunden geblieben. In der Schule waren wir eine kleine Untergruppe, wir hatten mehr miteinander zu tun als mit den anderen.

 

Und für die Mitschüler?


Für die Mitschüler… Die haben auch Witze über uns gemacht, aber ich denke, sie haben das gut aufgenommen.

 

Was kommt nach der Premiere?


Nach dieser Premiere habe ich ein Projekt in Petroșani im Herbst, wo wir die Geschichte des Bergbaus kartographieren. Es wird ein Projekt der Universität Petroșani und des Theaters zur Hundertjahrfeier und wir schauen uns an, wie die Bedingungen waren und wie sie jetzt sind. Das wird auch sehr spannend sein.